Kampf dem Patriarchat?

Rassismus im feministischen Gewand

Wenn es um Geschlechtergerechtigkeit unter Muslimen geht, preschen seltsamerweise Personen vor, die sonst wenig mit diesen Themen zu tun haben. Das verwundert nicht. Denn im Grunde geht es gar nicht um Geschlechtergerechtigkeit.

Julia Klöckner spricht von Männern mit mittelalterlichem Frauenbild, Harald Martenstein ist der Meinung, die Deutschen müssten „selbstbewusst, hart und autoritär“ sein, um Geflüchteten die Gleichberechtigung der Frau zu lehren, und Birgit Kelle hält es für notwendig, männlichen Geflüchteten zu erklären, „dass 15-jährige Mädchen auch leicht bekleidet hierzulande kein Freiwild sind“.

Dies sind nur drei Beispiele für Stimmen im aktuellen Diskurs um Geflüchtete, die die ‚Integrierbarkeit‘ von muslimischen Geflüchteten anzweifeln – diese bringen angeblich ein Geschlechterverständnis mit, das so gar nicht mit dem Wertesystem der deutschen Gesellschaft vereinbar ist.

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Klöckner, Martenstein und Kelle sind sonst nicht gerade für ihren Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit bekannt. Und sie sind nicht alleine: Auf einmal schreiben sich Menschen den Kampf gegen das Patriarchat auf die Fahne, die bisher den Begriff Feminismus nur mit schmerzverzerrtem Gesicht aussprechen konnten. Woher kommt dieses plötzliche breite Interesse daran, das Patriarchat zu bekämpfen?

Debatten um das Geschlechterverhältnis im Islam sind nichts Neues, regelmäßig werden Kopftuch und Burka und damit die angebliche Unterdrückung der muslimischen Frau diskutiert. Nun geht es also um das Geschlechterverständnis muslimischer Geflüchteter, und es zeigt sich ein altbekanntes Muster: Der Islam und seine Glaubensanhänger werden als patriarchal und rückständig dargestellt und damit von der weißdeutschen Mehrheitsgesellschaft abgegrenzt. Der Islam wird abgewertet – und damit, ganz nebenbei, die Mehrheitsgesellschaft aufgewertet. Für den Westen ist dieser angeblich so patriarchale Islam nämlich eine ziemlich gute Sache: Die westliche Emanzipation sieht daneben schon viel besser aus.

Leicht lässt sich darüber hinwegsehen, dass auch in den eigenen Gesellschaften noch einiges im Argen liegt und patriarchale Strukturen noch lange nicht aufgehoben sind. Frauen sind immer noch großteils alleine für die Reproduktionsarbeit verantwortlich, Frauen verdienen immer noch weniger als Männer, Frauen erfahren immer noch strukturell sexualisierte Gewalt. Doch von all diesen Emanzipationsdefiziten lässt sich durch die Darstellung des Islams als besonders frauenunterdrückend und patriarchalisch leicht ablenken.

In den Debatten um den angeblichen Sexismus muslimischer Geflüchteter geht es also nicht um Geschlechtergerechtigkeit. Die vermeintliche Sorge um die Gleichberechtigung dient der Mehrheitsgesellschaft dazu, klare Grenzen zu Muslimen zu ziehen. Muslime werden als homogene Gruppe konstruiert, die grundsätzlich anders ist. So werden bestehende gesellschaftliche Hierarchien legitimiert und die eigene Identität der Mehrheitsgesellschaft aufgewertet – in Abgrenzung zur anderen, negativ konnotierten muslimischen Identität.

Sicher, Debatten um Gleichberechtigung und Emanzipation sind notwendig. Doch Debatten um den Islam werden in westlichen Gesellschaften nicht im Machtvakuum geführt, sie sind vielmehr Ausdruck eines Machtgefälles zwischen der weißdeutschen Mehrheits- und der muslimischen Minderheitsgesellschaft. Dies wird schon alleine daran deutlich, wer eigentlich in der Debatte zu Wort kommt – mehrheitlich weiße Deutsche, selten Muslime. Die Debatten werden geführt vor dem Hintergrund des immer noch präsenten Stereotyps, Muslime seien rückständig und bräuchten westliche Aufklärung. Dieser Tatsache müssen sich Teilnehmende an der Debatte bewusst sein – das gilt für Julia Klöckner, Harald Martenstein, Birgit Kelle und alle anderen weißen Deutschen, die auf einmal etwas zum Geschlechterverständnis (von männlichen Muslimen) zu sagen haben.

Und vor allem: Anstatt die Debatten um Gleichberechtigung ausschließlich im Zusammenhang mit muslimischen Geflüchteten zu führen, könnte sich die Mehrheitsgesellschaft erst mal an die eigene Nase packen. Baustellen, wo es mit der Gleichberechtigung nicht so weit her ist, gibt es genug.