Hilfe für Eritrea

Der Pakt mit dem Teufel

Aufgrund steigender Flüchtlingszahlen knüpfen europäische Regierungen wieder Beziehungen zur eritreischen Militärdiktatur. Auch neue Entwicklungshilfe ist geplant. Kenner des Landes sind sich aber sicher: Das Problem in Eritrea ist nicht Geldmangel. Von Paul Simon

Es ist eine Meldung, die man erst gar nicht glauben kann: In diesem Sommer, nach über 100 Jahren Tour de France, traten zum ersten mal in der Geschichte des Radrennens schwarze Afrikaner an, die zwei Eritreer Daniel Teklehaimanot and Merhawi Kudus. Für den Radsport war es ein historischer Fortschritt, für Eritrea war es eine seltene Gelegenheit, einmal in einem positiven Kontext Aufsehen zu erregen.

Dabei ist es einerseits wenig überaschend, dass diese besondere Grenze ausgerechnet von zwei Eritreern überschritten wurde: Mit seiner gebirgigen Landschaft ist das kleine Land am Horn von Afrika nicht nur perfekt für extremes Radtraining geeignet, es hat auch eine Bevölkerung, die völlig verrückt nach Radsport ist. Seit seiner Einführung durch die italienischen Besatzer ist dieser fast zur Volksreligion geworden.

___STEADY_PAYWALL___

Ein kleines Wunder ist die Teilnahme der zwei Radfahrer dann aber doch: Für eritreische Athleten ist es meist sehr schwierig, im Ausland ein Visum zu bekommen, und auch ihre eigene Regierung zögert oft, ihnen die Ausreise zu erlauben, da immer die Gefahr besteht, dass sie die Gelegenheit zur Flucht gebrauchen werden. Die Teilnahme zweier Athleten an einem europäischen Radrennen ist somit ein seltener Moment der Normalität in einem Land, das meist nur als diktatorischer Unrechtsstaat, als „Nordkorea Afrikas“, in den europäischen Medien erscheint. Gerade erst haben dann auch zehn Fußballspieler in Botsuana nach einem Auslandsspiel die Rückreise verweigert und Asyl beantragt. Es wäre fast witzig, wenn es nicht so traurig wäre: Eritreische Fußballspieler desertieren mit solcher Regelmäßigkeit bei Auslandsspielen, dass diese wohl schon bald nicht mehr erlaubt sein werden.

Eritrea läuft seine Jugend davon. Tausende überqueren jeden Monat die streng bewachte Grenze nach Südsudan oder Äthiopien. Hunderttausende leben dort bereits in Lagern oder auf den Straßen von Addis Abeba, doch immer mehr machen sich auf den gefahrvollen Weg nach Europa. 25 Prozent aller Flüchtlinge, die über das Mittelmeer Italien erreichen, stammen aus dem kleinen Eritrea, schätzt die UNHCR. Immer mehr von ihnen finden auch den Weg nach Deutschland.

Sie fliehen vor der Hoffnungslosigkeit in ihrer Heimat. Nach der Unabhängigkeit 1993 ist Eritrea nie der Übergang zur Normalität gelungen. Die siegreiche „Eritreische Volksbefreiungsfront“ weigert sich bis heute, die Macht abzugeben, und hat eine totalitäre Militärdiktatur errichtet, in der alle Teile der Gesellschaft unter eiserner Kontrolle stehen. Der langwierige nationale Befreiungskampf hat einen militaristischen, stolzen Nationalismus hervorgebracht, dem sich die Regierung bedient, um ihre angebliche Entwicklungsdiktatur zu legitimieren und die Gesellschaft in einem permanenten Verteidigungszustand zu halten. In der eritreischen Regierung, aber auch bei vielen Eritreern selbst in der Diaspora, herrscht eine Wagenburgmentalität: Dem Ausland, vor allem den USA, ist nicht zu trauen. Im Kampf für seine Unabhängigkeit und für seine Entwicklung kann Eritrea nur auf sich zählen: Zusammenhalt und Loyalität sind deshalb unabdinglich. Zur Stabilisierung der Gewaltherrschaft der Regierung trägt auch bei, dass die Grenzstreitigkeiten mit dem Bruderfeind Äthiopien, die Ende der 90er zu einem verlustreichen Krieg geführt hatten, immer noch nicht beigelegt sind. Isolation, Stagnation und Gewaltherrschaft verstärken sich seit Jahren in einer Spirale des Unrechts.

