Ramadan

Sechs gute Gründe, warum Muslime fasten

In Deutschland wird das Fasten im Ramadan oft nur mit dem Verzicht auf Essen und Trinken gleichgesetzt. Doch das Fasten ist viel mehr. Islamwissenschaftler Ahmet Inam fasst zusammen, worum es Muslimen beim Fasten eigentlich geht.

Der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland ist das Fasten zwar nicht unbekannt, dafür aber doch vielen das islamische Fasten. Es dauert von der Morgendämmerung bis hin zum Sonnenuntergang und das einen Monat lang. Während in den Wintermonaten das Fasten im Ramadan keine große Aufmerksamkeit bekommt, ist es im Sommer ganz anders: Die Medien weisen immer wieder auf die Schwierigkeit des Fastens an heißen Tagen hin. Im Vordergrund steht meist der Verzicht auf das Essen und Trinken. Für Muslime aber stehen spirituellen Aspekte des Fastens im Zentrum. Darauf soll dieser Beitrag eingehen und auf gemeinsame Werte erinnern.

1. Demut und Ehrfurcht.

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Das Fasten ist ein Gottesdienst, eine gute Tat für Gott. Der Fastende erfährt, wie stark er an Gott und an seine Gaben gebunden ist. Entsprechend soll er sich selbst nicht höher sehen, als er tatsächlich ist: nämlich nur ein Geschöpf. Der Mensch, ob Mann oder Frau, ein Weißer oder ein Schwarzer, ob reich oder arm ist abhängig von den Gaben Gottes und soll dafür stets dankbar sein.

Diese Erfahrung der Dankbarkeit macht der Fastende spätestens dann, wenn er die Gaben wieder kosten darf. Er lernt Ehrfurcht und Achtung vor der Schöpfung Gottes, sprich vor der Natur. Dazu gehört der Umgang mit Pflanzen und Tieren, die nicht nur Nahrung liefern, sondern auch Heilung. Diese Erkenntnis soll den Fastenden unter anderem vor Habsucht, Hochmut, Arroganz und vor Maßlosigkeit gegen die Natur schützen.

2. Genügsamkeit

Als Bürger in einem reichen Land, in dem den Menschen jegliche Form von Luxus dargeboten wird, in dem sogar Lebensmittel nach Frische und Qualität aussortiert werden, in dem folglich in Übermaß an Verschwendung herrscht, kann eine Erfahrung des Fastens dazu dienen, sich auch mit dem zu begnügen, was der Mensch momentan besitzt oder tatsächlich braucht. Zumindest dürfte eine solche Erfahrung zu einem Umdenken beim Umgang mit den Lebensmitteln verhelfen.

Wie sehr würden viele Fastende während des Fastens in diesen heißen Tagen nur ein Schluck Wasser trinken wollen. Die geringste Menge würde dem Menschen in einem solchen Moment reichen. Sofern der Mensch sich an dieser Erfahrung orientiert, ist es gut möglich, weniger maßlos zu agieren, wenn er wieder in uneingeschränktem Besitz dieser Gaben ist. Daher soll das Fasten auch die Not und das Hungern vieler Menschen in Erinnerung rufen.

Die Genügsamkeit kann uns Menschen vor weiterer maßloser Prasserei schützen. Entgegen der falschen Vorstellung von Freiheit durch TV-Werbungen und Sendungen, die uns einreden wollen, wir wären freier, wenn wir die neuesten technischen Errungenschaften kaufen, werden wir tatsächlich durch die Erleichterungen noch abhängiger. Die technischen Errungenschaften bieten uns viele Hilfen an, dies ist nicht zu bezweifeln, doch inwieweit gibt uns das mehr Freiheit, wenn dieser Hype nach mehr Erleichterung (bzw. Bequemlichkeit) und die Sucht und Gier nach der neuesten Modeartikel, nach dem neuesten Modell eines Autos oder Handys das Denken und das Leben mitbestimmt? Und dies geschieht wiederum – schauen wir auf die Fabriken der Superkonzerne in den industriell armen Ländern – nicht minder auf Kosten vieler Anderer.

3. Selbstkontrolle/Selbstdisziplin

Jeder Mensch besitzt eine Seele. Eine Stufe der Seele, welche den Menschen stets zum Schlechten verführt und verleitet, wird Triebseele genannt. Umgangssprachlich ist es der innere Schweinehund. Der Mensch besitzt von Natur aus negative Eigenschaften, die seinen Charakter mitbestimmen. Durch die Erfahrung des Fastens kann der Mensch alleine mit dem Aspekt der Geduld lernen, negative Eigenschaften wie Zorn, Gier, Eilfertigkeit in gewissem Maße unter Kontrolle zu halten. Dagegen dürfte die Ausprägung der positiven Eigenschaften, für die ebenfalls Selbstdisziplin in gewissem Grade notwendig ist, dem Menschen zugleich die Geistesfreiheit gewähren. Wie schon Friedrich Schiller passend formulierte: „Beherrschung der Triebe durch die moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung“.

So sollen die Muslime während des Fastens weder Obszönes sagen noch sich schlecht benehmen, weder schreien noch Krach machen, weder beleidigen noch sich darauf einlassen.

