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Familie © pierre bédat @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Nach Abschiebung

Eltern und Kinder finden nach achtjähriger Trennung nicht mehr zueinander

Als Schwangere wurde Gazale Salame mit ihrer Tochter in die Türkei abgeschoben. Ihr Mann blieb mit den älteren Töchtern in Deutschland. Acht Jahre war die Familie getrennt. Vor drei Jahren durfte Salame zurück - doch die Familie ist nun zerstört. Von Charlotte Morgenthal

Von Charlotte Morgenthal Donnerstag, 03.03.2016, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 06.03.2016, 18:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Gazale Salame will ein Stück ihrer Vergangenheit am liebsten vergessen. Die 36-Jährige sitzt neben ihren jüngeren Kindern auf dem Sofa im Wohnzimmer. Vor wenigen Monaten sind sie in eine neue Stadt gezogen, mehrere hundert Kilometer von den beiden älteren Töchtern und dem Familienvater in Hildesheim entfernt. Seit mehr als einem Jahr haben sie sich nicht mehr gesehen.

„Irgendwann muss man aufgeben“, sagt Salame, die heute einen anderen Nachnamen trägt. Acht Jahre war die Familie durch ihre Abschiebung in die Türkei auseinandergerissen. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen. Jetzt zeigt sich, dass sie wohl nie wieder zueinander finden werden.

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Im Februar 2005 brachten Polizeibeamte die schwangere Salame mit ihrer einjährigen Tochter zum Flughafen. Ihr Mann Ahmed Siala blieb mit den beiden älteren Töchtern von acht und neun Jahren im Landkreis Hildesheim in Niedersachsen. Acht Jahre lebte Salame mit den beiden jüngeren Kindern in der Türkei in der Nähe von Izmir in ärmlichen Verhältnissen. Ehemann Siala konnte seine Frau wegen seines ungesicherten Aufenthaltsstatus nicht in der Türkei besuchen – er befürchtete, nicht zurückkehren zu dürfen. Die Familie kämpfte mit einem Unterstützerkreis acht Jahre für ein gemeinsames Leben in Deutschland.

Am 3. März 2013 schlossen sich Eltern und Kinder am Flughafen von Hannover unter Tränen in die Arme. Sie alle wollten sich zunächst Zeit nehmen und geben, erinnert sich Salame heute. Sie zog mit den zwei jüngeren Kindern in eine eigens von Unterstützern angemietete Wohnung in Hildesheim. Siala blieb mit den beiden älteren Töchtern im Landkreis wohnen. „Wir wussten damals nicht, wie wir aufeinander reagieren sollten“, beschreibt Salame die Situation. Bei den gemeinsamen Treffen standen oft gegenseitige Vorwürfe im Raum.

Nach Ansicht von Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat ist der Fall dieser Familie „außerordentlich tragisch“. Er sei ein Beispiel dafür, welche Auswirkungen eine Trennung durch Abschiebung habe. „Irgendwann zermürbt es die Menschen.“ In den vergangenen Jahren habe es keine derartigen Fälle mehr gegeben. Grund dafür ist ein 2014 vom Land beschlossener Rückführungserlass, der unter anderem vorschreibt, dass Familien nicht getrennt werden dürften. „Wir befürchten aber, dass es wieder so kommt, wenn Rückführungen nicht angekündigt werden.“

Salame wurden angeblich falsche Angaben zum Verhängnis. Den Eltern der aus dem Libanon stammenden Kurdin wurde vorgeworfen, bei ihrer Einreise Anfang der 90er Jahre falsche Angaben über ihre Herkunft gemacht zu haben. Salame war damals sieben Jahre alt. Als sie abgeschoben wurde, hatte sie bereits 17 Jahre in Deutschland gelebt. Die Türkei kannte sie nicht.

Unterstützern zufolge hat die Trennung die ganze Familie bis heute stark traumatisiert. Schon während der Zeit in der Türkei habe Salame unter Depressionen gelitten. Nach ihrer Rückkehr musste sie erneut das Asylverfahren durchlaufen. „Sie hatte immer wieder Angst, abgeschoben zu werden“, sagt Unterstützerin Luise Harms. Auch jetzt wird ihr Aufenthaltstitel alle zwei Jahre überprüft.

Nach einem Streit um das Sorgerecht der Kinder vor einigen Monaten zog Salame mit dem in der Türkei geborenen Gazi (10) und seiner Schwester Schams (12) weg aus Hildesheim zu ihrer eigenen Mutter. Beide Kinder gehen am neuen Wohnort zur Schule und haben Freunde gefunden. In der neuen Wohnung erinnert kein Foto an den anderen Teil der Familie.

Salames älteste Tochter Amina lebt weiterhin bei ihrem Vater im Landkreis Hildesheim. Die 18-Jährige möchte endlich nach vorne schauen, sagt sie. Nachdem ihre Mutter von einem auf den anderen Tag nicht mehr da war, wurden die Schulleistungen schlechter, sie musste eine Klasse wiederholen. Jetzt macht sie ihr Abitur, möchte vielleicht sogar studieren. „Ich musste es ohne meine Mutter schaffen, die mir den Rücken stärkt“, sagt die junge Frau selbstbewusst. Amina engagiert sich mittlerweile selbst ehrenamtlich für Flüchtlinge und hat für eine Jugendgruppe ein Tanzprojekt initiiert. „Man darf sich nicht hängenlassen, man muss einfach weitermachen.“

Salame erzählt nur wenig über das Wiedersehen mit ihren älteren Töchtern, die sie teilweise jede Woche in Hildesheim besuchten. „Wir haben alle Fehler gemacht“, sagt sie schließlich traurig. Mit der Zeit sei es schlimmer geworden. Durch die Nähe sei sie schmerzlich immer wieder an das erinnert worden, was sie verloren habe. „Das Schlimmste ist, dass man den Halt in der Familie nicht mehr hat.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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  1. Lutz sagt:

    Also irgendwie taugt dieser konkrete Fall nicht wirklich um das deutsche Abschiebunggesetz zu kritisieren. Es ist ziemlich eindeutig, dass der Ehemann Deutschland mehr liebte, als seine Frau und seine Tochter…

    Die Familie ist zerbrochen, weil der Ehemann die falschen Prioritäten gesetzt hat.

  2. Matthias sagt:

    Leider ist der Artikel sehr einseitig dargestellt. Die Mutter musste nicht das Asylverfahren durchlaufen, sie machte das, weil der Ehemann/Vater es noch immer nicht geschafft hat, seinerseits die Voraussetzungen für die Familienzusammenführung zu schaffen. In der Tat ist es nicht der Staat, der diese Tragödie zu verantworten hat.