Gutachten

Deutsche sagen zögerlich „Ja“ zum Islam

Die Deutschen sagen vorsichtig „Ja“ zum Islam. Nach dem neuen Gutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen stößt der Islam im Alltag auf Akzeptanz und kommt auch institutionell immer stärker in Deutschland an. Von Corinna Buschow

Integrationshindernis, Terrorursache, Demokratiefeind? Das aktuelle Gutachten des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und Integration versucht mit einer Reihe von Irrtümern über den Islam in Deutschland aufzuräumen. Zugleich zeigt eine aktuelle Umfrage der Experten, wie ambivalent das Verhältnis der Deutschen zum Islam ist. Eine knappe Mehrheit (53 Prozent) stimmt demnach der Aussage „Der Islam ist ein Teil Deutschlands“ gar nicht oder eher nicht zu.

Im Alltag stößt die religiöse Praxis aber auf Akzeptanz: 65 Prozent der Befragten befürworten islamischen Religionsunterricht an Schulen. 73 Prozent geben an, kein Problem mit einer Moschee in der Nachbarschaft zu haben. Der von sieben Stiftungen getragene Sachverständigenrat interpretiert das als zögerliches „Ja“ zum Islam.

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Es sei ein Irrtum, dass das Religiöse in der liberalen Gesellschaft an Bedeutung verliere, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrats, Christine Langenfeld, bei der Vorstellung des Jahresgutachtens am Dienstag in Berlin. Sie spricht von einem „Doppeltrend“: Auf der einen Seite steht die Säkularisierung, auf der anderen eine zunehmend multireligiöse Gesellschaft. An Bedeutung gewinnt dabei nicht zuletzt durch die Zuwanderung der Islam, auf den die Experten ihr Jahresgutachten fokussieren.

In ihren Kernbotschaften widersprechen die Autoren gängigen Vorurteilen. Ein Zusammenhang etwa von Religion und Integration werde überschätzt. Es gebe keine Belege dafür, dass Religion die Teilhabe an Bildung und Arbeitsmarkt erschwert. Auch der Vorwurf, der Islam sei Schuld am Terrorismus, lehnen die Sachverständigen als „monokausal“ ab. Gewalttaten aber nur auf Diskriminierung oder soziale Ausgrenzung zurückzuführen, wäre in ihren Augen auch verkürzt. Terrorismusstudien zeigten, dass Fanatiker oftmals der gebildeten Mittelschicht entstammten. Statt einfachen Zusammenhängen zu folgen, fordert das Gutachten eine nähere Erforschung „frei von Tabus“.

Bei der rechtlichen Gleichstellung des Islam analog zu den Kirchen, die als Körperschaften öffentlichen Rechts Steuern einziehen können und ein eigenes Arbeitsrecht haben, sehen die Experten vorrangig die Muslime selbst in der Pflicht. Der „deutsche Weg der Religionsfreundlichkeit“ stehe auch anderen Glaubensgemeinschaften offen. Der Staat habe bereits Hürden abgebaut, argumentieren sie mit Verweis auf die besonderen Modelle für den islamischen Religionsunterricht an Schulen und islamische Theologie an Universitäten sowie erste Staatsverträge in einzelnen Ländern.

Jetzt seien die Muslime in der „Bringschuld“, sich anders zu organisieren. Anders als die christlichen Kirchen registrieren die muslimischen Verbände ihre Mitglieder nicht genau. Damit bleibt unklar, für wie viele Gläubige ein Verband überhaupt spricht.

Bei den besonderen Rechten für Religionsgemeinschaften sieht das Jahresgutachten aber auch Reformbedarf bei den etablierten Glaubensgemeinschaften, insbesondere beim kirchlichen Arbeitsrecht. Es erlaubt besondere Loyalitätspflichten auch im Privatleben von Mitarbeitern. Angesichts der Pluralisierung der Gesellschaft stoße das auf immer weniger Akzeptanz, sagte Langenfeld. Die Sachverständigen appellieren auch mit Blick auf gegebenenfalls eigene Regeln bei Muslimen an die Religionsgemeinschaften, ihre Möglichkeiten „vorsichtig und maßvoll“ zu nutzen.

In der Bundesregierung stieß das Jahresgutachten der Sachverständigen auf Zustimmung. Das in Deutschland gültige Prinzip einer Religionsfreundlichkeit bei gleichzeitiger staatlicher Neutralität sei ein hohes Gut und habe sich integrationspolitisch bewährt, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), sagte, erfreulich sei der Befund, dass religiöse Vielfalt bereits heute „unaufgeregt und selbstverständlich“ in Deutschland gelebt werde. Die Politik stehe aber auch in besonderer Verantwortung, gegen vorhandene Ressentiments und Ausgrenzung vorzugehen. (epd/mig)