Appell

Legale Wege für Flüchtlinge nach Europa

Die Zahl der Flüchtlinge nach Europa wird steigen, denn es nicht absehbar, dass die Fluchtursachen verschwinden werden. Auf der anderen Seite wird der Ausbau der Festung Europa scheitern. Der einzige Ausweg sind legale Wege nach Europa. Prof. Jürgen Nowak erklärt im MiGAZIN, welche das sind:

Die Zahl der Flüchtlinge nach Europa wird steigen, denn es nicht absehbar, dass die Fluchtursachen verschwinden werden: erstens die Bürgerkriege im Nahen Osten und in Teilen Afrikas, zweitens die Zustände in den failed states (Libyen, Somali, Eritrea) und drittens die Armut und die ökologischen Katastrophen in vielen Regionen von Afrika und Asien.

Die Antwort der Europäischen Union ist der Ausbau der Festung Europa, d.h. die Sicherung der Außengrenzen (Frontex) (a) durch hohe Zäune an der griechischen, bulgarischen und ungarischen Grenze und (b) durch Patrouillenboote im Mittelmeer mit der Absicht, Schleußerboote zu zerstören. Das wird scheitern. Die Festungsstrategie fördert die Illegalität, den Menschenschmuggel und den Menschenhandel. Und das alles im Namen der Menschenrechte! Die Schaffung legaler Wege nach Europa ist der einzige Ausweg, d.h. die Tür nach Europa ein Stück weit zu öffnen.

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Menschenrecht auf Einwanderung?
Es gibt eine Asymmetrie zwischen dem Recht auf Auswanderung und dem nicht existenten Recht auf Einwanderung (vgl. Angeli 2011: 173f). Warum dürfen in der globalisierten Welt das Kapital, die Waren und Dienstleistungen frei zirkulieren, aber nicht die Menschen? Liegt nicht eine legitimatorische Grundlage für das Recht auf Einwanderung in der Entscheidungsautonomie des Individuums? Schon Papst Johannes XXIII. hat in seiner Enzyklika „Pacem in Terris“ vom 1963 ein Recht auf Auswanderung und Einwanderung normativ gefordert:

„Jedem Menschen muß das Recht zugestanden werden, innerhalb der Grenzen seines Staates seinen Wohnsitz zu behalten oder zu ändern; ja, es muß ihm auch erlaubt sein, sofern gerechte Gründe dazu raten, in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen.“

Für eine an Menschenrechten orientierte Migrations- und Flüchtlingspolitik brauchen wir legale Wege nach Europa.

1. Humanitärer Weg
Schon öfter wurden in Bundesrepublik Deutschland Sonderregelungen für ausgewählte Gruppen angewendet: Bootsflüchtlinge aus Vietnam Anfang der 1980er Jahre, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien Anfang der 1990er Jahre, die Aufnahme von Menschen mit jüdischen Vorfahren aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion seit Anfang 1991er Jahre und die Aufnahme von Aussiedlern bzw. Spätaussiedlern, also sog. Volkszugehörige mit deutscher Kultur nach unserem Staatsangehörigkeitrecht. Gerade für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, aber auch für die Menschen aus den failed states wie Somalia, Eritrea und Libyen ist das humanitäre Tor weit zu öffnen.

2. Quotenregelung
Eine oft diskutierte Frage in letzter Zeit ist die Einführung einer Quotenregelung der Einwanderung nach kanadischem Vorbild, d.h. wir suchen uns qualifizierte Personen aus, die wir wegen der Überalterung unserer Bevölkerung als Arbeitskräfte für unsere Wirtschaft dringend benötigen. Pro Jahr werden etwa 250.000 MigrantInnen angeworben, zusätzlich noch einmal fast 200.000 Einwanderer mit befristeten Aufenthaltsgenehmigungen. Die Auswahlkriterien beziehen sich auf qualifizierte Arbeitskräfte nach folgender Punkteverteilung: 25 für Bildung, 16 für die 1. Amtsprache Englisch, 8 für die 2. Amtsprache Französisch, 21 für Berufserfahrung, je 10 für Alter, Stellenangebot und Anpassungsfähigkeit. Wer 67 von den maximal 100 Punkten erreicht, darf einwandern.