Im Juni veröffentlichte die UN einen umfassenden Bericht über die Menschenrechtslage in Eritrea. Basierend auf umfangreichen Interviews mit Geflüchteten wird dort ein bedrückendes Bild der Verbrechen des Regimes gezeichnet. Eritrea, stellt die UN klar, werde beherrscht von einem totalitären Regime, und wer von dort fliehe, brauche unbedingt den Schutz der internationalen Gemeinschaft. Ein beklemmendes Detail aus dem UN-Bericht bilden Zeichnungen eines Folterüberlebenden aus Eritrea, welche die Methoden der eritreischen Polizei illustrieren.

Bespitzelung, Folter, Verhaftungen und Gesetzlosigkeit – all das erschafft ein Klima der Angst, welches es der Regierung trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage erlaubt, die Macht fest im Griff zu behalten. Wie gut diese Einschüchterung jeder Opposition funktioniert, kann man daran sehen, dass es der UN-Kommission nicht nur nicht erlaubt war, für ihre Untersuchung ins Land zu reisen, sondern dass selbst viele der Eritreer, die geflüchtet waren, Angst hatten, offen über die Regierung zu sprechen. Offenbar fürchteten sie selbst im Ausland die Spitzel und Kollaborateure des Regimes.

Besonders der Militärdienst in Eritrea ist einer der wichtigsten Gründe, aus dem junge Eritreer oft schon bevor sie die Volljährigkeit erreichen ins Ausland flüchten. Als Teil des eritreischen Versuches, unabhängig von Hilfe aus dem Ausland das kriegsgebeutelte Land zu entwickeln, werden junge Menschen oft unbefristet zum Dienst eingezogen und nach der militärischen Ausbildung zur Zwangsarbeit, vor allem bei Infrastrukturprojekten, gezwungen. Dabei, so beschreibt es etwa Human Rights Watch, herrscht militärische Disziplin und Gewalt, immer wieder kommt es zu Vergewaltigungen und Haftstrafen.

Eritrea ist international fast vollständig isoliert. 2009 verhängte die UN Sanktionen gegen das eritreische Regime, unter anderem, weil es islamistische Konfliktparteien in Somalia unterstützt hatte, die gegen die äthiopische Besatzung kämpften. Die Sanktionen der UN zielen, etwa durch Reiseverbote, direkt auf die Regierung. Wirklich treffen dürfte dieses aber nur das Waffenembargo, welches gerade erst am 23. Oktober von der UN verlängert wurde. Umso erstaunlicher ist es also, dass die EU angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen beginnt, sich der Regierung in Eritrea anzunähern. Eritrea nimmt Teil am Khartum-Prozesses, in dem die EU mit verschiedenen nordafrikanischen Staaten zur Steuerung und Kontrolle des Migrationsprozesses in Nordafrika zusammenarbeiten will. Genauso wie Deutschland ist Eritrea sogar Teil der Steuerungsgruppe, die zum ersten mal im April in Sharm-El Sheik zu einem Treffen zusammen kam. In einer internen Erklärung, die von der Seite statewatch.org im Internet zur Verfügung gestellt wird, ist davon die Rede, dass gemeinsam die „institutionellen Kapazitäten der Regierung des Staates Eritrea im Kampf gegen Menschenhandel und Schmuggel gestärkt werden“ sollen.

Aber auch bilaterale Beziehungen werden geknüpft: Im März 2015 besuchte eine italienische Delegation Eritrea – und erhielt von der eritreischen Regierung die vage Zusicherung, sie werde den Weg zur Demokratie „auf ihre eigene Weise“ fortsetzen. Schon im November 2014 war eine Delegation aus Großbritannien nach Eritrea gereist, um im Rahmen des Khartoum-Prozesses Gespräche mit der Regierung zur Migration zu führen. Anders als in Deutschland, wo praktisch jeder Asylantrag von Eritreern positiv beschieden wird, begann die britische Regierung ab Anfang des Jahres zu behaupten, für die meisten Eritreer bestehe keine Gefahr bei der Rückkehr in ihr Land. Und tatsächlich wurden im zweiten Quartal 2015 nur 34% aller Asylanträge mit Bleiberecht entschieden. Im Gegenzug finanziert die britische Regierung in Eritrea ein Ausbildungsprogramm für Jugendliche, wie man dem internen Bericht der Steuerungsgruppe entnehmen kann.

Die Bundesregierung hat ihre bilaterale Entwicklungshilfe „mangels entsprechender Partner“ 2007 eingestellt, also einige Jahre nachdem sich die totalitäre Herrschaft des Regimes verhärtet hatte. Vor einer Wiederaufnahme der Hilfe fordert sie „deutliche Schritte zu einer Verbesserung der menschenrechtlichen Lage“, wie es in einer Antwort auf eine kleine Anfrage im Bundestag aus dem April diesen Jahres heißt. Trotzdem reiste im Juli, kurz nach dem Erscheinen des in seinem Urteil eindeutigen UN-Berichtes, der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller persönlich nach Eritrea. Auch dass Eritrea bald Entwicklungshilfe direkt von der EU erhalten soll, stört die Bundesregierung offenbar nicht.

