Nürnberger Prozess

Internationaler Militärgerichtshof fällte vor 70 Jahren seine Urteile

Mord, Folter, Krieg: Nur wenige Monate nach Kriegsende begann in Nürnberg der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher der Nationalsozialisten. Vor 70 Jahren wurden die Urteile gesprochen.

Es war der Moment, „auf den Millionen freiheitsliebender Menschen auf der ganzen Welt sehnsüchtig gewartet haben“, so beschrieb es vor 70 Jahren der Korrespondent des Berliner Rundfunks, Markus Wolf: Der Internationale Militärgerichtshof, eingerichtet von den alliierten Siegermächten, sprach am 30. September und 1. Oktober 1946 in Nürnberg die Urteile über Mitglieder der NS-Führungselite.

Zwölf Angeklagte wurden zum Tode verurteilt, darunter Hermann Göring, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Hans Frank und die Generäle Wilhelm Keitel und Alfred Jodl. Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Heinrich Himmler hatten bereits im Frühjahr Suizid begangen. Drei Männer erhielten lebenslange Haft, vier langjährige Gefängnisstrafen. Drei Angeklagte entließ das Gericht in die Freiheit.

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„Mit den Nürnberger Prozessen begegneten die Alliierten dem unvorstellbaren Ausmaß der Gewaltverbrechen mit den Mitteln des Rechts“, sagt Henrike Claussen, die Leiterin der Schau „Memorium Nürnberg“: „ein Weg, der neu beschritten wurde, jedoch bis heute mit der Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts Bestand hat“. In der fränkischen Metropole lägen die Wurzeln des heutigen Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. Der Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, der am 20. November 1945 begonnen hatte, gilt als Meilenstein in der Entwicklung des Völkerrechts.

Zum ersten Mal überhaupt war ein internationales Strafgericht zusammengekommen, das auf völkerrechtlicher Grundlage die persönliche Verantwortung der Angeklagten für unvorstellbare Verbrechen nachwies. Die Anklagepunkte lauteten: Verschwörung gegen den Weltfrieden, Planung und Durchführung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Massenmord an den Juden war kein eigener Anklagepunkt, er wurde vor allem unter Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhandelt.

Der Prozess sei der „bis dato einzigartige Versuch gewesen, einerseits politische Verantwortung und moralische Sühne zur Geltung zu bringen, andererseits internationale Rechtsstandards in einem Kraftakt selbst zu schaffen und ihre Sanktionierbarkeit unter Beweis zu stellen“, schreibt der Berliner Historiker Kim Christian Priemel: „Recht und Gerechtigkeit sollten gleichermaßen durchgesetzt werden.“

Auf den Hauptkriegsverbrecherprozess folgten, weit weniger medial beachtet, bis 1949 zwölf weitere Verfahren gegen Gruppen führender NS-Täter, etwa der Ärzteprozess, der Prozess gegen das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt und der Flick-Prozess. Hier sprachen jedoch ausschließlich US-Militärgerichte Recht und fällten 24 Todesurteile, von denen 13 vollstreckt wurden.

Eigentlich sollte das Auftaktverfahren gegen die Hauptverantwortlichen in Berlin stattfinden. Dass die Wahl des Gerichtsortes dann während der Londoner Konferenz im August 1945 auf Nürnberg fiel, hatte seinen Grund schlicht darin, dass die benötigte Infrastruktur dort erhalten geblieben war: Der Justizpalast an der Fürther Straße hatte den Bomben standgehalten, und das angrenzende Gefängnis garantierte den reibungslosen Ablauf der Verhandlungen.

Im Saal 600, der in einem Nebentrakt des Gebäudes lag, wurde eine Wand entfernt und eine doppelstöckige Besuchertribüne errichtet – denn das öffentliche Interesse an dem Verfahren war gewaltig: Rund 600 Prozessbeobachter und Reporter wollten über das Geschehen berichten.

Mehr als 1.000 Mitarbeiter waren im Justizgebäude mit dem Prozess beschäftigt. Dolmetscher übersetzten simultan in die Sprachen Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch. Ungezählte Sekretärinnen waren unablässig mit Schreibarbeiten befasst. Sie pressten das Verfahren in 5.330 Dokumente.

Benjamin Ferencz, US-amerikanischer Chefankläger im sogenannten SS-Einsatzgruppen-Prozess, sagte im Rückblick: Dank der Weiterentwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit könnten „die Mächtigen die Menschen nicht an der Nase herumführen, weder in den Vereinigten Staaten, noch in Deutschland, noch sonst irgendwo auf der Welt“.

Am 11. Dezember 1946 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen auf ihrer ersten Tagung einstimmig eine Resolution, die die Prinzipien des Völkerrechts bestätigte, „die vom Statut des Nürnberger Tribunals und vom Urteil dieses Tribunals anerkannt wurden“.

Die Grundlagen des Nürnberger Verfahrens erhielten universale Gültigkeit im Völkerstrafrecht. Dazu zählte etwa die Feststellung, dass jede Person, die ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, dafür strafrechtlich verantwortlich ist.

Eine Rekordzahl von mehr als 92.000 Besuchern kam im Jahr 2015 in den Nürnberger Justizpalast. Henrike Claussen: „Ich glaube, dass die Faszination dieses historischen Ortes eng mit einem grundlegenden Bedürfnis nach Gerechtigkeit verbunden ist.“ Viele Menschen sähen die Nürnberger Prozesse „als einen historischen Moment, an dem zumindest ein kleines Stück Gerechtigkeit wiederhergestellt wurde.“ (epd/mig)