Bombe, Rauch, Krieg, Feuer, Palästina
Krieg (Symbolfoto) © Amir Farshad Ebrahimi @ flickr.com (CC 2.0)

Interview

Ärzte ohne Grenzen: Im Jemen werden Grundrechte mit Füßen getreten

Im Jemen herrscht seit zwei Jahren Krieg, aber die Welt nimmt kaum Notiz davon. Millionen Menschen hungern, es gibt kaum Medikamente und Kliniken werden bombardiert. Der Geschäftsführer der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen", Florian Westphal, fordert im Gespräch dringend Schutz für Zivilisten.

Von Johanna Greuter Dienstag, 21.03.2017, 4:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.03.2017, 21:19 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Herr Westphal, wie schlimm ist die Lage derzeit im Jemen?

Westphal: Die Situation ist zutiefst alarmierend. Kaum ein Jemenit leidet nicht unter dem Konflikt. Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht. Die UN schätzen, dass bereits 17 Millionen Menschen von Hunger bedroht sind. Rund 460.000 Kinder unter fünf Jahren sind wegen extremer Mangelernährung in akuter Lebensgefahr. Krankenhäusern fehlt es am Nötigsten, sogar an Medikamenten und an Personal.

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Was bedeutet ein Leben im Krieg?

Westphal: Wir hören von Frauen, die zu Hause das Essen vorbereiten und beschossen werden. Bauern werden auf dem Weg zu ihrem Feld von Luftschlägen verletzt oder treten beim Vieh Hüten auf Minen. Andere werden direkt vor ihrer Wohnung von Scharfschützen getötet. Alle Konfliktparteien unterlassen es, die Zivilbevölkerung zu schützen. Auch zivile Einrichtungen wie Kliniken werden bombardiert, das Personal und die Patienten werden angegriffen. Krankenwagen werden beschossen und Mediziner werden bedroht und mit vorgehaltener Waffe gezwungen zu operieren.

Wie sind diese Gräueltaten einzuschätzen?

Westphal: Die Angriffe auf Zivilisten verstoßen gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Krieg wird mit einer Rücksichtslosigkeit gegenüber der Bevölkerung geführt, die wirklich durch nichts zu entschuldigen ist. Derzeit gibt es für die Zivilbevölkerung keine Sicherheit und keinen Schutz vor den Kämpfen. Menschliche Grundwerte, wie das Recht auf medizinische Versorgung auch im Kriegsfall, werden mit Füßen getreten.

„Ärzte ohne Grenzen“ arbeitet im Jemen in zwölf Krankenhäusern und Gesundheitszentren auf beiden Seiten der Front. Unter welchen Krankheiten leiden die Menschen besonders?

Westphal: Viele Menschen leiden unter Kriegsverletzungen durch Schusswaffen, Bombardierungen, Scharfschützen oder Minen. Andere haben Erkrankungen des Verdauungstraktes und Verdacht auf Cholera. Gerade chronisch erkrankte Menschen mit Nierenerkrankungen, Herz-Kreislaufstörungen oder Diabetes sind oft von jeglicher medizinischen Versorgung abgeschnitten. Vor allem Kinder und Schwangere haben große gesundheitliche Probleme.

Viele Menschen haben außerdem psycho-soziale Probleme. Der Konflikt und die Leiden, die damit einhergehen, hinterlassen bei vielen nicht-sichtbare Spuren. Wir versuchen, ihnen durch therapeutische Gespräche wenigstens Ansätze zu zeigen, wie sie sich selbst helfen können.

Im Jemen betreiben „Ärzte ohne Grenzen“ einen der größten Einsätze weltweit mit mehr als 1.500 Mitarbeitern, doch in der Öffentlichkeit findet das arabische Land wenig Beachtung. Ist der Krieg eine vergessene Katastrophe?

Westphal: Die Not im Jemen findet nicht die Beachtung, die sie finden sollte. Das hat aus europäischer Sicht viel damit zu tun, dass keine Menschen aus dem Jemen an Europas Grenzen auftauchen, weil sie das schlichtweg nicht können. Der Konflikt ist leichter auszublenden, weil die Menschen nicht wie andere Flüchtlinge vor unserer Haustür stehen. Das ist besonders zu bedauern, weil auch Staaten, die einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat haben, eine aktive Rolle in dem Konflikt spielen. Großbritannien unterstützt beispielsweise die saudi-arabisch angeführte Koalition an der Seite der jemenitischen Regierung.

Was muss getan werden?

Westphal: Unserer Meinung nach geht es nicht nur um öffentliche Aufmerksamkeit: Die mächtigsten Staaten der Welt müssen sich dafür einsetzen, dass die Angriffe auf Zivilisten und Krankenhäuser sofort eingestellt werden.

Krankenhäuser von „Ärzte ohne Grenzen“ wurden bereits von beiden Konfliktparteien bombardiert. Sehen die Kriegsparteien die Hilfsorganisationen nicht als neutral an?

Westphal: Es wird immer versichert, dass „Ärzte ohne Grenzen“ nicht bewusst das Ziel der Angriffe sind. Die Konfliktparteien müssen aber viel mehr tun, um sicherzustellen, dass humanitäre Hilfe leichter zur Bevölkerung gelangen kann. Auch Hilfsorganisationen sind stärker gefordert, um dieser schweren humanitären Krise angemessen begegnen zu können. Es ist für humanitäre Helfer allerdings enorm schwierig und gefährlich, in diesem rücksichtslosen Krieg zu arbeiten. (epd/mig) Aktuell Ausland Interview

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