Der weite Weg zur Gewaltfreiheit

Warum sich Flüchtlings-Frauen nicht gegen Übergriffe in Asylunterkünften wehren

Frauen erleben in Flüchtlingsunterkünften körperliche oder sexuelle Gewalt. Gesicherte Zahlen gibt es dazu nicht. Klar ist aber: Kaum ein Opfer zeigt den Übergriff an. Viele haben Angst davor, dass eine Anzeige negative Auswirkungen auf ihr Asylverfahren haben könnte.

In einem Asylbewerberheim im Berliner Stadtteil Hellersdorf: Eine Frau wird von ihrem Mann geschlagen. Sie wendet sich an die Heimleitung, die dem Mann Hausverbot erteilt. Das Problem: Die Leitung versäumt es, das zuständige Sicherheits-Personal über das Verbot zu informieren. Am Wochenende kommt der Mann unbemerkt zurück und schlägt seine Frau erneut.

Der Fall habe sich vor etwa zwei Jahren ereignet, erzählt Nivedita Prasad. Die Sozialpädagogin engagiert sich seit 2013 in dem Hellersdorfer Flüchtlingsheim. Grundsätzlich würden geflüchtete Frauen in Deutschland nur unzureichend vor Gewalt geschützt. Als potenzielle Täter kämen neben den Heimbewohnern auch das Sicherheits-Personal oder Ehrenamtliche in Frage.

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Heike Rabe, Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Menschenrechte, sagt, das Thema sei in Deutschland bis vor kurzem noch „vollständig unterbelichtet“ gewesen. Im September 2015 hatte die EU-Kommission dann ein Vertragsverletzungs-Verfahren eingeleitet. Der Grund: Deutschland habe die europäische Asylgesetzgebung nicht ausreichend umgesetzt.

Die 2013 erlassene EU-Richtlinie sieht Sicherheitsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Demnach sollen die EU-Mitgliedsstaaten dafür sorgen, dass „Übergriffe und geschlechtsbezogene Gewalt einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung“ in den Unterkünften verhindert werden.

Das Ende Februar dieses Jahres von der Bundesregierung verabschiedete zweite Asylpaket umfasst nun eine Auflage, wonach das Personal in den Flüchtlingsheimen künftig ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen muss. Darin ist festgehalten, ob eine Person wegen sexueller Übergriffe vorbestraft ist.

Rabe geht diese Maßnahme nicht weit genug: „Eine vollständige Umsetzung der EU-Richtlinie wäre wichtig.“ Nach aktuellen Vorgaben der EU-Kommission hat Deutschland bis etwa Mitte April Zeit, die europäischen Maßstäbe umzusetzen. Ansonsten droht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte dem Evangelischen Pressedienst mit, die Bundesregierung prüfe derzeit, wie die Richtlinie umgesetzt werden könne.

Wie viele Frauen in deutschen Flüchtlingsheimen Gewalt erfahren, ist laut Rabe kaum erforscht. Eine Befragung der Potsdamer Gesellschaft für Inklusion und Soziale Arbeit Ende 2014 habe aber gezeigt, dass Gewalt stets ein Thema gewesen sei. Die befragten Sozialarbeiter hätten in allen 28 untersuchten Unterkünften gewaltsame Übergriffe gegen Frauen bemerkt. Die Frauen selbst hätten die Vorfälle hingegen verschwiegen.

Inken Stern, Rechtsanwältin für Asylrecht, sieht hier ein grundsätzliches Problem: „Viele Frauen haben Angst davor, dass eine Anzeige Auswirkungen auf ihr Asylverfahren haben könnte.“ Diese Sorge sei eigentlich unbegründet, und Auswirkungen seien nur in Einzelfällen denkbar. Dennoch wollten die Frauen auf keinen Fall „unbequem“ sein und „nicht auffallen“.

Rabe zufolge wird die Gewalt gegenüber Frauen durch die Zustände in den Flüchtlingsunterkünften zusätzlich verstärkt. Neben der angespannten Atmosphäre aufgrund der unsicheren Zukunftsperspektiven seien mangelnde Rückzugsorte für Frauen und die männliche Dominanz in den Heimen verantwortlich für das hohe Gewaltpotenzial.

Seit einem halben Jahr hätten zwar viele Bundesländer damit begonnen, Schutzkonzepte für Frauen auszuarbeiten. Allerdings handele es sich dabei nur um Einzelmaßnahmen. Wünschenswerter sei ein „gebündeltes Gesamtschutz-Konzept aller Länder“, erklärte Rabe. (epd/mig)