München

Es war rechter Terror und kein Amoklauf

Polizei und Politik sprechen weiterhin vom „Amoklauf“. Damit relativieren und vertuschen sie die rechtsextreme Gesinnung des Täters. David Ali S. hatte die Tat lange geplant und gezielt Ausländer getötet. Die Hinterbliebenen warten bis heute auf eine offizielle Beileidsbekundung. Von Birol Kocaman

Bisher gesicherten Erkenntnissen zufolge war der Münchener „Amokläufer“ David Ali S. ein Rechtsextremist. Er soll Hitler angehimmelt haben und stolz darauf gewesen sein, ein deutsch-iranischer „Arier“ zu sein. Dass er zufällig Geburtstag am 20. April hatte, derselbe wie bei Adolf Hitler, habe er als „besonders positives Schicksal“ angesehen.

Wie aus den bisherigen Ermittlungen hervorgeht, soll er Türken gehasst und seine Untat bewusst am fünften Jahrestag des Breivik-Massakers begangen haben. Der Norweger hatte am 22. Juli 2011 in Oslo und Utoya aus rechtsextremen und islamfeindlichen Motiven 77 Menschen umgebracht. David Ali S. hat neun Menschen ermordet. Alle haben einen Migrationshintergrund – vier waren türkeistämmig, drei waren Kosovo-Albaner.

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Wenn dem so ist, darf diese Tat nicht als Münchener „Amoklauf“ in Erinnerung bleiben, sondern als rechtsextremer Terrorakt. Der Begriff Amok bezeichnet einen psychischen Ausnahmezustand mit blindwütig zerstörerischem Verhalten einer Person, die plötzlich und willkürlich Personen angreift. David Ali S. hingegen hat seine Tat von langer Hand geplant. Er hat weder plötzlich noch willkürlich getötet, sondern gezielt Menschen mit ausländischer Herkunft.

Weil die Polizei zur Tatzeit weder Motivation des Täters noch die Hintergründe der Tat kennt, kann aus pragmatischen Gründen zunächst von einem „Amoklauf“ gesprochen werden. Aus diesem Grund ist der Amok-Begriff in den Polizeidienstvorschriften bewusst weiter gefasst. Stellt sich im Nachhinein jedoch heraus, dass kein Amoklauf vorliegt, stellt die weitere Verwendung dieses Begriffs eine Irreführung der Öffentlichkeit dar, die sowohl den Hintergrund der Tat als auch deren Gesinnung vertuscht und relativiert.

Denn „Amoklauf“ suggeriert, der Täter sei aus heiterem Himmel außer Kontrolle geraten, habe wild um sich geschossen und hätte theoretisch jeden treffen können. Das trifft auf diesen Fall nicht zu. David Ali S. handelte planmäßig, aus blankem Ausländerhass und zielte bewusst auf „Ausländer“. Es wäre wichtig für die künftige Präventionsarbeit, wenn die Bevölkerung durch die richtige Bezeichnung, es war Rechtsterrorismus, auch in diese Richtung sensibilisiert werden würde.

Dringend notwendig wäre auch eine offizielle Geste der Anteilnahme gewesen. Weder ein Repräsentant des Freistaates noch der Stadt München waren bei der Trauerfeier für die Verstorbenen anwesend. Bis heute warten die Hinterbliebenen auf ein persönliches Wort. Wie die Angehörigen der Ermordeten berichten, haben sie stattdessen Unterstützung vom türkischen Konsulat erhalten und einen persönlichen Trauerbrief vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan; der türkische Außenminister habe jede betroffene Familie sogar persönlich angerufen. Verwundert es da noch, dass die Toten in der Türkei beigesetzt werden?