3. Los-Verfahren
Ein anderes Modell der Zuwanderung ist die Möglichkeit einer sog. Green Card Lotterie, wie sie seit 1991 in den USA jährlich erfolgreich praktiziert wird, denn sie wird viel genutzt. Eine kostenlose Antragstellung ist 365 Tage im Jahr möglich, Online Unterstützung vom Fachpersonal, Antragsabgabe für mehrere Jahre ist möglich, und es gibt kostenlose Flugtickets in die USA für die Gewinner. Für die Bewerbung müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Man muss Staatsangehöriger eines der aufgelisteten Länder sein. Das sind zur Zeit fast alle Länder der Welt, und man muss über eine zwölfjährige abgeschlossene Schulausbildung (z.B. Fachhochschulreife) oder über eine zweijährige Berufserfahrung während der letzten fünf Jahre verfügen.

Schlussfolgerung: Die USA nimmt pro Jahr 50.000 Lotteriegewinner bei einer Bevölkerung von 300 Millionen Einwohner auf. Die Europäische Union hat über 500 Mio. Einwohner, also könnte sie – aufgerundet – vergleichsweise 100.000 Lotteriegewinner einladen oder?

4. Zugang zu Visa
Der legalste und sicherste Weg, in ein europäisches Land zu kommen, ist die Erlangung eines Visums, was für Menschen außerhalb Europa fast unmöglich ist.

Kauf von Visa
Ein spannender Vorschlag kommt von zwei französischen Wissenschaftlerinnen (vgl. Auriol and Mesnard 2012). Ausgangspunkt ihre ökonomischen Analyse sind erstens die profitablen Einnahmen für die Schmuggler und zweitens die zur Verhinderung der illegalen Migrationsströme entstehenden Kosten, die effektiv wenig bringen. Daher greifen die Autorinnen die seit längerem existierende Idee „of selling migration visas to pay a fee to cross the border legally“ auf. Die Antwort der Autorinnen ist differenziert: Da der Preis für den Kauf ein Visums niedriger sein müsste als die Preise der Schmuggler, würde das den Zustrom erhöhen. Daher schlagen sie vor, diesen Kauf von Visa mit anderen Maßnahmen wie u.a. die Kontrolle der Schwarzarbeit bei den Arbeitgebern, aber auch an den Grenzen zu verbinden.

Multiple-entry-visa
Einen diskussionswerten Vorschlag hat der UN-Sonderberichterstatter Francois Crépeau (Kanadier) im April 2015 vorgeschlagen (vgl. Pany 2015 und Jackson 2015), nämlich Arbeitskräfte jeweils 4 Jahre lang jedes Jahr für vier Monate legal auf dem Arbeitsmarkt zu zulassen, und zwar nicht nur für hochqualifizierte, sondern auch für Niedriglohnarbeiter, um den illegalen Schwarzarbeitsmarkt trockenzulegen. Sein Argument: Es gibt genug schlecht bezahlte Jobs in der Landwirtschaft, auf dem Bau, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in der Altenpflege. Wenn der Migrant jedoch gegen die Regelung verstößt, dann ist sein Dokument zur Rückkehr ungültig. Zum Austrocknen des Schwarzarbeitsmarktes gehören nach Crépeau auch schärfere regelmäßige Kontrollen bei und strenge Strafen für die Firmen.

Fazit:
Flüchtlinge sind eine Ressource für Europa, das überaltert ist und dringend Arbeitskräfte braucht. Verbunden mit dem transnationalen Migrationskonzepts des Hin- und Herpendelns als Brain Zirkulation ließe sich gleichzeitig die Entwicklungspolitik effektiver für die Armutsbekämpfung einsetzen.

Das Positionspapier ist in voller Länge auf der Webseite j-nowak.de zu lesen.