Keine falsche Freundlichkeit

„Sie wissen aber, dass Sie zurück müssen?“

Die Empörung über die kaltherzige CSU-Ministerin im neuen bayrischen Abschiebezentrum für Flüchtlinge aus dem Balkan ist groß. Doch ihre Reaktion war gut, denn sie war ehrlich – sie spiegelt die Politik, für die ihre Partei steht. Von Armin Wühle

Bereits im Juli wurde eine CDU-Politikerin mit den Betroffenen ihrer Asylpolitik konfrontiert: Kanzlerin Merkel erklärte der 14-jährigen Reem Sahwil, einem palästinensischen Mädchen, dass es wohl nicht in Deutschland bleiben dürfe. Das Mädchen brach in Tränen aus – und eine Kanzlerin, die eben noch ihre repressive Asylpolitik verteidigte, verging sich mit tröstenden Worten und Streicheleinheiten. Das Mitleid war nicht echt, konnte nicht echt sein angesichts Merkels politischer Entscheidungen. Will der Todeskandidat wirklich Trost von seinem Henker?

Nun findet ein zweites Video Verbreitung im Netz – darauf zu sehen ist die CSU-Sozialministerin Emilia Müller. Sie besucht Avdi Kryeziu, einen kosovarischen Flüchtling im neuen bayrischen Abschiebezentrum, in dem nun Asylsuchende aus Albanien, Montenegro und Kosovo landen. Nach einer kurzen Frage, ob er gut untergebracht sei, stellt Müller schonungslos fest: „Sie wissen aber, dass Sie zurück müssen?“.

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Die mediale Empörung begann schnell. Müller wird als „Eisklotz“ beschrieben, als kalt und empathielos. Das ist sicher zutreffend. Aber ihre Reaktion ist zumindest authentisch.

Denn Müller spiegelt eine Politik wieder, wie sie die Union tatsächlich vertritt. Es zeugt von menschlicher Kälte, nur minimale Kontingente an Bürgerkriegsflüchtlingen aufzunehmen. Ebenso zeugt es von Kälte, ein Seenotrettung wie Mare Nostrum aus Kostengründen abzuschaffen, lebensgefährliche Zäune um die EU-Außengrenzen zu bauen, oder Internierungslager in Libyen aus EU-Mitteln zu finanzieren, in denen Asylsuchende strukturell gefangen gehalten, geschlagen, gefoltert, vergewaltigt und ermordet werden. Und es zeugt auch von Kälte, Menschen aus Balkanländern in Abschiebezentren zu lagern, anstatt ihnen durch legale Einreisemöglichkeiten und Arbeitsvisa eine faire Chance zu bieten.

Die Kälte war schon immer da, aber sie bleibt meist unsichtbar: in Form von Gesetzestexten, anonymer Paragrafen. Die Empörung ist immer dann so groß, wenn sie am konkreten Menschen sichtbar wird. Die deutsche und europäische Asylpolitik in ihren teils erschreckenden Auswirkungen zu sehen, halten viele nicht aus. Genauso ist es mit dem Bild des toten Jungen am Strand von Bodrum, das gestern durch die Medien ging.

Das Sterben im Mittelmeer ist seit Jahren Realität, aber erst, wenn die Härte an der konkreten Person sichtbar wird, wird Vielen die Härte als solche bewusst. Selbst manchen Unions-Wählern mag bei diesen Bildern ein Schaudern über den Rücken laufen.

Deswegen war es gut, dass Müller dem Asylsuchenden empathielos gegenüber trat. Und deswegen wäre es besser gewesen, die Kanzlerin wäre gleichgültig vor der weinenden Reem stehen geblieben: Das wäre ein korrektes, ein der Realität entsprechendes Bild gewesen. Die „ehrliche Kälte“ von Ministerin Müller ist da deutlich besser. Sie lässt die Wähler nicht einer falschen Freundlichkeit erliegen.