Holocaust-Gedenken in der Slowakei

Eine andere Welt, die nicht vergessen werden darf

Ein knappes Jahr ist es erst her, dass in der Slowakei das erste Holocaust-Museum öffnete. Zugleich feierte eine Neonazi-Partei Erfolge bei der Parlamentswahl. Überlebender Pavel Gross würde ihrem Anführer gerne einmal von seiner Zeit im KZ erzählen.

Natürlich hat Pavol Gross die Bilder gesehen: Marian Kotleba, Chef der rechtsextremen „Volkspartei Unsere Slowakei“ läuft in einer Uniform, die an Nazis erinnert, über einen slowakischen Marktplatz. Der Holocaust-Überlebende Gross sitzt in seinem Wohnzimmer in Bratislava, in den Regalen hat er eine Sammlung von Mineralien aus seiner Karriere als Geologe, und schüttelt den Kopf: „Schon meinen Enkeln kommt es ja vor wie Geschichten aus einer anderen Welt, wenn ich von damals erzähle“, sagt er.

Die andere Welt: Das ist die Slowakei zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, in der der Jude Pavol Gross als Kind in einem KZ interniert war. Heute sitzen in der Slowakei Rechtsextremisten im Parlament, bei der Wahl im vergangenen Frühjahr erhielten sie acht Prozent.

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Dem politischen Rechtsruck zum Trotz hat vor rund einem Jahr das erste Museum eröffnet, dass sich mit der Zeit des Holocaust in der Slowakei beschäftigt. Die Gedenkstätte liegt im Städtchen Sered, eine Dreiviertelstunde entfernt von Bratislava. Hier wurde 1941 ein Arbeitslager für jüdische Zwangsarbeiter eingerichtet, darunter auch Pavel Gross mit seiner Familie. Seit 1942 war es Sammelzentrum für Transporte in deutsche Vernichtungslager. Bis 1945 wurden aus insgesamt drei Lagern mehr als 70.000 Juden aus der Slowakei nach Auschwitz und Theresienstadt deportiert und ermordet.

Der Holocaust war in der Slowakei über Jahrzehnte ein Tabuthema. Nach Kriegsende wurde aus dem Lager Sered eine Kaserne: Generationen von jungen Soldaten haben dort ihre Grundausbildung absolviert, wo in den 1940er Jahren Juden interniert und ermordet wurden. „Es kommen immer wieder Besucher, die sagen: Da vorne, da war ich während meines Militärdienstes einquartiert“, sagt Matej Beranek, Historiker und Programmleiter des Museums.

„Wir hatten bislang mehr als 9.000 Besucher, die meisten von ihnen waren Schülergruppen“, erklärt Beranek. Die Ausstellung vermittelt einen Überblick über die Slowakei in der Zeit der Judenverfolgung.

Es ist ein düsteres Panorama, das hier gezeichnet wird. „Wir Slowaken haben uns ohne Zwang entschieden, die Juden loszuwerden“, so beschreibt es Matej Beranek. 1939 wurde die Slowakei zum ersten Mal eigenständig als Folge von Hitlers Besatzung Tschechiens. An der Regierung war die Partei des katholischen Priesters Josef Tiso. Im Jahr 1941 verabschiedete sie den sogenannten Juden-Kodex: „Die strengsten Rassegesetze gegen Juden sind slowakisch“, brüstete sich damals die Zeitung „Ludove Noviny“ auf der Titelseite.

„Inhaltlich war es vor allem ein ökonomischer Antisemitismus“, sagt Historiker Beranek. Es sei zunächst darum gegangen, das Eigentum der jüdischen Familien zu stehlen. „Dieser Teil der Geschichte ist noch nicht aufgearbeitet, es gab keine große Selbstreflexion“, kritisiert Beranek.

1942 schlossen slowakische und deutsche Regierung dann eine Übereinkunft: In ihr verpflichteten sich die Slowaken, für jeden Juden, den sie den Nazis auslieferten, 500 Reichsmark nach Berlin zu zahlen. „Die slowakischen Juden waren die ersten, die in den Lagern Majdanek und Auschwitz-Birkenau ermordet wurden“, erklärt die Internationale Gedenkstätte Yad Vashem.

Der Holocaust-Überlebende Gross kennt beide Phasen des KZ Sered: „Am Anfang war es ein Arbeitslager, betrieben von slowakischen Garden.“ Die zweite, besonders brutale Etappe brach im Jahr 1944 an, als die Deutschen die Slowakei besetzten und auch die Hoheit über das KZ übernahmen. Unter dem gefürchteten SS-Mann Alois Brunner herrschte ein sadistisches Regime.

Einen kurzen Hoffnungsschimmer gab es im Sommer 1944: Am 29. August 1944 lehnten sich Bürger bei einem Nationalaufstand gegen das klerikal-faschistische Regime von Josef Tiso auf, gewannen die Oberhand und befreiten die drei slowakischen Arbeitslager. „Sie sagten uns: ‚Geht heim!'“, erinnert sich Pavol Gross. „Aber wo sollten wir hin? Die Werkstatt meines Vaters war arisiert, in unserer Wohnung lebten jetzt andere Slowaken.“

Kurz darauf marschierten die Deutschen in der Slowakei ein, der Nationalaufstand wurde niedergeschlagen, die alte Regierung wieder eingesetzt – und die Juden wieder in die KZs eingesperrt. Pavol Gross überlebte, und mit ihm seine Schwester und die Eltern. „Ich glaube nicht an Wunder“, sagt er und macht eine kurze Pause. „Aber das ist eines.“

Die Ernüchterung indes kam schnell. Als die Familie, ausgelaugt von den Jahren im Lager, wieder in ihrem Heimatort Banovce ankam, begrüßte sie niemand. „Eine Frau raunte uns zu: ‚Es kommen ja mehr von euch zurück, als weggegangen sind'“, erzählt Pavol Gross. „Das war der Moment, in dem uns klar war, dass wir dort nicht bleiben können.“

Die Familie zog nach Bratislava. Von dort aus beobachtete sie, wie es in der Slowakei immer wieder zu Pogromen gegen Juden kam, auch lange nach dem Krieg. Pavol Gross schüttelt den Kopf. Natürlich weiß er, wie schwierig es ist, beim Blick in die Vergangenheit ganz von vorne anzufangen. Deshalb spricht er vor Schulklassen, immer wieder erzählt er seine Familiengeschichte.

Und die Neonazis im Parlament von heute, die rechtsextreme „Volkspartei Unsere Slowakei“ mit ihrem Anführer Marian Kotleba? Pavol Gross antwortet gleich: „Wenn er zu Besuch kommen möchte, lade ich ihn sofort ein.“ Auch ihm würde er seine Geschichte erzählen – gerade ihm. (epd/mig)