Flüchtlingsunterkunft in Ingelheim

Überfüllte Häuser und doch viel Hoffnung

In der Erstaufnahmestelle in Ingelheim war am Mittwoch hoher Besuch. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung und die stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz verschafften sich ein Bild vom Leben im Flüchtlingsheim. Jens Bayer-Gimm war dabei

Ein zweieinhalb Meter hoher Zaun umgibt die ein- oder zweistöckigen Häuser. Über den Zäunen hängen bunte Wäschestücke. Ein gewichtiger Beamter kontrolliert am Drehkreuz den Hausausweis. Verlassen darf jeder Bewohner die rheinland-pfälzische „Aufnahmestelle für Asylbegehrende“ in Ingelheim am Rhein, aber hereinkommen dürfen außer ihnen nur dazu Befugte. Den Eindruck des Eingeschlossenseins will der Leiter Stefan Mollner verscheuchen: „Wir sind keine Jugendherberge, wir haben rund um die Uhr ständig offen.“

Am Mittwoch hat sich hoher Besuch in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber angekündigt: die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), in Begleitung der stellvertretenden Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Eveline Lemke, und der Integrationsstaatssekretärin des Landes, Margit Gottstein (beide Grüne). Neugierig versammeln sich junge Männer um den Pulk mit Fernsehkameras und Mikrofonen, auch wenn sie kein Deutsch verstehen. Englisch sprechen jedoch einige fließend.

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So Abdulkareem aus Hama in Syrien, der seinen Nachnamen nicht geschrieben haben möchte. Der 24-jährige Veterinärmediziner hat sich über die Türkei, mit einem Boot nach Griechenland, über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich bis nach Deutschland durchgeschlagen. 2.000 Euro habe er für die Transporte bezahlt. Seit fünf Tagen ist er in Ingelheim und strotzt vor Tatraft: „Ich will weiter studieren und Professor werden.“

Die Erstaufnahmestelle in Ingelheim war vor zwei Jahren zur Entlastung der Einrichtung in Trier für 200 Asylbewerber geschaffen worden, vor einem Jahr wohnten dort mehr als 300, inzwischen beläuft sich die Kapazität auf 500 Plätze. „Die Zahl der Ankömmlinge wächst täglich“, sagt die rheinland-pfälzische Integrationsstaatssekretärin Gottstein.

Derzeit werden Container für weitere 200 weitere Plätze aufgestellt. Für eine Notunterkunft vor der Registrierung hat das Deutsche Rote Kreuz ein Zelt mit 42 Feldbetten aufgestellt, in der Nacht auf Mittwoch war es voll belegt. Weitere 150 Betten stehen in Zelten außerhalb der Einrichtung bereit.

Bei der Ankunft der Asylbewerber ist die erste Station die Aufnahme. Drei Mitarbeiterinnen sitzen täglich von 6.30 Uhr bis ungefähr 19 Uhr an Computern und erfassen die persönlichen Daten. Wenn ein Flüchtling nicht Englisch oder Französisch spricht, übersetzen Bewohner für ein kleines Honorar. Gerade lassen sich Saer Dashwaly und seine Frau Bana mit ihren beiden zweijährigen Kindern erfassen. Die Familie floh vor drei Jahren von Syrien nach Dubai, nun will sie sich in Deutschland eine neue Heimat aufbauen.

„Syrien ist leer, vielleicht kann man in zehn bis 15 Jahren wieder dort leben“, berichten die jungen Eheleute. Er hat eine Schule für Musik und Theater geleitet, sie hat als IT-Expertin für eine Bank gearbeitet. Draußen haben Kinder einen kleinen Spielplatz mit Schaukel, Rutsche, Karussell und Klettergerüst in Beschlag genommen. Drinnen gibt es derzeit nur eine Spielstube für 25 Kinder – bei 200 bis 300 Kindern in der Einrichtung. Die Wände sind bunt mit Bildern behängt, die Regale mit Büchern und Spielen gefüllt.

Gefüllt ist auch die Kleiderkammer: „Die Spendenbereitschaft der Bevölkerung ist sehr groß“, sagt Leiter Mollner. Nur kleine Männergrößen fehlten – offenbar seien die deutschen Männer meist besser genährt als die Bewohner. Diese werden durch einen Caterer versorgt oder dürfen selbst kochen – wenn sie können.

„Wir brauchen eine finanzielle und strukturelle Unterstützung durch die Bundesregierung“, fordert die Staatssekretärin Gottstein. Die Bundesbeauftragte Özoğuz zeigt Verständnis: „Die Länder und Kommunen brauchen deutlich mehr Geld.“ Daneben sei auch eine „vernünftige strukturelle Unterstützung“ nötig.

Viel ehrenamtliche Unterstützung gibt es auch in Ingelheim: Der Sportbund habe neulich 100 Bewohner zu einem Sportfest nach Mainz eingeladen, berichtet die Leiterin des Sozialdienstes, Jamie Kreuzberg-Lauterbach. Mitarbeiter der Volkshochschule bieten ein Ferienprogramm für Kinder an, Kirchengemeinden laden zu Picknicks ein. Trotz der Überbelegung wirkt das Treiben in Ingelheim friedlich. Mollner: „Es gibt Konflikte, aber es ist bisher nichts Schlimmes passiert.“ (epd/mig)