Griechenland Referendum

Quo Vadis – the last und the next exit

Heute stimmen rund zehn Millionen Griechen ab, ob sie die strengen Sparauflagen der EU akzeptieren oder ablehnen. Was ein „Nein“ oder ein „Ja“ bedeuten und welche Folgen sie haben werden, erklärt Wolf Wetzel.

Auch wenn das Personal der Troika seit langem und jetzt noch einmal geballt in fast jeder Talkshow, in jedem Interview das Gegenteil behauptet. Es weiß es besser. Griechenland ist nicht in die Eurozone eingegliedert worden, weil es die ›Kritierien‹ erfüllt hat, sondern weil geostrategische Überlegungen eine viel bedeutsamere Rolle spielten, als finanzpolitische Kriterien, an die man sich nur optional hält.

Die dem Beitritt zugrunde liegenden Voraussetzungen, die ›Maastricht‹- Kriterien, haben zu aller erst jene gebrochen, die heute mit Rehaugen und Stiernacken auf die Einhaltung von Verträgen pochen: Die deutsche Bundesregierung.

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Die Schuldenberge, die sich damit aufgetürmt haben, sind kein Problem für die ›Institutionen‹, wie sie jetzt heißen, sondern ein ideales Erpessungsmittel, egal, welche Regierung in Griechenland an der Macht ist oder dorthin gewählt wird.

Die Schulden sind nicht bedauerlich, sondern gewollt. Denn die Bedingungen, die an ihre Rückzahlung gestellt werden, sich die eigentliche Regierung des Schuldnerlandes und machen jede Wahl obsolet.

Deshalb ist das Argument, Griechenland könne niemals die 380 Milliarden Euro Schulden zurückzahlen, ein hilfloses Argument. Gerade die Unfähigkeit, die Schulden zurückzuzahlen, zwingt jede Regierung in Geiselhaft. Und diese gilt erst recht für eine Regierung, die sich nicht bedingungslos der Troika unterstellt.

Von den ›Hilfspakten‹, die man als Rettungspakte ausgibt, haben ›die Griechen‹ so gut wie nichts. Über 85 Prozent der ›Hilfsleistungen‹ sehen keinen einzigen Tag die Sonne Griechenlands, sondern wandern in die Portfolios der Gläubiger (Banken, EZB, IWF etc.)

Die Behauptung, die Troika würde Wahlen und Referenden respektieren, ist richtig – wenn die zur Wahl Gerufenen richtig wählen.

Sobald jedoch die Gefahr besteht, dass sie falsch wählen, hört der Wahlspass auf. Als 2011 der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Papandreou ein Referendum abhalten wollte, das die Verarmungsdiktate zur Abstimmung stellen sollte, machte man dem Parteifreund deutlich, dass er von Demokratie eine irre Vorstellung habe. Er verstand und zog das Referendum zurück … und akzeptierte alle Bedingungen. Diese offene Intervention hinterließ jedoch unschöne Spuren.

Diese vermeidet man heute, angesichts des bevorstehenden Referendums am 5. Juli 2015. Stattdessen probt die Troika Lebensbedingungen, die folgen würden, wenn die Menschen in ihrer Mehrheit ›Nein‹ zum letzten ›Vorschlag‹ sagen würden: Man stellt die Beatmungsgeräte ab, indem man das Land geldpolitisch einen Erstickungstod erleiden läßt. Man will auf diese Weise einmal mehr unter Beweis stellen, dass Entscheidungen nicht an der Wahlurne getroffen werden, sondern an den Kapitalmärkten.

»Syriza muss fallen!« (Hans-Ulrich Jörges, Chefredakteur des Magazin Stern)

Hatte man bislang in Lehrerjargon von ›Hausaufgaben‹ gesprochen, die die griechische Regierung nicht gemacht habe, so geht man jetzt zunehmend zur rassistischen Hetze über, die mitttlerweile im Ton und Inhalt neonazistischer Kameradschaften gleicht:

»Tsipras‘ Regierung wird wahlweise als ›unverschämt‹ (FAZ), ›frech‹ (FAZ) oder ›pervers‹ (Stern.de vom 2.7.2015) bezeichnet. Die Wirtschaftspresse geht mittlerweile zu rassistisch konnotierten Klischees über und beschimpft Alexis Tsipras als ›Teppichhändler‹ (Handelsblatt.de vom 1.7.2015). Offen rassistische Anklänge sind in dem Springer-Blatt ›Die Welt‹ zu lesen, wo es heißt, ›bei den Griechen der Neuzeit‹ handele es sich weniger um Nachfahren des historischen Hellas als ›um eine Mischung aus Slawen, Byzantinern und Albanern‹ (Griechenland zerstörte schon einmal Europas Ordnung, www.welt.de 11.06.2015).« (german-foreign-policy.com vom 3.7.2015)

Zwischen nai und oxi

Die gegenwärtige Syriza-Regierung ruft im anstehenden Referendum dazu auf, mit ›Nein‹ zu stimmen, um mit einem stärkeren Mandat in die nächsten Schulden-Verhandlungen zu gehen.

