Wie nach Rostock-Lichtenhagen

Erneut setzt Politik Forderungen von Asylgegnern um

Steigende Asylsuchendenzahlen und rassistisch motivierte Gewalt haben Anfang der 90er Jahre schon einmal zu einer Verschärfung des Asylrechts geführt. Nach dem Koalitionsgipfel ist klar: Union und SPD werden das Gleiche wieder tun. Auch die Betonung der Hilfe für Geflüchtete ändert daran nichts.

Steigende Asylzahlen, überfüllte Notunterkünfte, Hassparolen, Brandanschläge. Was wie eine Zusammenfassung der letzten Monate klingt, beschreibt ebenso die Asyldebatte vor knapp 25 Jahren. 440.000 neue Asylanträge registrierte das BAMF im Jahr 1992, eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr. Die Folge: Rassistische Demonstrationen und Ausschreitungen, deren Gipfel die Attacken von Hoyerswerda (September 1991) und die Brandanschläge von Rostock-Lichtenhagen (August 1992) und Mölln (November 1992) waren.

Die „de-facto-Abschaffung des Asylrechts“

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Die Politik reagierte mit dem so genannten Asylkompromiss. Artikel 16a des Grundgesetzes, der politisch Verfolgten ein umfassendes Asylrecht zusprach, wurde mit allerlei Einschränkungen versehen. Eine Liste sicherer Herkunftsstaaten wurde eingeführt, ebenso das Prinzip der sicheren Drittstaaten, nach der ein Asylsuchender, der zuvor ein anderes EU-Land passiert hat, in Deutschland keinen Anspruch auf Asyl hat. Die Anträge von Asylsuchenden, die per Flugzeug einreisen, können seitdem in einem Schnellverfahren direkt am Flughafen überprüft werden. Zusätzlich sollte die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes Asylsuchenden den Aufenthalt in Deutschland so unangenehm wie möglich machen: Leistungen unterhalb des damaligen Sozialhilfeniveaus, Unterbringung in Sammelunterkünften, Essenspakete. Menschenrechtsorganisationen sprechen seit den Reformen Ende 1993 von der „de-facto-Abschaffung des Asylrechts“.

Vorausgegangen war den Gesetzesänderungen eine Debatte, die vor allem konservative Parteien nutzten, um ihr rechtes Profil zu schärfen. Dazu zählt die „das Boot ist voll“ – Rhetorik der CDU genauso wie die Forderung des damaligen Staatssekretärs Erich Riedl (CSU) nach einer „asylantenfreien Zone“ in München. Das Schlagwort „Asylmissbrauch“ nahmen alle Parteien in den Mund, die für die Grundgesetzänderung stimmten: Union, FDP und SPD.

Rassismus 2015

Und heute? Die Zahlen steigen wieder, dieses Jahr wohl auf etwa 800.000. Mit der rechtspopulistischen Pegida-Bewegung, spätestens jedoch mit den rassistischen Ausschreitungen in Heidenau und Freital und den Brandanschlägen auf zukünftige Gemeinschaftsunterkünfte in der ganzen Republik formiert sich ähnlich wie Anfang der 90er ein zunehmend gewaltbereiter rechter Mob. Allein im August gab es fast jeden Tag einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft und eine flüchtlingsfeindliche Demonstration. Ganz zu schweigen von den rassistischen Shitstorms in den sozialen Netzwerken.

Im Koalitionsausschuss: Mehr Restriktionen

Zugegeben, die Reaktionen der regierenden Parteien sind diverser als vor knapp 25 Jahren. Trotzdem will die CDU/CSU-Fraktion in ihrem am Mittwoch vorgestellten 12-Punkte-Plan weiterhin „Asylmissbrauch bekämpfen„. Im gestrigen Koalitionsausschuss hat sie sich mit ihrem Forderungen weitestgehend durchsetzen können. Einige Ausschnitte: Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“ auf den Kosovo, Albanien und Montenegro, Anheben der Residenzpflicht auf sechs Monate, Abwicklung der Verfahren überwiegend in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Versorgung mit Sachleistungen statt Geld in dieser Zeit. Letzteres hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Verweis auf die Menschenwürde bereits für grundsätzlich verfassungswidrig erklärt. Eine Verschärfung des Asylrechts also, an dem auch die sechs Milliarden Euro zur Entlastung der Kommunen und dem Ausbau der Erstaufnahmeeinrichtungen nichts ändern.

Humanitäre Hilfe vs. Recht auf Asyl

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    Und dann ist da noch die Flüchtlingshilfe, zu der sich alle Parteien bekennen. Diese Hilfe ist in der momentanen Situation absolut notwendig und wichtig. Nur ist sie ein Akt der akuten Soforthilfe, das humanitäre Gebot der Stunde und hat nichts mit dem Bekenntnis zur langfristigen Aufnahme von Geflüchteten zu tun. Auf den Punkt bringt das Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) bei ihrem Besuch im neu eröffneten Abschiebezentrum für Balkanflüchtlinge in Ingolstadt: Einen Asylsuchenden fragt sie: „Sie sind gut untergebracht?“ (= Wir kümmern uns um Ihre humanitäre Notlage). Als sie darauf eine positive Antwort erhält entgegnet sie: „Sie wissen aber, dass Sie zurück müssen?“ (= das heißt nicht, dass Sie hier bleiben dürfen). Auch die Aufnahme von Tausenden Geflüchteten aus Ungarn ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Sie „soll eine Ausnahme bleiben“, sagt die Bundesregierung, war aber aus humanitären Gründen notwendig.

    Steigende Zahlen + rassistische Demonstrationen = Asylrechtsverschärfung

    Sicherlich wird die Asyldebatte des Jahres 2015 nicht so unverhohlen rassistisch geführt wie noch Anfang der 90er Jahre. Wesentliche Merkmale bleiben aber erhalten. Das Traurige an der Sache ist die Botschaft an die Rechtpopulisten und gewaltbereiten Rassisten: Auch wenn die politischen Entscheidungsträger ihre Taten offiziell verurteilen, setzen sie ihre Forderungen letztlich gesetzlich um. Die Lehre: Rassistische Gewalt führt am Ende (genauso wie vor 25 Jahren) zum Erfolg. In der vergangenen Nacht haben erneut zwei Flüchtlingsheime gebrannt