Erdoğan und der Doppelpass

Über die Loyalität von Deutsch-Türken und die doppelte Staatsangehörigkeit

Erneut stellen Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft die Loyalitätsfrage. Schaut man sich die Gegner näher an, wird deutlich, dass es um etwas ganz anderes geht: um Türken. Ihnen schlägt seit Jahrzehnten Skepsis entgegen.

Der Schreck über den undemokratischen Umsturzversuch in der Türkei war gerade verwunden, schon begann Erdoğans AKP mit dem Gegenschlag. Die demokratisch legitimierte Kraft schränkt nun Grundrechte ein und höhlt den Rechtsstaat aus. Mit der Schwemme von Verhaftungen und Entlassungen untergräbt Erdoğan die Glaubwürdigkeit und Legitimität seiner Regierung. Es ist schwer hinzunehmen, dass viele Deutsch-Türken die ausufernde staatliche Reaktion unterstützen und dafür das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit in Deutschland in Anspruch nehmen.

In diesem Zusammenhang wird auch die doppelte Staatsangehörigkeit erneut diskutiert. Das durch Jens Spahn erneuerte Mantra der Unionsparteien lautet: Nur durch die Aufgabe der vorherigen Staatsangehörigkeit ist ein klares Bekenntnis zur neuen Heimat gegeben. Deutscher kann demnach nur sein, wer alle anderen Staatsangehörigkeiten aufgibt. Zuletzt hat sich sogar der linke Journalist Jakob Augstein gegen die doppelte Staatsangehörigkeit für Türken positioniert. Man muss die Unterstützung Erdoğans durch Deutsch-Türken nicht gutheißen. Aber sind die Demonstrationen der richtige Anlass, das Staatsangehörigkeitsrecht neu zu verhandeln?

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Die Verknüpfung beider Debatten läuft auf einen Gesinnungstest hinaus. Nur wer die richtigen Positionen vertritt, darf eingebürgert werden. Eines ist klar: Die Anerkennung des Grundgesetztes steht hier nicht zur Debatte. Denn schon wer sich heute einbürgern lässt, muss sich zur deutschen Verfassung bekennen.

Sollen wir also noch weiter gehen? Sollen wir unterschiedliches Recht für oppositionelle Türken und Erdoğan-Unterstützer gelten lassen? Müssen Erdoğan-Unterstützer die deutsche Staatsangehörigkeit abgeben? Wie ist es mit EU-Bürgern? Verwirken Polen ihr Recht auf doppelte Staatsangehörigkeit, wenn sie die verfassungsfeindliche PiS wählen? Wie steht es mit Ungarn, die Victor Orbán unterstützen? Sollen wir den Anhängern von Pegida ihre deutsche Staatsangehörigkeit aberkennen?

Die Tatsache, dass sich auch in Europa antidemokratische Ideen und Bewegungen finden, zeigt wie absurd die Verknüpfung von Staatsangehörigkeit und politischer Gesinnung ist. Es macht den liberalen Rechtsstaat aus, dass er die Gesinnung seiner Bürger nicht kontrolliert. Genauso wie es ihn ausmacht, dass er wehrhaft ist, wenn er mit Gewalt bedroht wird. Für die Auseinandersetzung mit antidemokratischen Bewegungen gibt es andere Mittel als das Staatsangehörigkeitsrecht und von denen muss Gebrauch gemacht werden.

Wenn man bedenkt, wer gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wettert, so entsteht ohnehin der Eindruck es könnte hier um etwas ganz anderes gehen. Nicht selten haben die Gegner des Doppelpasses eine generelle Skepsis gegenüber Ausländern aus dem Südosten. Denn die doppelte Staatsangehörigkeit für EU-Bürger war nie Gegenstand von Debatten. Auch die de facto Tolerierung des Doppelpasses bei US-Amerikanern oder Australiern wird nicht kritisiert. Es geht vor allem um die Türken. Ihnen schlägt seit Jahrzehnten Skepsis entgegen. Sie nehmen sehr wohl zur Kenntnis, dass beispielsweise Einwanderer aus ihrem Nachbarland Griechenland als EU-Bürger rechtlich besser gestellt sind und auch den Doppelpass haben dürfen. Wenn überhaupt, dann ist es diese Schlechterstellung gegenüber anderen Gruppen, die ihre Loyalität zu Deutschland gefährdet.

Während Roland Kochs Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsangehörigkeit 1999 kam eine zugrundeliegende Ausländerfeindlichkeit oft unverhohlen zum Ausdruck. Diese Ablehnung macht viele Deutsch-Türken empfänglich für einen Präsidenten Erdoğan, der sich mit ihrem Schicksal identifiziert und ihr Selbstwertgefühl stärkt. Deutschland bietet hier zu selten Ersatz.

Die deutsche Gesellschaft muss den Deutsch-Türken signalisieren, dass sie hier anerkannt werden und hier zu Hause sind. Und deutsche Politiker müssen deutlich machen, dass sie auch die neuen Deutschen repräsentieren. Solange dieses Bekenntnis infrage steht, wird jede Debatte um die doppelte Staatsangehörigkeit auf türkischer Seite nur den Eindruck verstärken: Wir sind hier nicht gewollt.