Neue Debatte über Sozialleistungen

Bundesregierung prüft Rückkehr zum Sachleistungsprinzip für Asylbewerber

Bundesinnenminister de Maizière eine Kürzung von Sozialleistungen für Flüchtlinge. Flüchtlingen müsse der Anreiz für eine Flucht nach Deutschland gesenkt werden. Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände reagierten empört auf den Vorstoß.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat eine neue Debatte über die Sozialleistungen für Flüchtlinge angestoßen. Die Frage, ob Flüchtlingen eher Sach- als Geldleistungen gewährt werden, sei ein Punkt, der diskutiert werden müsse, sagte Ministeriumssprecher Johannes Dimroth am Freitag in Berlin. Im heute-journal des ZDF sagte de Maizière zudem, auch das sogenannte Taschengeld könne man sich „genauer angucken“. Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände reagierten empört auf den Vorstoß. Die Möglichkeit zur Rückkehr zum Sachleistungsprinzip wird derweil schon vom zuständigen Arbeitsministerium geprüft.

De Mazière begründete seinen Vorstoß damit, Anreize für eine Flucht nach Deutschland senken zu wollen. Zugleich forderte er eine Debatte über europäische Standards der Leistungen für Asylbewerber. Unterschiedliche Standards in den EU-Ländern führten dazu, dass viele Menschen den Weg nach Deutschland suchten.

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Verfassungsgericht: menschenwürdiges Existenzminimum
Der Minister räumte ein, dass die Leistungen nicht beliebig reduziert werden könnten. Er verwies dabei auf die „relativ engen Grenzen“ durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte die alten Asylbewerberleistungen, die bis zu 40 Prozent unter Hartz-IV-Niveau lagen, als Verstoß gegen ein menschenwürdiges Existenzminimum verurteilt.

Seit März gilt das neue Asylbewerberleistungsgesetz, nach dem alleinstehende Asylbewerber 359 Euro im Monat bekommen. Zugleich wurde ein Vorrang für Geld- statt Sachleistungen eingeführt, den Verbände jahrelang gefordert hatten. Sie sahen Asylbewerber durch die Festlegung auf Sachleistungen ihrer persönlichen Freiheit beraubt und stigmatisiert. Seit der Neuregeulung bekommen Flüchtlinge nun vor allem Bargeld. Ausnahme sind nur noch die Erstaufnahmeeinrichtungen.

Leistungen für Asylbewerber: Die Sozialleistung für Flüchtlinge soll den Grundbedarf des täglichen Lebens sichern. Dazu gehören vor allem Ernährung, Unterkunft, Kleidung und Gesundheitspflege. In einer Erstaufnahmeeinrichtung wird dieser Bedarf durch Sachleistungen gedeckt. Hinzu kommt ein Taschengeld. Seine Höhe unterscheidet sich je nach Alter und Familienstand, bei einem alleinstehenden Asylbewerber beträgt es derzeit 143 Euro im Monat. Nach Ablauf der Erstaufnahme wird der Grundbedarf vorrangig durch Geldzahlungen gedeckt. Dabei erhalten Alleinstehende 216 Euro im Monat, zusammen mit dem Taschengeld ergibt dies 359 Euro. Dazu kommen Unterkunft, Heizung und Hausrat, Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt, gegebenenfalls Leistungen des Bildungspakets für Kinder und Jugendliche sowie weitere Hilfen, die im Einzelfall nötig sind. Die verschiedenen Leistungen können auch durch Wertgutscheine oder Sachleistungen statt Geldzahlungen ersetzt werden.

Arbeitsministerium prüft
Offenbar ist nun aber eine Rückkehr zum Sachleistungsprinzip wieder Thema in der Bundesregierung. Eine Sprecherin von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte am Freitag in Berlin, es werde derzeit geprüft, ob künftig wieder verstärkt Sachleistungen anstelle von Geld ausgegeben werden sollten. Sie verwies dabei auf die Gespräche zwischen Bund und Ländern zur Bewältigung der weiter steigenden Flüchtlingszahl. Ihren Angaben zufolge ist die Kehrtwende möglich. Das Bundesverfassungsgericht habe nicht vorgegeben, in welcher Form die Leistungen gewährt werden sollen, erklärte sie.

Für scharfe Kritik sorgte de Maizières Äußerung zum sogenannten Taschengeld, dessen Höhe für einen alleinstehenden Asylbewerber derzeit 143 Euro beträgt und auch in Erstaufnahmeeinrichtungen bar gewährt wird. „Es ist eine Lebenslüge, dass sich die Zahl der Flüchtlinge über die Höhe der Leistungen regulieren ließe“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt der Rheinischen Post.

Jelpke: Menschenwürde nicht unterlaufen
Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke sagte, am Taschengeld zu sparen bedeute, an der Menschenwürde zu sparen. Die Verfassungsrichter hatten klargestellt, dass das Taschengeld dazu dient, Flüchtlingen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu garantieren. Migrationspolitische Erwägungen rechtfertigen den Verfassungsrichtern zufolge keine Einsparungen, die Menschenwürde gelte für alle. „Der Vorstoß de Maizières unterläuft faktisch die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. Anstatt darüber zu räsonieren, wie man Flüchtlingen, die ohnehin schon alles verloren haben, auch noch ihre Würde nimmt, sollte sich der Bundesinnenminister besser für einen reibungslosen Ablauf bei der Aufnahme Schutzsuchender einsetzen“, so die Linkspolitikerin.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband warf dem Innenminister Stimmungsmache gegen Asylbewerber vor. „Die gesellschaftliche Herausforderung, die der Zuzug von Flüchtlingen aktuell bedeutet, kann man nicht lösen, indem man zur Abschreckung soziale Standards infrage stellt“, sagte Geschäftsführer Ulrich Schneider. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte, de Maizières Unterstellung im ZDF-Interview, das Geld der Asylbewerber würden Schlepper bekommen, sei Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen. (epd/mig)