Voraussichtlich 200 Millionen Euro davon sollen bis 2020 an Eritrea fließen, wobei sowohl über die genaue Zahl und die Verwendung noch verhandelt wird. Eine Entscheidung soll noch dieses Jahr in Brüssel getroffen werden. Neben der regulären Entwicklungshilfe hat die EU einen „Emergency Trust Fund“ in Höhe von 1,8 Milliarden Euro eingerichtet, der direkt darauf abzielen soll, Ursachen für Flucht und Migration in Afrika zu bekämpfen. Auch aus diesem Fond soll Geld ans Horn von Afrika fließen.

Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ kritisiert die geplante Entwicklungshilfe scharf. Sie fordert, dass jede Unterstützung an konkrete Zusicherung demokratischer Reformen gebunden sein muss. Eritrea steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf dem letzten Platz. Seit 2001 gibt es keine vom Staat unabhängigen Medien mehr. Selbst ein Exilradiosender aus Paris wurde 2012, vermutlich von Regierungskräften, durch Sabotage ausgeschaltet.

Ein solches Bekenntnis zu Forderungen nach politischen Veränderungen, die an die Zahlung von Entwicklungshilfe geknüpft werden, gibt es seitens der EU-Kommission noch nicht. Dem UN-Bericht vom Juni kann man allerdings entnehmen, dass die EU fest zugesagt habe, dass strenge Kontrollen sicher stellen sollen, dass die finanzielle Hilfe nicht der Regierung zu Gute kommt, sondern allein unmittelbar der Bevölkerung. Geplant seien etwa Elektrifizierungsprogramme in ländlichen Gebieten.

Aber ist damit das Problem auch gelöst? Um zu verstehen, warum selbst eine solche direkte Entwicklungshilfe für die bitterarme Landbevölkerung letztlich vor allem der Diktatur nützt, ist es nötig, sich ein wenig mit der Struktur der eritreischen Wirtschaft zu beschäftigen.

Eritrea ist eines der ärmsten Länder der Welt. Gleichzeitig, und dies mag viele überraschen, ist seine Wirtschaft in den letzten Jahren stetig gewachsen, was vor allem auf den Ausbau des Bergbausektors zurückzuführen ist. Die tiefe, grundlegende wirtschaftliche Krise ist damit längst nicht überwunden, vor allem weil ca. 80% der Bevölkerung allein von der Landwirtschaft leben und vom Wachstum nicht profitieren.

Trotz seiner Isolation und trotz seines Konzeptes einer autarken Entwicklungspolitik ist Eritrea ironischerweise stark auf internationale Zahlungen angewiesen, denn ohne diesen Zustrom an harten Devisen aus dem Ausland wäre es nicht in der Lage, seine Armee aufrecht zu erhalten. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die große eritreische Diaspora, welche während der langen, blutigen Jahrzehnte des Befreiungskrieges in vielen Teilen der Welt Wurzeln fasste und in den letzten Jahren wieder stetig gewachsen ist. Von jedem Auslandseritreer verlangt die Regierung Abgaben in Höhe von 2% seines Einkommens. Einnahmen aus dieser Steuer haben Schätzungen der UNHCR zu Folge seit der Unabhängigkeit fast 30% des Bruttoinlandsproduktes ausgemacht. Immer wieder wird berichtet, dass eritreische Botschaften unterstützt von loyalen Exileritreern mit Druck und Drohungen arbeiten, um diese Steuer einzutreiben, und Zahlungsunwilligen wichtige amtliche Dokumente verweigert werden. Prinzipiell, erklärt aber die Bundesregierung, sei die Erhebung einer solchen Steuer von im Ausland lebenden Staatsangehörigen in Deutschland aber legal. Nur die Praxis, die Steuer unmittelbar über die Botschaft einzutreiben, wurde mittlerweile auf Druck der Bundesregierung offiziell eingestellt.

In den letzten Jahren jedoch nahm der Geldzufluss aus der Diaspora ab, auch als Ergebnis der UN-Sanktionen. Mit dem Bergbau gewinnt deshalb eine neue Einnahmequelle an Bedeutung. Gemeinsam mit einer kanadischen Firma betreibt die eritreische Regierung zum Beispiel eine Gold- und Kupfermine. Aus dieser Unternehmung flossen Angaben dieser Firma zu Folge von 2001 bis 2014 ca. 1 Milliarde Dollar in die eritreische Wirtschaft, der Großteil als direkte Abgaben und Steuerzahlungen an die Regierung. Laut dem UN-Bericht zur Menschenrechtslage verdient die Regierung aber auch als Dienstleister der kanadischen Firma wertvolle Dollar: Beim Bau der Mine etwa setzte sie Zwangsarbeiter ein und behielt den allergrößten Teil der Gehälter, welche das Unternehmen zahlte, für sich.

