Gelichter

Getrieben von der öffentlichen Meinung

Über Flüchtlinge, Vertriebene und das Pack; über bayrische Lautsprecher, deren Ahnengallerie das heimische Kuhdorf in den letzten 1000 Jahren nicht mehr von außen gesehen hat, und über das N-Wort. Von Sven Bensmann

Irgendwer scheint da etwas losgetreten zu haben. Vielleicht war es Anja Reschke. Vielleicht auch jemand anders. Ist ja auch egal. Der Aufstand der Anständigen, er nimmt jedenfalls langsam Fahrt auf. Nicht nur wird inzwischen punktuell so viel gespendet, dass es schwer wird, all die Sachspenden noch zu verwalten und zu ordnen. Das war zu erwarten. Denn bei bei all der Polarisierung auf der rechten Seite des politischen Spektrums, all der Gewalt der Dummen, gibt es auch eine zunehmende Solidarisierung auf der anderen Seite, von Menschen, die Ihr Deutschland gegen den völkischen Pöbel verteidigen wollen. In Heidenau zum Beispiel, in Sachsen und Sachsen-Anhalt, in Ost und West, überall finden sich solche Menschen.

Auch wenn das dieser Tage von Journalisten in Frankfurt und München gern übersehen wird, die von München oder Frankfurt aus schreiben, und zwar lieber über den bösen Osten, als über Rassismus in Bayern und Hessen. Und von Politikern, die von „Pack“ oder „Dunkeldeutschland“ reden, selbst aber den Kontakt zu Pegida suchten.

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Interessanter ist vielmehr, das vorgeblich unpolitische Entertainer sich mehr und mehr zu Wort melden: Als die Kindergarten-Clowns Joko und Klaas ein sehenswertes Video veröffentlichten, war dem bereits ein gemeinsames Video von Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann zur rassistischen Berichterstattung deutscher Medien in der Causa Griechenland vorausgegangen, dennoch überraschte die Schärfe, mit der beide sich gegen Fans wandten, die auch klatschen, wenn Asylunterkünfte brennen. Ebenso heraus sticht sicher das jüngste Statement von Oliver Kalkofe, der das „Pack“ noch viel zu nett bezeichnet sieht und der ganz andere Worte für diese „Menschendarsteller“ finden kann, von denen übrigens keiner behaupten solle, ihm sei ja auch nichts geschenkt worden, denn: Verstand, Vernunft und Mitgefühl gab es für jeden von uns kostenfrei. Aber nicht für jeden in demselben Ausmaß, mag man ergänzen.

Diese Statements sind wichtig, denn nur so macht man auch Otto Normalbrandstifter klar, dass dies nicht sein, sondern unser Deutschland ist: Als Herbert Grönemeyer nebst anderen bei einem Konzert gegen Pegida auftrat, führte das zur Sinnkrise bei rechten Demonstranten, die nicht verstanden, wie dieser Mann, dessen Platten sie gekauft und dessen Konzerte sie besucht hatten, es plötzlich wagte, sich offen gegen sie zu äußern: Ähnlich wird es wohl auch dem ein oder anderen Freund von „Circus Halligalli“ oder der „Mattscheibe“ gehen – wenn auch letztere bereits auf einem Sender läuft, der mit dem Claim „anders ist besser“ wirbt und dem Zuschauer erst neulich in einer Werbepause erklärte: „Selbstverständlich nehmen dir Ausländer deinen Job weg. – Aber wenn dir jemand ohne Geld, Kontakte und Sprachkenntnisse deinen Job wegnehmen kann, dann bist du vielleicht einfach nur Scheisse.“

Dabei ist diese Politisierung der Unpolitischen insbesondere im Angesicht der zunehmenden Entpolitisierung des Politischen bitter nötig: In einem Land, dessen Kanzlerin nichts mehr mit ordinärer Politik zu tun haben will, muss dieser Platz von anderen übernommen werden, die noch meinungsbildend agieren können und wollen. Immerhin will sich jene nun für eine gerechtere Verteilung von Flüchtlingen einsetzen. Getrieben von der öffentlichen Meinung.

Nur durch diese Politisierung der Unpolitischen lässt sich ein Deutschland bewahren, in dem all die „wunderbaren Ns“, die so lustig musizieren und tanzen, unsere Kultur bereichern und voran bringen können, und in dem Sie unsere Alten pflegen, unsere Renten bezahlen und unsere Frauen befriedigen können; all das eben, was der gemeine Deutsche – glaubt man den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Herrn Sarrazin – nicht mehr bewerkstelligen kann oder will.

post scriptum: Eins will ich noch feststellen.

Für mich als den Nachfahren einer Vertriebenen (und damit qua definitionem auch als Migranten) gibt es keineswegs einen qualitativen Unterschied zwischen deutschen Flüchtlingen aus 1945 und syrischen Vertriebenen von heute. Ich möchte mir daher Meinungsäußerungen von bayrischen Lautsprechern, deren Ahnengallerie das heimische Kuhdorf in den letzten 1000 Jahren nicht mehr von außen gesehen hat, verbitten. Insbesondere dann, wenn sie einerseits das bayrische Bildungssystem für der Weisheit letzten Schluss halten, andererseits aber ihren eigenen Doktor in Prag erhalten haben.