Mölln, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Brandanschlag, Türken
Mölln 1992, Neonazis verüben einen Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus. Drei Menschen sterben in den Flammen.

Eine bewegende Rede

Flüchtling in Deutschland zu sein

Heute vor 24 Jahen wurde in Mölln das Haus der Familie Arslan von Neonazis angezündet. Die 10-jährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayşe Yilmaz und die 51-jährige Bahide Arslan starben in den Flammen. Doğan Akhanlı hat eine bewegende Rede anlässlich dieses Verbrechens gehalten. MiGAZIN veröffentlicht ihn in voller Länge.

Von Mittwoch, 23.11.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.11.2016, 16:56 Uhr Lesedauer: 16 Minuten  |  

Ohne den Brandanschlag im November 1992, bei dem die 10-jährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayse Yilmaz und die 51-jährige Bahide Arslan ermordet wurden, wäre mir Mölln als Stadt und als Begriff wahrscheinlich gleichgültig geblieben. Als ich davon hörte, dass in einem kleinen Ort im Norden von Deutschland drei Menschen verbrannten, weil sie als Ausländer betrachtet wurden, hatte ich gerade mit meiner Familie eine lange Verfolgung in der Türkei hinter mich gebracht und wir wollten in Deutschland ein neues Leben beginnen. Auch deshalb kann ich dieses Wort, diesen Ort, diesen Tatort, nicht neutral aussprechen.

„Mölln fühlt sich unschuldig“, so schrieb „Die Zeit“ im Dezember 1992. Obwohl während der Landtagswahlen vor den Möllner Brandanschlägen vom 23. November 1992 11,4 Prozent der Möllner Wähler und Wählerinnen ihre Stimme den rechtsradikalen Parteien „Deutsche Volksunion“ (DVU) und „Republikaner“ gegeben hatten, fühlte Mölln sich unschuldig.

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Zwei Jahre nach dem Brandanschlag sagte ein Einwohner Möllns während einer Wahlkampfveranstaltung: „Ich habe mich damals aufgerafft, in einer Diskussion die Türken zu fragen: ‚Warum schließt Ihr Eure Frauen immer ein, wenn Ihr weggeht?‘ Da wurde mir gesagt“, so hatte es jedenfalls der Möllner Bürger gehört: „’Das ist Kultur, das geht Sie gar nichts an.‘ Wenn die Frauen“, so meinte der Möllner Bürger daraufhin weiter, „nicht eingeschlossen gewesen wären, dann wären sie auch nicht verbrannt.“

„Mölln fühlt sich unschuldig.“

Nach der Renovierung des ausgebrannten Hauses stellte die Stadt die Überlebenden vor die Wahl: entweder in einen Wohncontainer oder zurück in die Mühlenstraße 9. Die Arslans entschieden sich für ihr altes Zuhause.

Info: Diese Rede hat Doğan Akhanlı am 20.11.2016 in Köln gehalten im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die Möllner Rede„, die in diesem Jahr zum sechsten Mal veranstaltet wurde.

„Die Jahre dort“, sagte Ibrahim Arslan, „waren die Hölle. Immerzu musste ich über die Stelle laufen, wo meine Oma lag, im Zimmer schlafen, wo Yeliz und Ayse gestorben sind, aus dem Fenster schauen, aus dem meine Mutter sprang.“ Und sein Vater Faruk Arslan hielt anfangs jede Nacht bis morgens um sechs, sieben Uhr Wache, bis die Kinder aufgewacht sind, aus Angst vor einem erneuten Anschlag. (Spiegel, 20. November 2012)

Aber: „Mölln fühlt sich unschuldig.“

Ich kenne dieses Gefühl, aus Angst vor einem Anschlag in der Nacht wach zu bleiben, bis die Sonne aufgegangen ist. Während des Brandanschlags in Mölln lebte ich nämlich mit meiner Familie in einem Asylbewerberheim. Zusammen mit einer kurdischen Familie. Wir teilten uns einen Klassenraum der heutigen VHS in Bergisch Gladbach. Nachts hielten wir ständig Wache. Meine Exilgeschichte in Deutschland ist mit dem Brandanschlag in Mölln sehr stark verbunden.