Überhaupt ist die Wirtschaft Eritreas fast vollkommen in der Hand der herrschenden Clique. Ganze Wirtschaftssektoren, wie etwa die Baubranche, befinden sich in ihrer Hand. Aufgrund dieser Wirtschaftsstruktur ist es fraglich, ob es überhaupt möglich ist, Entwicklungsprojekte zu initiieren, die nicht letztlich die Taschen der Regierung füllen. Vor allem das Finanzwesen befindet sich nämlich vollkommen unter der Kontrolle der Regierung und ist wie der Staatshaushalt gänzlich intransparent. Eine UN-Beobachtungsgruppe, welche anlässlich des Sanktionsprozesses versucht, die eritreischen Finanzen zu überwachen, schildert in ihrem letzten Bericht vom 19. Oktober, dass die Regierung vor allem zur Kontrolle harter Devisen eine komplexe und völlig intransparente Finanz- und Wirtschaftsstruktur geschaffen habe, welche international vernetzt ist und finanzielle Verbindungen zum Ausland unterhält. Besonders empörend ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass allein die Bank HSBC auf Schweizer Konten für eritreische Staatsbürger Vermögen in Höhe von über 600 Millionen Euro verwaltet. Dies war im Februar im Zusammenhang der „Swiss Leaks“ genannten Enthüllungen über Steuerhinterziehungspraktiken der Bank ans Licht gekommen.

Günter Schröder, ein langjähriger Kenner des Landes, ist deshalb überzeugt, dass die Regierung vorrangig das Ziel verfolgt, die europäische Entwicklungshilfe zur Modernisierung ihrer maroden Armee zu verwenden. In einem Vortrag, den er vor wenigen Wochen in London hielt griff er die geplante EU-Entwicklungspolitik scharf an. Selbst wenn Entwicklungsprojekte unmittelbar finanziert würden, argumentiert er, endeten die investierten Euros letztlich doch in den Konten der Zentralbank. Überhaupt sei es eine Illusion, zu glauben, Entwicklungshilfe könne selbst langfristig die Probleme des Landes lösen und die Ursachen für die Flucht bekämpfen. Eine echte Lösung auch für die wirtschaftlichen Probleme des Landes könne nur durch einen radikalen Politikwechsel erfolgen, denn in der Politik der Regierung, nicht im Kapitalmangel, liegen die eigentlichen Ursachen der Misere.

Schon im April haben deshalb eritreische Aktivisten aus Großbritannien, gemeinsam mit ehemaligen eriterischen Diplomaten und Akademikern, die sich mit der Region befassen, einen Aufruf an die EU gesandt, um sie von der geplanten Unterstützung für das Regime abzuhalten. Finanzielle Hilfe, fordern sie, soll nur unter der Bedingung geleistet werden, dass das eritreische Regime endlich die unabhängige Untersuchungskommission der UN einreisen lasse, um die Menschenrechtssituation zu prüfen – eine Forderung, der die Regierung niemals nachkommen wird.

Auch die Eritreische Demokratische Volksparte (EPDP), eine der größten Exilparteien, schickte anlässlich des Eritrea-Besuches von Bundesentwicklungsminister Müller im Juli einen Aufruf an die deutsche Regierung, die Entwicklungshilfe und jede andere Unterstützung für die Diktatur in Eritrea zu stoppen. Die geplanten Mittel, forderte sie, sollen eher in Programme fließen, welche eritreische Flüchtlinge im Südsudan und in Äthiopien unterstützen und ihnen etwa eine Berufsausbildung ermöglichen.

Mit der geplanten Entwicklungshilfe für Eritrea unterstützt die EU ein Unrechtsregime, das mit Gewalt und Terror seine Bevölkerung unterdrückt. Eine echte Verbesserung der Umstände für das eritreische Volk wird sie damit nicht erreichen. Fraglich ist auch, ob auch nur ein Eritreer weniger sein Land verlassen wird, weil seine Regierung jetzt näher mit der EU zusammenarbeitet – und falls dies doch das Ergebnis wäre, ob man das in Brüssel wirklich als Erfolg verbuchen will. Während die EU in der Vergangenheit zumindest Lippenbekenntnisse zu Reformen von der eritreischen Regierung einforderte, die immer wieder gebrochen wurden, scheint sie sich angesichts steigender Flüchtlingszahlen dieses mal nicht einmal solchen Illusionen mehr hinzugeben.