Es reicht!

Die Notwendigkeit der internationalen Politik zu handeln, nicht nur zu sprechen.

Die Flüchtlingsdebatte dauert nun schon seit Monaten an, ohne dass sich etwas geändert hätte – zu Gunsten der betrfoffenen Menschen. Allenfalls werden Gesetze verschärft, um die weitere Einwanderung zu begrenzen. Das wird aber nicht funktionieren. Von Dr. Ulrike Krause

Immer wieder hören wir vermeintliche Vorschläge von Politikern, wie die aktuelle Flüchtlingsbewegungen nach Europa und Deutschland zu behandeln sind. Während einige europäische Länder bereits Grenzen schließen, wird auch in Deutschland immer wieder darüber diskutiert. Gesetze werden verschärft und das Ziel der Verringerung der Flüchtlingszahlen verfolgt. Dabei erfreut sich die vermeintlich begrenzte Aufnahmekapazität in der Rhetorik vieler Politiker wiederkehrende Beliebtheit, wobei unklar ist und bleibt, welche Kapazität gemeint ist.

Was an diesen Diskussionen stört, ist, dass es nicht darum geht, wie ein adäquater Flüchtlingsschutz bereitgestellt und Lösungen systematisch und zielgerecht unterstützt werden können. Anstelle zu handeln wird auf hoher politischer Ebene über Symptome gesprochen. Klar bestehen in der Gesellschaft Sorgen – bei den Bedrohungsszenarien der angeblichen Flüchtlingswellen, -fluten und -ströme, die die Politik uns mittlerweile täglich auftischt, ist das auch verständlich. Und klar werden Veränderungen auch in Deutschland spürbar sein, jedoch ist das völlig nachvollziehbar und natürlich. Gesellschaftliche Zusammenhänge bestehen nicht in einem Vakuum, sondern sind immer dynamisch. Das darf aber nicht als etwas Bedrohendes oder Gefährliches dargestellt werden – es ist normal. Mit der Darstellung der Flüchtlinge als etwas Bedrohliches wird Ressentiment geschürt und von der eigentlichen Thematik – der Schaffung adäquater Schutzstrukturen – abgewandt.

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Was ist gemeint mit der Kritik, dass weder der Flüchtlingsschutz noch die Lösungssuche im Mittelpunkt politischer Debatten stehen? Es wird immer wieder so getan, als hätte die Welt noch nie ein großes Flüchtlingsaufkommen gesehen. Das stimmt faktisch nicht und der Bericht zu 2014 von UNHCR belegt das internationale Ausmaß von Flucht. 86% der Flüchtlinge befinden sich in Ländern des Globalen Südens. Bei der Bundespressekonferenz am 30.08.2015 betonte Bundesinnenminister de Maiziere sogar, dass die Fluchtbewegung nach Europa nicht absehbar gewesen wäre. Es kann natürlich sein, dass seine Berater ihn nicht über die globalen Entwicklungen aufgeklärt haben, weil es nicht in den innenpolitischen Sektor fällt, jedoch ist das zu bezweifeln. Auch der Rat der Migration belegt, dass die Krise absehbar war (hier ein weiterer Hinweis).

Mit Blick auf die globalen Entwicklungen sehen wir seit den 1960er Jahren, dass die meisten Flüchtlinge außerhalb Europas in Ländern des Globalen Südens fliehen. Sie bleiben vornehmlich in ihren Herkunftsregionen. Daraus entwickelte sich in den vergangenen Jahrzehnten eine globale Nord-Süd-Polarisierung: Flüchtlinge flohen im Globalen Süden, wobei Länder im globalen Norden die Flüchtlingsarbeit in diesen fernen Ländern unterstützten. UNHCR hat das internationale Mandat für den Flüchtlingsschutz, jedoch ist der Flüchtlingsschutz eine nationale Aufgabe, sodass UNHCR mit den Staaten kooperiert. Im Statut von UNHCR ist zudem festgesetzt, dass das Sekretariat der Vereinten Nationen administrative Kosten übernimmt, wobei die Programmarbeit (also der eigentliche Flüchtlingsschutz) durch freiwillige finanzielle Beiträge der Mitgliedsstaaten zu unterstützen ist. Dabei können die Staaten entscheiden, ob sie beitragen möchten, wieviel und wofür (regional und thematisch).

