Differenz

Der Feind heißt Gewalt

Nach Terroranschlägen sind Migranten besonders besorgt. Sie fürchten politische und soziale Auswirkungen. Die Beispiele Berlin-Breitscheidplatz und Köln-Silvester 2.0 zeigen, dass es um viel mehr geht, als um Sicherheitspolitik. Von Maria Alexopoulou

Wir Migranten sind immer besonders betroffen, wenn solche Dinge wie auf dem City-Weihnachtsmarkt in Berlin passieren. Wir bedauern nicht nur die Opfer, wir haben nicht nur um uns selbst oder um unsere Kinder in Schulen, öffentlichen Verkehrsmitteln oder Plätzen Angst. Nein, in unseren Köpfen kommt auch gleich der Gedanke auf, welche rassistische Hasswelle in den sozialen Medien losbrechen wird, welche politischen Auswirkungen das haben wird und welche Folgen für das gesellschaftliche Klima mal wieder zu befürchten sind.

Nach der Silvesternacht in Köln 2015/16 war die Verschärfung des Asylrechts ein Einfaches, Political Correctness gilt inzwischen als Todsünde, racial profiling ist gang und gäbe, der rechtspopulistisch vergiftete politische Diskurs feiert Urstände. Meilensteine wie die doppelte Staatsbürgerschaft werden wieder offen infrage gestellt, Symbolpolitik wie das Burka-Verbot als substanzielle Politik verkauft.

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Diesmal ging es besonders schnell: Bereits am Morgen nach dem Anschlag in Berlin, als noch unklar war, was eigentlich passiert ist, hieß es aus Bayern, dass die Zuwanderungs- und Asylpolitik geändert werden müsse. Die AfD erklärte das Staatsversagen in der Migrationspolitik. Die Diskussion begab sich dann relativ bald auf die sicherheitspolitische Schiene und es werden nun konkrete Maßnahmen gegen „Gefährder“ erlassen, so etwa die Fußfesseln, die den verängstigten Bürger beruhigen sollen.

Aber wird es bei Sicherheitspolitik bleiben? Und was wird uns bei dieser Gelegenheit alles als Sicherheitspolitik verkauft? Im Windschatten von Berlin-Breitscheidplatz und Köln-Silvester 2.0 scheint zumindest racial profiling eine gesellschaftlich vollkommen akzeptierte Praxis geworden zu sein, jede diesbezügliche Kritik höchst verdächtig. Mir als Migrantin macht das Angst.

Der Attentäter, der den aktuellen sicherheitspolitischen Aktionismus auslöste hat das deutsche Asylrecht missbraucht, hat im Namen des IS gehandelt. Und wenn die Sicherheitsbehörden und das gesamte System besser funktioniert hätten, wäre er schneller nach Tunesien abgeschoben worden, um vielleicht dort seinen Anschlag auszuüben.

Aber ändert der Fall Amri wirklich etwas am globalen Phänomen Flucht und Migration? Ändert dieser Fall etwas an der Tatsache, dass ein Teil dieser Fliehenden und Schutzsuchenden nach Deutschland und Europa kam und kommt? Ändert er etwas daran, dass viele dieser „Anderen“ seit Jahrzehnten in Deutschland leben? Denkt man außerdem wirklich, dass der IS unabhängig von den Fluchtbewegungen keine Möglichkeit finden würde, um gefährliche Psychopaten nach Europa zu schleusen oder einheimische zu radikalisieren?

Sollen nun etwa, ganz nach „Trump-Manier“, keine Muslime mehr nach Deutschland einreisen dürfen und alle Muslime unter Generalverdacht stehen? Und was ist mit uns restlichen Migrant*innen, die wir schon ein Leben lang hier sind? Sind wir auch irgendwie suspekt? Wo wird da genau die Grenze gezogen? Eine alternative, ebenso unsinnige Idee: Warum werden denn nicht einfach alle Männer abgeschoben oder eingesperrt? Die allermeisten Terroranschläge, auch die der rechten Rassisten, gehen doch auf ihr Konto.

So ist das eben mit der Differenz: welche ist wegen was wann relevant?

Gewalt kennt weder Nationalität noch Herkunft. Der IS hat kein Patent auf Terror und Gewalt in Europa. Europa und auch deutscher Boden waren im 20. Jahrhundert Schauplatz unvorstellbaren Terrors und Gewalt. Der Holocaust bleibt weiterhin ihre grausamste Ausprägung. Immer war irgendeine Differenz, die so wesenhaft, essenziell, unauslöschlich zu sein schien, zumindest die vorgebliche Ursache dieser kollektiven Gewalt. Auch der IS legitimiert seine Gewalt auf Grundlage einer essenzialisierten Differenz, der gemäß Menschen nach religiöser Ausrichtung in lebenswerte und jene, die nicht leben sollen, bzw. die zu töten gar eine edle Tat ist, zu unterscheiden sind.

