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Erste umfassende Studie

Flüchtlinge teilen deutsche Wertvorstellungen

Der Wunsch von Flüchtlingen nach Bildung ist viel höher als bisher angenommen. Auch gibt es mehr gemeinsame Wertvorstellungen bei Geflüchteten und Deutschen. Das sind zentrale Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Flüchtlingen.

Mittwoch, 16.11.2016, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Nach Deutschland gekommene Flüchtlinge teilen im Großen und Ganzen die Wertvorstellungen der Deutschen. Wie aus den am Dienstag in Berlin vorgestellten Ergebnissen einer großangelegten Befragung hervorgeht, sind 96 Prozent der Schutzsuchenden der Meinung, „man sollte ein demokratisches System haben“. Das finden auch 95 Prozent der Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Dass Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben sollen, finden in beiden Gruppen 92 Prozent.

Unterschiede ergeben sich aber beim detaillierten Nachfragen. So stimmen 29 Prozent der Flüchtlinge der Aussage zu, dass ein höheres Einkommen der Frau zu Problemen in der Partnerschaft führen kann, während das in der deutschen Bevölkerung 18 Prozent finden. Und während 13 Prozent der Geflüchteten finden, ein Religionsführer sollte letztlich die Auslegung von Gesetzen bestimmen, meinen das nur acht Prozent der Deutschen. Der Unterschied zum Herkunftsland ist dabei aber wesentlich deutlicher. In Krisenländern finden das laut World Value Survey 55 Prozent.

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Werteverständnis dem deutschen näher

Der Direktor des Sozio-oekonomischen Panels am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Jürgen Schupp, schlussfolgert, dass vor allem diejenigen aus Krisenstaaten nach Deutschland flüchten, deren Werteverständnis dem deutschen näher steht als dem der Herkunftsländer.

Das DIW hat gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die erste großangelegte Befragung von Flüchtlingen, die zwischen 1. Januar 2013 und 31. Januar 2016 nach Deutschland gekommen sind, gestartet. Mehr als 2.300 Schutzsuchende über 18 Jahren wurden zu Einstellungen, Ausbildung, Motiven der Flucht und bisherigen Erfahrungen befragt.

Wunsch nach Bildung hoch

Dies soll nun jährlich wiederholt werden, um Aussagen über die Wirksamkeit einzelner Integrationsmaßnahmen treffen zu können, erläuterte IAB-Forschungsleiter Herbert Brücker. Nach den Ergebnissen kommt er zu dem Schluss, dass Flüchtlinge eine hohe Bildungsorientierung haben, auch wenn es ein Gefälle zur deutschen Bevölkerung gibt. 58 Prozent der Neuankömmlinge haben der Studie zufolge in ihrer Heimat zehn Jahre oder mehr eine Schule besucht, in Deutschland gilt das für 88 Prozent. 37 Prozent der Geflüchteten besuchten eine weiterführende Schule, 31 Prozent eine Mittelschule, zehn Prozent nur eine Grundschule und neun Prozent gar keine Schule. 31 Prozent waren auf Hochschulen oder in beruflichen Bildungseinrichtungen.

Zwei Drittel der im Durchschnitt jungen Flüchtlinge wollen Brücker zufolge in Deutschland einen Berufs- oder Hochschulabschluss machen. Für die meisten ist das allerdings eine längerfristige Perspektive, weil sie zunächst einmal Geld verdienen wollen. Der Wunsch nach Bildung sei hoch und wichtiger als bisher angenommen, erklärte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) anlässlich der Studie. Investitionen in Spracherwerb und Qualifizierung seien der richtige Weg.

Viele Asylsuchende Opfer von Gewalt

Die Studie zeigt zudem, dass die Flucht den Schutzsuchenden viel abgefordert hat. Zwei Fünftel der Männer und ein Drittel der Frauen ahben bei ihrer Flucht nach Deutschland körperliche Gewalt erfahren. 15 Prozent der Frauen und vier Prozent der Männer berichten von sexuellen Übergriffen. Mehr als die Hälfte gibt der Studie zufolge an, Opfer von Betrug oder Ausbeutung geworden zu sein.

Im Durchschnitt mussten die Flüchtlinge mehr als 7.000 Euro für ihre Flucht ausgeben, das meiste davon für Verkehrsmittel und Fluchthelfer beziehungsweise Schleuser. Für Unterkunft gaben sie im Schnitt nur rund 460 Euro aus. Die durchnittliche Fluchtdauer vom Herkunftsland direkt nach Deutschland liegt der Studie zufolge bei 35 Tagen. Gründe für die Flucht sind der Befragung zufolge vor allem Angst vor bewaffneten Konflikten und Krieg, Verfolgung, schlechte persönliche Lebensbedingungen und Angst vor Zwangsrekrutierung.