In der Präambel der Genfer Flüchtlingskonvention wird hervorgehoben, dass 1. der Flüchtlingsschutz einen sozialen und humanitären Charakter hat, sodass Schutz umgehend bereitzustellen ist; dass 2. der Flüchtlingsschutz nur durch internationale Kooperation von Staaten umgesetzt werden kann; und dass 3. Lösungen für Flüchtlinge so schnell wie möglich zu finden sind. Als dauerhafte Lösungen im Flüchtlingsschutz werden die freiwillige Rückführung in das Heimatland, die Umsiedlung in ein sicheres Drittland oder die lokale Integration im Erstasylland angesehen. Die Lösungsorientierung belegt, dass Flüchtlingssituationen eigentlich als Übergangssituationen angesehen werden. Obwohl diese Grundprinzipien weitgehend anerkannt sind, ist einerseits die Präambel nicht rechtlich verbindlich und gibt es andererseits keine Mechanismen zur Festsetzung der internationalen Kooperation. Genau dieser Punkt – die fehlende Strukturierung der Zusammenarbeit – ist zentral für die aktuelle Situation.

Der Aufschrei nach Fluchtursachenbekämpfung in der deutschen Politik ist sicher richtig, jedoch kommt er reichlich spät. Denn während wir in den deutschen Medien nahezu ausschließlich von der Syrienkrise hören, die mit mehr als 4 Mio. Flüchtlingen und ca. 6,6 Mio Binnenvertriebenen zweifelsohne gegenwärtig die weltweit größte Krise ist, sind bei Weitem nicht alle Flüchtlingssituationen aktuelle Krisen. Gar gegensätzlich: 45 Prozent aller Flüchtlinge weltweit leben in sogenannten Langzeitsituationen, die mittlerweile eine durchschnittliche Dauer von 20 Jahren erreicht haben, wobei einige Situationen bereits länger als 30 Jahre andauern.

Zurück zum Ausgangspunkt: Flüchtlingsschutz und Lösungssuche. Bei der Betrachtung der internationalen Situation zeigt sich, dass innerhalb der vergangenen Jahre die internationale Kooperation der Staaten nicht im ausreichenden Maße funktioniert hat, denn Flüchtlinge lebten häufig über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg im Exil mit nicht hinreichender Unterstützung. Dies hängt nicht nur mit der fehlenden Zusammenarbeit der Staaten zur Findung von dauerhaften Lösungen zusammen, sondern wird zunehmend dadurch erschwert, dass die Flüchtlingsarbeit in vielen Regionen unterfinanziert ist, dass also nicht ausreichend finanzielle Mittel für den Schutz und die Unterstützung der Flüchtlinge bereitgestellt werden. Hier einige Beispiele: die weltweit größte Krise, Syrien ist 55% unterfinanziert, Ukraine 39%, Zentralafrikanische Republik 67% und Südsudan 70%.

Grenzen zu schließen, ist genauso wenig sinnvoll, wie das Asylrecht einzuschränken und begrenzte Kapazitäten hoch zu beschwören. Ebenso wenig hilft es, die Entwicklungszusammenarbeit als automatische Fluchtursachenbekämpfung darzustellen. Es darf auch bezweifelt werden, ob der Aufruf nach Solidarität tatsächlich hilft, um Staaten zur Zusammenarbeit zu bringen. Was wir brauchen, um die weltweiten Flüchtlingssituationen (Plural!) zu bearbeiten, die Menschen zu schützen und Lösungen umzusetzen, ist die Festsetzung von staatlicher Kooperation. Dafür ist eine internationale Konferenz notwendig, in der Staatenvertreter mit Vertretern aus internationalen, regionalen und lokalen Organisationen, der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft über Mittel und Wege sprechen. Dies mit dem Ziel, dass die Staaten einen Konsens dafür finden, wie sie kooperieren – und das jetzt wie auch in der Zukunft.