In der Berliner Gedächtniskirche traten einen Tag nach dem Anschlag Vertreter der abrahamitischen Religionen gemeinsam gegen diese Gewalt auf. Und auch im Weihnachtsgottesdienst der hiesigen Grundschule durften muslimische Kinder ein Lied über „Allah, den Einen“, singen. Diese Solidaritätsbekundungen zwischen den Religionen sind auf eine gewisse Art herzerwärmend, fast hollywoodesk. Vielleicht sind sie auch notwendig, da sie jene inkludieren, die sich berechtigterweise oft ausgeschlossen fühlen.

Dennoch wirkte es irritierend, dass im Gedenkgottesdienst in Berlin Weihnachten so zentral thematisiert wurde, an das ja die daran beteiligten Imame und der anwesende Rabbiner nicht glauben. Die religiöse Differenz ist ja nicht zu leugnen und Weihnachten als Rahmung dieses Zusammenstehens gegen Gewalt ließ sie noch größer erscheinen. Beim Zuschauen konnte also durchaus der Eindruck entstehen, dass es dabei wieder einmal um eine Bewehrungsprobe für Muslime in Deutschland ging: Denn gerade in der demonstrativen Affirmation der Differenz im Gotteshaus der „Anderen“ bestand die Beteuerung, Gewalt, die aus religiöser Differenz erwächst, abzulehnen.

Nährt eine derartige Praxis aber letztlich nicht den Verdacht, dass der Islam irgendwie doch gefährlich ist und deshalb abgemildert oder vereinheitlicht werden sollte, indem man ihn beispielsweise in den christlichen Gottesdienst integriert? Suggeriert diese Praxis nicht, dass dem Islam in seinem Wesen etwas anhaftet, das man in den Stätten christlichen Glaubens reinwaschen kann? Und was viel entscheidender ist: Verschleiert eine derartige Praxis nicht, dass Differenz eben nicht per se Auslöser von Gewalt ist, sondern schon immer benutzt wurde, um Menschen zu Gewalt zu motivieren, sie ihnen schmackhaft zu machen?

Selbst dann, wenn es sich, wie etwa bei der vermeintlichen Differenzkategorie „Rasse“, um reine Fiktion handelt? Ist das in der Menschheitsgeschichte noch nicht hinlänglich bewiesen worden? Warum müssen wir dann weiterhin auf die Differenz, ob nun als Positivum oder Negativum, fokussieren und ihr eine derartige Relevanz einräumen? Warum lassen wir uns vorgaukeln, Gewalt sei tatsächlich Ergebnis von Differenz, die deshalb vereinheitlicht, passend gemacht, assimiliert, ausgelöscht, und wenn das nicht geht, ausgegrenzt werden muss?

Anis Amri waren Differenz und Religion schnuppe. Er war ein Kleinkrimineller, ein wohl aus biografischen Gründen zum Gewalttäter mutierter Mann, der sein in ungerechte globale Strukturen eingebettetes persönliches Scheitern mit Menschenhass beantwortete. Die Rattenfänger des IS haben ihn gekriegt, sein Gewaltpotenzial für ihre Zwecke genutzt. Wenn Fußfesseln irgendwas gegen solche Leute ausrichten, von mir aus.

Für universelle Problematiken wie Gewalt ist Differenz jedoch nicht verantwortlich, da wird das Schließen von Grenzen, die Differenz draußen lassen sollen, nichts helfen. Denn sie wird instrumentalisiert, um Gewalt, die in ihrer kollektiven Form meist handfesten Machtinteressen dient, legitim erscheinen zu lassen. Für diesen Zweck lässt sich Differenz dann auch ganz einfach erfinden und muss nicht einmal real sein.

Vor etwa zwanzig Jahren titelte „Der Spiegel“ eine Ausgabe mit „Gefährlich Fremd“. Es hat eine lange Tradition, Probleme in der Einwanderungsgesellschaft oder Untaten einzelner „Migrationsanderer“ reflexartig auf Fremdheit, auf Differenz zu schieben. Differenz, so die Implikation, ist per se gefährlich und ihr kann nur mit Verschärfungen der Migrations- und Asylpolitik begegnet werden. Dass man aber gerade in Deutschland immer wieder so stark in diese Richtung argumentiert, ist lächerlich. Denn würde man das damit verbundene Denken von essenzialisierter Differenz zwischen wesenhaft unterschiedlichen „Völkern“ und Kulturen so ernst nehmen, wie man es aktuell beim „Nordafrikaner“ tut, müsste man sich hierzulande bis zum Sankt Nimmerleinstag vom eigenen Rassismus kurieren.