Erdbeben in Ecuador

Wiederaufbau zwischen Frust und Zuversicht

Ein halbes Jahr nach dem schweren Erdbeben an der Küste Ecuadors versuchen die Menschen zum Alltag zurückzufinden. Doch der Wiederaufbau geht nur langsam voran. Die zugesagten Wirtschaftshilfen lassen auf sich warten.

Seinen Verlust hat Jaime Dueñas jeden Tag vor Augen. „Hier stand der Supermarkt“, sagt der 54-Jährige traurig und zeigt auf sein Grundstück – nichts als Erde, Stein und Sand. Bei dem Erdbeben vor sechs Monaten ist das dreistöckige Gebäude im Zentrum von Canoa, einem kleinen Badeort an der Küste Ecuadors, komplett eingestürzt. Dueñas war unter den Trümmern gefangen. „Meine Familie hat mich rausgeholt“, erzählt der Unternehmer und ist dankbar, am Leben zu sein. Seinen zweiten kleinen Laden hat Dueñas vor gut einem Monat wiedereröffnet. Das Geschäft war vollständig geplündert worden. „Jetzt fangen wir nochmal von vorne an.“

Am 16. April erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 die ecuadorianische Küste. 671 Menschen kamen nach offiziellen Angaben ums Leben. Ganze Städte und Dörfer in den Küstenprovinzen Manabí und Esmeraldas wurden zerstört, rund 230.000 Menschen wurden obdachlos. In Canoa, rund 90 Kilometer vom Epizentrum entfernt, stürzten mindestens 60 Prozent aller Häuser ein. Ein halbes Jahr später sind die Trümmerberge beseitigt, einige Geschäfte, Hotels und Restaurants haben wieder geöffnet. Die Menschen versuchen zum Alltag zurückzukehren.

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20.000 Menschen verloren ihre Arbeit

Auf rund 3,34 Milliarden US-Dollar beziffert die Regierung die Kosten für den Wiederaufbau. Rund ein Drittel ist für die wirtschaftliche Reaktivierung vorgesehen. Die Wirtschaft der Region – abhängig von Tourismus, Fischfang und Landwirtschaft – liegt am Boden. Mehr als 20.000 Menschen verloren nach Schätzungen der Regierung ihre Arbeit. Knapp 1,4 Milliarden Dollar sollen für Gesundheit, Bildung und Wohnungsbau verwendet werden.

In Zentrum von Canoa hat das Ministerium für Wohnungsbau Ende September bereits einzelne Häuser aus Kunststoffpanelen aufgebaut. Sie sind aber noch nicht bezugsfertig, teilweise fehlen Fenster oder Wasseranschlüsse. Rund 1.000 der etwa 3.500 Einwohner wohnen nach Angaben der Gemeinde noch in Zeltstädten. Landesweit waren Anfang Oktober rund 7.000 Menschen in staatlichen Notunterkünften untergebracht, mehr als 10.000 lebten laut einem im August veröffentlichten Bericht des Komitees für Wiederaufbau in provisorischen Lagern.

Umsiedlung ohne Siedlung

Die Mehrheit der Betroffenen soll nach Plänen des Ministeriums in Wohnsiedlungen umsiedeln, die vor einer möglichen Tsunamiwelle sicher sind. In Canoa sind zwei solcher Anlagen für insgesamt 180 Familien geplant. Die einstöckigen Häuser kosten rund 10.000 Dollar, 90 Prozent der Kosten übernimmt der Staat, zehn Prozent tragen die Familien.

Ruben Mera hat eine Zusage für ein solches Haus bekommen. Seit Mai wohnt der 36-Jährige mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in „Chinatown“, so wird die staatliche Notunterkunft wegen der von der chinesischen Regierung gespendeten Zelte genannt. Wann Mera umziehen kann, ist ungewiss. Die Siedlung soll nach und nach übergeben werden und in spätestens sieben Monaten fertig sein, heißt es aus dem Ministerium.

Keine staatliche Hilfe

Sein eigenes Restaurant „Brisas del Mar“ an der Strandpromenade hat der Koch zügig wieder aufgebaut. Das Dach aus Bambus und Palmenblättern war teilweise eingestürzt. „Wir haben unser Erspartes investiert“, berichtet Mera. Staatliche Hilfe habe er dafür nicht bekommen.

Viele Familien wollten wieder arbeiten, ihnen fehle aber das Geld für einen Neuanfang, betont Magalhy Naranjo von „Comparte Ecuador“ (Teile Ecuador). Die private Hilfsorganisation unterstützt besonders bedürftige Familien, wirtschaftlich wieder auf die Füße zu kommen.

Tourismus eingebrochen

Von den staatlich zugesagten Wirtschaftshilfen scheint in Canoa bislang noch nichts angekommen zu sein. Es fehlten finanzielle Anreize zum Wiederaufbau und günstige Kredite für Unternehmer, kritisiert Javier Patiño, Präsident der Hotelvereinigung in Canoa. 22 der rund 70 Hotels seien eingestürzt, alle anderen hätten kleinere oder größere Schäden erlitten. Die nötigen Reparaturen an seinem Hostal habe er aus eigener Tasche bezahlt.

Canoa lebt vom Tourismus. Doch die Zahl der Gäste ist nach dem Beben eingebrochen. „Viele glauben, dass es in Canoa nichts mehr gibt“, sagt Restaurantbesitzer Mera frustriert. Mit sportlichen und kulinarischen Veranstaltungen wollen Regierung und Gemeinde den Tourismus wieder ankurbeln. Mera und Hotelier Patiño hoffen, dass die Marketinginitiative bis zu Beginn der Weihnachtssaison Wirkung zeigt. (epd/mig)