Die am Dienstag vorgelegten Ergebnisse sind nur ein erster Teil der Befragung mit insgesamt mehr als 450 Fragen an die Flüchtlinge. Weitere Auswertungen werden unter anderem zur familiären Situation, zurückgelassenen Angehörigen und den Erfahrungen mit dem Familiennachzug erwartet. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. Abraham sagt:

    Der Bericht über diese Studie zur Weltsicht der Flüchtlinge löst bei mir viele Fragen aus, zumal die Ergebnisse sich nicht nur so wunderbar mit den Wünschen Staatsführung deckt, sondern auch fast genau das Gegenteil darstellen von dem, was die Studie einer Berliner Universität vor wenigen Monaten ergeben hatte. Diese war mit den für akademische Wissenschaftler eigenartigem Votum versehen worden, dass viele Migranten ideologisch noch im Muff der Adenauer-Zeit verharrten (Keine Homo-Ehe, Familie mit Eltern und Kindern das Ideal, Kein Sex vor der Ehe, Religion wichtig…). Aber dass nun doch alles völlig anders sein soll und die orientalischen und afrikanischen Migranten demokratischer als die Mitteleuropäischen Demokraten gesinnt sein sollen, macht mich doch neugierig bis stutzig:
    Wie genau lauteten die Fragen, die gestellt wurden? Wer füllte die Bögen aus, wieviele Befrage verweigerten die Auskunft, nach welchem Prinzip wurden die Testpersonen ausgewählt? Gibt es bei der Auswertung Konsens oder liegen verschiedene Interpretationen der Migranten-Weltsicht vor?
    Die Erfahrungen mit der höchts unseriösen „Mittel-Studie“ aus Leipzig hat ja gelehrt, dass so manche Befragung mehr über den Durchführenden als über die Befragten aussagt.

  2. Magistrat sagt:

    @Abraham
    Die von Ihnen aufgeführten vermeintlich weniger demokratischen Wertvorstellungen „Keine Homo-Ehe, Familie mit Eltern und Kindern das Ideal, Kein Sex vor der Ehe, Religion wichtig…“ sind auch hierzulande von echten Demokraten legitim vertretbar, siehe nur die Bewegung „Demo für alle“ (bzw „La Manif pour tous“, die im demokratischen Frankreich sogar Parteistatus hat). Wieso nun mit Ankunft der Flüchtlinge ihnen ein Wertekonsens vorgegaukelt wird, den es zum Glück nicht gibt, und die gelebte streitbare Demokratie unter den Teppich gekehrt wird, erschließt sich mir nicht. Liebe Flüchtlinge, in Deutschland darf jeder denken und glauben was er mag. Er darf sich auch die Frau an den Herd wünschen (wie die regierende CSU), konservative Werte vertreten und das Parteisystem kritisch betrachten. Das hier ist nämlich weder Saudi-Arabien, in dem die Monarchie heilig ist, noch Nordkorea, das keine individuelle Entfaltung kennt, sondern ein freiheitlich demokratischer Rechtsstaat, der den Straftatbestand des „thought crime“ nicht kennt. Basis für das Zusammenleben ist das GG, gesetzestreues Verhalten ist das A und O. Kein Gesetz in Dtld schreibt dem Einzelnen ein bestimmtes Wertverständnis vor. Im Gegenteil, der freiheitlich demokratische Staat enthält sich jeder Bewertung und hält sowohl erzkatholische 12-Stämme, als auch die Gender-queerfront aus.

  3. munsterEi sagt:

    @Magistrat

    Sie haben vollkommen recht mit dem was Sie schreiben. Es wird nur verdammt schwierig für Sie noch gegen die AfD zu argumentieren ohne heuchlerisch und unglaubwürdig zu sein. Und glauben Sie tatsächlich, dass ein provokatives Benehmen seitens der konservativen Muslime hier ein friedliches Zusammenleben ermöglicht? Und allen ernstes Muslime auch noch als Gewinner dieses Kulturkampfs hervorgehen? Im heutigen Europa? Ich hoffe für Sie, sie haben ein Plan B.

    Sie wiegeln auf. Sie sind einer der sich als Opfer eines Staates generiert der toleranter, großzügiger und offener ist, als Sie es jemals selbst sein könnten.

  4. Magistrat sagt:

    Was genau, ist provokant, wenn Muslime teilweise die selben Wertvorstellungen wie hiesige Christen hegen? Und wieso wiegelt das auf, wenn man den Spiegel vor hält und auf die Gemeinsamkeiten hinweist?? Das ist genau das Gegenteil von Kulturkampf, den ja AfD und Islam“kritiker“ gerne herbeiwünschen. Ich habe lediglich aufzeigen wollen, dass die tlw konservativen Wertvorstellungen der „neuen“ Flüchtlinge auch in einer freiheitlichen Demokratie von ihren „Gegenspielern“ legitim vertreten werden. Das rüttelt allenfalls an dem Weltbild so mancher Kritiker, ist aber beim besten Willen nicht aufwieglerisch.

  5. munsterEi sagt:

    @Magistrat

    Denken Sie bitte immer nur daran, dass Einwanderung von ausländischen Muslimen und ihr Beleiberecht keine Grundrechte sind. Wenn der Bogen überspannt wird, dann wird ganz einfach die Einwanderung massiv eingeschränkt und die Anzahl von Ausweisungen erhöht, vollkommen legal. Um ehrlich zu sein erinnert mich ihr „Aufruf“ an den Tiefflug eines Klassenclowns. Sie sind unfähig die Konsequenzen ihrer Gedanken zu erfassen oder es ist Ihnen egal. Sie provozieren zu einer denkbar schlechten Zeit.
    Die muslimischen Gäste sollten sich sehr zurückhaltend verhalten und respektvoll mit den Gastgebern umgehen. Alles andere ist eine nicht zu akzeptierende Anmaßung die nur nach hinten los gehen soll. Solche Trumps sind dann doch schneller da als uns lieb ist.

  6. Magistrat sagt:

    @munsterEi
    Haben Sie den Text gelesen? Es geh dort um Flüchtlinge und ihre Wertvorstellungen. Wenn Sie hier Stimmung für Trump machen wollen, haben Sie sich vielleicht im Forum geirrt.