Vater Faruk Arslan fühlte sich – im Gegensatz zu „Mölln“ – schuldig. Er hatte den Abend bei seinem Bruder in Hamburg verbracht. „Ein Freund rief mich an, Euer Haus brennt!“ So erreichte ihn die schreckliche Nachricht. Als er mit seinem Bruder in Mölln ankommt, lodern die Flammen noch immer. Seitdem kann er „niemals aufhören“, sich vorzuwerfen, dass er in jenen Stunden nicht bei seiner Familie war.

Als Hunderte Menschen im Hamburger Flughafen, darunter auch die Überlebenden der Familie Arslan, Abschied nahmen von Ayse Yilmaz, von Yeliz und von Bahide Arslan, die in die Türkei überführt wurden, wurden auch wütende Protestrufe laut. Hamburger Polizisten prügelten auf die Menge ein. Auch sie fühlten sich nicht schuldig. Sie schämten sich nicht einmal dafür, dass sie auf die Überlebenden der Familie Arslan eingeschlagen hatten.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl schämte sich genauso wenig, als er es ablehnte, an der Trauerfeier in Mölln teilzunehmen. Er prägte das Wort vom „Beileidstourismus“. Den wolle er nicht unterstützen. Schuldig fühlte er sich ohnehin nicht am Mordanschlag.

Die Familie Arslan lebte bis zum Jahr 2000 trotz allem in Mölln. Die Familienmitglieder nahmen jeden November an der Gedenkfeier teil. Bis Beate Klarsfeld von der Redeliste gestrichen wurde. Die Frau, der wir die Ohrfeige für den damaligen Bundeskanzler Kiesinger zu verdanken haben, die juristische Bestrafung zahlreicher Massenmörder u.a. auch von Klaus Barbie, des Schächters von Lyon, von Kurt Lischka, des früheren Gestapo-Chefs von Paris und des in Syrien lebenden Eichmann-Stellvertreters Alois Brunner. Familie Arslan hatte sich Beate Klarsfeld als Hauptrednerin gewünscht. Diese Vorkämpferin bei der Aufarbeitung der überdimensionalen deutschen Gewaltgeschichte hat die letze Möllner Rede im Rahmen der offiziellen Gedenkfeier in Mölln gehalten.

Dann musste die Möllner Rede ins Exil gehen. Es ist außergewöhnlich, dass eine Rede ins Exil geht.

Eine der Möllner Rede im Exil wurde von Argyris Sfountouris gehalten. Er hatte das SS-Massaker im griechischen Distomo am 10. Juni 1944 überlebt. Er war dreieinhalb Jahre alt, als seine Eltern und dreißig seiner Familienangehörigen ermordet wurden.

Ich wusste weder von Beate Klarsfeld noch von Argyris Sfountouris, als ich Ende 1991 nach Deutschland geflüchtet war. Ich wusste wenig über die deutsche Vergangenheit. Als ich nach Deutschland kam, ereigneten sich die rassistischen Übergriffe in der Stadt Hoyerswerda. Ein Wohnheim für Vertragsarbeiter sowie ein Flüchtlingswohnheim wurden angegriffen. Bis zu 500 Personen standen vor den Heimen und beteiligten sich an den Angriffen. Wenige Monate später, im Sommer 1992, wiederholten sich diese rassistischen Angriffe. Und zwar in Rostock-Lichtenhagen. Mehrere hundert rechtsextreme Randalierer beteiligten sich an den Gewalttätigkeiten und behinderten zusammen mit tausend Zuschauern, die die Täter beklatschten, den Einsatz von Polizei und Feuerwehr. Leitartikel Meinung

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  1. Magistrat sagt:

    Wenn man bedenkt, wie viele damals noch DVU, REP oder NPD gewählt haben und wie rechts noch eine CDU unter Kohl war, dann wundert man sich nicht mehr über die AfD, die das Sammelbecken für die vielen ist, die sich in der heutigen Parteilandschaft verlorenen fühlen.

    Die Türken haben hierzulande großartiges geleistet und haben ihre starke Mentalität unter Beweis gestellt. Wer kann es der gut ausgebildeten 2./3. Generation verdenken, dass sie heute in Scharen in die Heimat der Eltern emigrieren…