Keine Einheitliche Betreuung

Minderjährige Flüchtlinge werden höchst unterschiedlich versorgt

Eine zentrale Verteilung von minderjährigen Flüchtlingen auf die Bundesländer wird kommen. Experten bezweifeln, dass die Neuregelung Besserung bringt. Die aktuelle Situation in den Bundesländern ist aber auch nicht gut. Eine Zusammenfassung von Anke Schwarzer

Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland, auch die Zahl der Minderjährigen ohne Eltern oder Verwandte steigt an. Künftig, so will es die Bundesregierung, sollen all diese Jugendlichen zentral auf die Bundesländer verteilt werden. Ob dadurch der Jugendschutz verbessert wird, bezweifeln manche Experten. Andererseits ist es auch heute um die Betreuung der „Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge“ nicht gut bestellt.

Die Zahl der Inobhutnahmen minderjähriger Flüchtlinge hat sich zwischen den Jahren 2010 und 2013 mehr als verdoppelt. Das berichtete die Bundesregierung jüngst auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion. Danach stieg ihre Zahl von 2.822 (2010) auf 6.584 (2013). Nur 726 der Betroffenen waren weiblich.

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Das könne ein Hinweis darauf sein, dass die Fluchtbedingungen immer härter werden, vor allem für die besonders Schutzbedürftigen, sagt Nils Espenhorst, Referent beim Bundesverband unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Die Flucht reiße Familien häufig auseinander: „Für viele Kinder ist es eine Riesenbelastung, auf sich alleine gestellt zu sein.“

Wenn diese Jugendlichen nach Deutschland kommen, werden sie von rund 600 Jugendämtern in Obhut genommen – dort, wo sie sich melden oder wo sie aufgegriffen werden. In Clearingverfahren klären die Behörden den künftigen Aufenthaltsort, kümmern sich um die medizinische Versorgung, die Vormundschaft und mögliche Anschlusshilfen.

Doch dieses Verfahren ist alles andere als einheitlich: Der Bundesverband berichtet von „erheblichen Unterschieden“ in der Betreuung. Weil die Jugendhilfe kommunal organisiert ist, obliege es den zuständigen Ämtern, wie sie verfahren, erläutert Espenhorst: „Manchmal hängt es sogar von einzelnen Personen ab und wir bemerken Veränderungen bei einem Stellenwechsel.“

Deutliche Unterschiede ließen sich auch zwischen den Ländern feststellen. So würden die umstrittenen Verfahren der Altersschätzungen durch Sozialarbeiter, Familiengerichte und Rechtsmediziner insbesondere in Berlin, Hamburg und Baden-Württemberg praktiziert.

„Es gibt aber auch Bundesländer, die ein besonderes Augenmerk auf die Jugendlichen haben und fachlich stark sind“, weiß Espenhorst. Er nennt beispielweise Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen. Hier sei früh erkannt worden, dass die jungen Flüchtlinge ein hohes Potenzial für Unternehmen haben, die oft händeringend nach Personal suchen.

In anderen Bundesländern, etwa in Bayern, sehe man allerdings auch „explizit abwehrende Haltungen“. „In Bayern herrscht ein rassistisches Klima“, klagt Espenhorst. Er verweist auf eine Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs der Länder im Juni. Dort forderte Bayern, die Jugendhilfestandards für die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen zu überprüfen und abzusenken. Darüber hinaus sprach sich der Freistaat gegen einen neuen gesetzlichen Aufenthaltsstatus für junge Asylsuchende und Geduldete während einer Ausbildung aus.

Weil nur Minderjährige Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe haben, kommt der Feststellung ihres Alters zentrale Bedeutung zu. Nicht zuletzt aufgrund der für die Kommunen höheren Betreuungskosten für Jugendliche. Die umstrittenen Verfahren zur Altersbestimmung bleiben selten ohne Folgen: „Ältergemachte Flüchtlinge müssen in abgelegene Lager, oft ohne jugendgerechte Betreuung, Vormund, und Schulbesuch“, sagt Cornelia Gunßer vom Flüchtlingsrat Hamburg. 2014 seien in Hamburg 70 Prozent der neuangekommenen Jugendlichen für 18 Jahre alt erklärt worden.

16- bis 18-jährige unbegleitete Flüchtlinge sind laut Gesetz asylmündig. Sie können ohne Vormund einen Asylantrag stellen, wozu sie in vielen Bundesländern von der Ausländerbehörde gedrängt würden, sagt Gunßer. Dann sind in der Regel die Ausländerbehörden für deren Versorgung zuständig. Sie kommen meist in Sammelunterkünfte – es droht die Abschiebung. (epd/mig)