4. Das Wir-Bewusstsein

In einer Gesellschaft in der der einzelne Mensch, trotz der vielen technischen Möglichkeiten der Kommunikation und der Kontaktbildung, einsamer wird – und nicht selten sogar wegen dieser Möglichkeiten, kann die Erfahrung des gemeinsamen Fastenbrechens, die gemeinsam verrichteten Gottesdienste oder die gemeinsamen Koranrezitationen im Monat Ramadan von dieser Einsamkeit eventuell befreien oder einfach nur das Wir-Gefühl intensivieren. Selbst wenn im Islam die Individualität des Einzelnen hervorgehoben wird, so ist der Islam zugleich oder sogar mehr eine Religion der Gemeinschaft. Der Islam fördert und verlangt nicht nur die Geschwisterlichkeit unter den Gläubigen, sie fördert und verlangt zugleich von den Muslimen, auf Probleme und Wünsche von Nicht-Muslimen einzugehen.

Das Wort Ummah, was heute für die globale muslimische Gemeinschaft verwendet wird, wurde vom Propheten in dem berühmten Vertrag von Medina für alle Medinenser verwendet und sie alle waren dazu verpflichtet, sich gegenseitig zu schützen und zu helfen. Zu diesem Ummah gehörten die Muslime, die Juden, die Christen und auch die Polytheisten in Medina.

Alleine die Gebote über die Rechte der Nachbarschaft – unabhängig von Religion, Stand oder Nation – bezeugt nicht nur den innerislamischen Gemeinschaftssinn, sondern fördern auch das interkulturelle und interreligiöse Gemeinwohl. So wird in diesem Fastenmonat nicht nur angehalten, mit Glaubensgeschwistern das Fasten zu brechen, sondern dazu auch angeraten, nicht alleine zu essen. Stattdessen soll man Nachbarn, Freunde, Bedürftige oder Reisende zu sich einladen. Das Fastenbrechen wird somit zu einem bescheidenen, unbefangenen und anhaltenden Vorurteilsbrechen.

Des Weiteren ist das Fastenbrechen zugleich auch ein Streitbrechen. Es ist Ritus, während der Fastentage oder spätestens in den abschließenden Feiertagen, frühere Streitigkeiten zwischen Freunde und Verwandte zu vergessen und sich zu versöhnen.

5. Geduld

Die Geduld besitzt eine enorme Bedeutung im Islam und wird sogar als die Hälfte des Glaubens beschrieben. Der Prophet Muhammad (saw) sagte einer Überlieferung zufolge, dass der wahre Held derjenige ist, der seine Wut besiegen oder unter Kontrolle halten kann. Die Fähigkeit zur Geduld kann mit dem Fasten sehr gut ausgebaut werden. In einer Zeit der Enthaltsamkeit vom Essen und Trinken, besonders jetzt in den langen und heißen Tagen, dürfte für den Fastenden nicht leicht sein, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten, und doch wird dies eben verlangt. Die Muslime sollen nicht nur von sich aus versuchen, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, sie sollen sich auch vor Provokationen schützen und sich davon fernhalten.

Ein Grundsatz im Islam ist, dass im jedem Schlechtem etwas Gutes sein kann oder etwas Schlechtem etwas Gutes folgen kann. Handelt nun der Fastende gemäß diesem Grundsatz und erwartet geduldig in etwas Schlechtem etwas Gutes, so dürfte er durch diese Erkenntnis und Erfahrung nicht mehr so leicht anfällig auf Provokationen sein. Provokationen, von welcher Seite auch immer, werden somit ihre Ziele – Hass und Chaos zu schaffen – weniger oder gar nicht erreichen können.

6. Fürsorge und Hilfsbereitschaft

Ein weiterer Grundsatz im Islam ist, dass Bedürftige nicht nach ihrer Herkunft und Religion gefragt werden. Diese Fürsorge und Hilfsbereitschaft wird insbesondere im Ramadan hochgeschätzt. Muslime sollen, sofern sie in der finanziellen Lage sind, ein Entgelt, die fitra bezahlen, mit der den Bedürftigen geholfen werden soll. Und dies soll noch vor den Feiertagen geschehen, unter anderem auch deshalb, damit den Bedürftigen die Möglichkeit gegeben wird, an diesen Feiertagen würdig teilzunehmen.

Weiterhin wird in vielen Ländern traditionell in diesem Monat auch die sogenannte Almosensteuer (die zakah) gesammelt. Und des Weiteren sollen die Muslime, die nicht fasten können, für diese fehlenden Tage jeweils für einen Armen oder für eine arme Familie eine Ersatzleistung, die fidya, entrichten. Zu guter Letzt wird im Vers 2:184 den Fastenden und nicht Fastenden Muslimen angeraten, mehr gute Werke zu leisten. Dies kann in Form einer Spende sein oder auf andere Weise, mit denen gesellschaftliche und nachbarschaftliche Fürsorge und Hilfe geleistet werden kann.

Fazit

Demut, Ehrfurcht und Respekt vor dem Leben, vor der Natur und vor den Gaben Gottes; gegen die Habsucht, Zerstörung, Arroganz und Hochmut; Genügsamkeit gegen die Prasserei, Verschwendung und gegen die soziale Ungerechtigkeit; Selbstkontrolle und Selbstdisziplin gegen die schlechten Eigenschaften; das Wir-Gefühl gegen die Vereinsamung, gegen Vorurteile, Rassismus, Streit und gegen den Egoismus; die Geduld gegen Wut und Hass, gegen Provokationen und somit für eine friedliche Ordnung; Fürsorge und Hilfsbereitschaft für eine soziale Verantwortung und gegen die soziale Ungerechtigkeit, gegen Neid, Gier, Hass und gegen vieles mehr, sind nur vereinzelte Beispiele einer möglichen und tatsächlichen Lehre des Fastens.