Wahre Begebenheit

Wie deutsche Gesetze Frauen in Schein- und Zwangsehen treiben

Scheinehen und Zwangsehen sind zwei Übel. Sie sind immer wieder Thema in der Öffentlichkeit – meist forciert vom Gesetzgeber, der Politik. Wie die Geschichte von Julia zeigt, sind es aber gerade deutsche Gesetze, die Frauen in Schein- und Zwangsehen treiben.

Als 18-jährige junge Studentin bin ich nach Deutschland eingereist. Ich war voller Hoffnung auf ein neues Leben. Ich habe mich gut integriert, Freundschaften geschlossen, Abschlüsse gemacht und galt als „Mustermigrantin“. Vermutlich war ich eine der verhassten „Wirtschaftsflüchtlinge“, gegen die „Pegida“, Angela Merkel und Der Spiegel Konsens finden.

Natürlich wurde ich nie so behandelt. Denn ich hatte einen deutschen Freund. Er wurde schnell zu einer Art Vermittler zwischen mir und dem Rest der Gesellschaft. Je mehr er mir aber „Deutschland“ erklärte, desto mehr isolierte ich mich. Ich merkte zunehmend, dass meine beruflichen und akademischen Erfolge weniger mit meinen Mühen als mit ihm zusammen hingen. Mein Chef etwa sagte in Anwesenheit von Arbeitskollegen einmal zu mir: „Dein Deutsch ist so gut, du hast bestimmt einen deutschen Freund, wahr?“ Nein, natürlich hatte es nichts mit den vielen Stunden in der Bibliothek und den zahlreichen Büchern zu tun, die ich für die Uni oder aus eigenem Interesse lies. Es musste an meinem deutschen Freund liegen.

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Der deutsche Freund wurde irgendwann mein deutscher Mann. Wir waren jung, Anfang 20, und wir lebten schon seit ein paar Jahren zusammen, unsere Familien kannten sich, die meisten interkulturellen Konflikte waren schon überwunden. Dass es nicht geklappt hat, hängt vermutlich damit zusammen, dass wir voreilig waren. Im Fall von binationalen Paaren entwickelt sich zudem eine Art Beziehungsmuster, das allmählich eine innere Hierarchie zwischen den Partnern aufbaut.

Nicht alle, aber manche binationale Paare finden in der Ehe einen Ausweg aus den tausend Einwanderungseinschränkungen und bürokratischen Vorgängen – dies war zumindest bei uns der Fall. Als Freunde durften wir beispielsweise nicht zusammen in die USA reisen, denn für mich galten komplizierte Visabestimmungen; als Freunde durften wir unseren Haushalt nur mit bescheidenen Mitteln finanzieren, denn ich als Nicht-EU-Ausländerin durfte eine gewisse wöchentliche Arbeitszeit nicht überschreiten oder Sozialleistungen beziehen. Wir dachten, anstatt mit all diesen Einschränkungen leben zu müssen, könnten wir uns einfach das Ja-Wort geben und unser Leben etwas erleichtern – nichts Unübliches unter Paaren, ob mit oder ohne Binationalität.

Wenn ich unsere Geschichte erzähle, fühle ich mich verpflichtet zu betonen, dass es sich um keine Scheinehe gehandelt hat. Denn viele nicht-europäische Migranten stehen bei einer Eheschließung mit einem Deutschen unter diesem Verdacht. Die damalige Naivität hatte mich verhindert zu bemerken, dass dieser Gedanke wahrscheinlich in den meisten Köpfen auf unserer Hochzeit schwirrte. Einer der Gäste wollte sich unbedingt mit Bräutigam und Braut mit einer roten Clownsnase fotografieren lassen, was mir damals als irgendeiner seiner tausend Scherze vorkam.

Als es zwischen meinem ehemaligen Partner und mir aus war und wir unsere Ehe für gescheitert erklären mussten, spürte ich erneut die genaue Bedeutung des Begriffes ‚Ausländerin‘. Abgesehen von der emotionalen Belastung, die mit der Trennung und Scheidung einhergingen, musste ich diesmal einen extra bürokratischen Last tragen. Als Nicht-EU-Familienangehörige ließ sich zum Beispiel mein Status nicht auf ein „Studentenvisum“ herunterstufen. Ich war also in einer Situation, in der ich nicht mal mein einstiges Leben wiederherstellen konnte. Beratungsstellen konnten mir nicht weiterhelfen und an den starken gesellschaftlichen Druck kann ich mich genau erinnern.

Dies führte dazu, dass mein Ex-Mann und ich offiziell Ehepartner blieben, bis ich mit meinem Studium fertig wurde. Wir wurden also in gewisser Weise in die Scheinehe getrieben. Dies hatte verheerende Auswirkungen auf unsere noch bis dahin gesunde Beziehung und wir versanken in einen Teufelskreis von Kodependenz und emotionaler Instabilität. Aus der Ehe blieb am Ende nicht einmal mehr eine Freundschaft.

Es ist nicht meine Absicht, dem deutschen Staat Schuld daran in die Schuhe zu schieben, aber deutsche Einwanderungspolitik sowie weit verbreitete Stereotypen über binationale Paare tragen zu sozialer Isolation von migrantischen Frauen bei, die mit deutschen Männern verheiratet sind – vor und nach der Ehe.

Wenn ich heute darauf zurückblicke, vermute ich, dass vieles hätte auch genauso passieren können, wäre ich eine deutsche Staatsbürgerin gewesen. Nichtsdestotrotz scheint meine Geschichte die der vielen Frauen zu widerspiegeln, die keinen deutschen Pass besitzen, egal wie gut sie in die deutsche Gesellschaft integriert sind. Dass die zivilrechtlichen Lebensbedingungen einer Migrantin von der Figur ihres deutschen Mannes oder ihrem Familienstand abgeleitet werden, ist nicht nur problematisch und emotional belastend, sondern eine systematische Praxis, die aus einem patriarchalen und nationalistischen Gedankengut stammt.

Für viele verheiratete Migranten bleibt ein Leben in Deutschland ohne ihre deutschen Lebenspartner unvorstellbar und unerträglich. Nicht-EU-Ausländer werden systematisch ausgeschlossen aus dem Arbeitsmarkt, Bildungssystem und damit auch aus der Gesellschaft.

Dabei muss Liebe ein individuelles Recht sein, unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Wenn an das Ende der Liebe Sanktionen und juristische Einschränkungen geknüpft werden, werden Scheinehen gewissermaßen erzwungen. Ich hatte das Glück, dass mein Partner mich nicht missbrauchte. Das ist nicht in jeder Beziehung so. So kommt es vor, dass Gesetze Menschen dazu zwingen, sich mit kaputten Eheverhältnissen zu arrangieren.

Da stellt sich folgende Frage: Spielt es eine Rolle, ob Menschen mit einem drohenden Übel zur Schließung einer Ehe gezwungen werden, oder ob sie mit einem drohenden Übel zur Aufrechterhaltung einer Ehe gezwungen werden? Auch deshalb werden mir Deutschland und seine Behörden immer in Erinnerung bleiben.