Genau dies wird so nicht passieren, denn das würde vorausetzen, dass der Wille der griechischen WählerInnen etwas zählen/verändern würde. Dass genau dies nicht der Fall ist, hat man bereits zur Genüge demonstriert. Syriza ist 2015 mit 36 Prozent der abgegebenen Stimmen in Griechenland an die Macht gewählt worden, um das bisherige Verarmungsprogramm der Troika zu beenden. Tatsächlich schert sich die Troika nicht um eine neue, andere Regierung, sondern besteht (im wesentlichen) darauf, dass das umsetzt wird, was sie mit den christdemokratischen und sozialdemokratischen (Vorgänger-)Regierungen zuvor vereinbart hatte. Also so, als hätte Griechenland gar nicht (anders) gewählt.

Warum sollte sich die Troika von einem Referendum beeindrucken lassen?

An den Machtverhältnissen wird sich auch nach einem positiven Referendum nichts ändern: Syriza steht weiterhin mit maximal einem Spielern auf dem Platz, die Troika-Mannschaft mit 12 Feldspielern und zahllosen Ersatzspielern. Solange diese Bedingungen das Spiel diktieren, ist der Ausgang mehr als vorhersehbar. Ob das Publikum in diesem Spiel aufseiten des krassen Außenseiters steht, ist für den Spielverlauf wahnsinnig unbedeutend – solange sie ihre Plätze, ihre Zuschauerplätze nicht verlassen. Solange unten auf dem Rasen nach den Regeln der Troika gespielt wird, steht das Ergebnis fest: 18: 1. Mindestens.

Die Syriza-Regierung will und muss das Referendum auf Zustimmung bzw. Ablehnung des vorliegenden Verhandlungsergebnisses begrenzen. Sie will es nicht als Votum gegen die EU, gegen den Verbleib in der Euro-Zone verstehen.

Das ist verständlich … und wird nicht funktionieren. Ob sie will oder nicht: das Referendum wird ein Votum für oder gegen den Verbleib in der Euro-Zone.

Dies liegt nicht nur an Syriza-Regierung. Es liegt an der gesamten europäischen (Partei-)Linken, die sich in der Praxis bisher nur zwischen zwei Kapitalismen (gegen den ›neoliberalen‹, zugunsten eines ›sozialen‹ Kapitalismus) positioniert hat.

Diesbezüglich ist zu befürchten, dass viele, zuviele in Griechenland wissen, spüren, dass man mit maximal einem Feldspieler nicht oben mitspielen kann und wird. Die ›soziale‹ und die ›neoliberale‹ Variante des Kapitalismus beschreiben also keine Gegensätze, sondern das notwendige und gewollte Gefälle innerhalb Europas. Auch das gehört zu den Regeln des EU-Fightclubs.

Wenn also die Mehrheit in Griechenland mit ›Ja‹ stimmen würde, dann ist das sicherlich kein Votum für den Kapitalismus (den sie zur Genüge erleben), sondern ein Votum gegen eine politische Ungewissheit, die folgen würde, wenn nach einer erfolgreichen Wahl das Waterboarding der Troika weitergehen würde.

Dass es in diesem Referendum um mehr geht, als um das nächste Verarmungsprogramm, wissen zu viele. Deshalb müßte ein Nein, muss ein ›Oxi‹ mit einer anderen politischen Idee, mit einer ganz anderen politischen Strategie verbunden sein. Es wird endlich Zeit, dass aus dem antikapitalischen Protest eine politische Strategie wird, die sich nicht am Schrecken des Kapitalismus festhält, sondern eine Vision erkennbar macht, die über den Kapitalismus hinausweist.

Heike Schrader, dies seit langem die Ereignisse in Griechenland verfolgt, hat dies mit Blick auf das bevorstehende Referendum sehr präzise auf den Punkt gebracht:

»Für viele Menschen steht verständlicherweise die Ablehnung der als erniedrigend empfundenen und in die endgültige Verarmung führenden Gläubigerforderungen im Vordergrund, ohne dass daraus zwingend ein Austritt des Landes aus der Gemeinschaftswährung gefolgert wird. Andere wiederum sehen im Austritt aus EU und Euro die Voraussetzung für einen Ausweg aus der Krise. Solange aber weder die KKE noch der linke Flügel von Syriza konkret verdeutlichen können, wie ein Alleingang des Landes zu bewerkstelligen wäre und welche Partner Griechenland in so einem Fall zur Seite stehen würden, droht das Lager derjenigen zu überwiegen, die die zur Normalität gewordene prekäre Situation dem Sprung ins Unbekannte vorziehen. Sie alle werden zusammen mit den großbürgerlichen Nutznießern der Situation am kommenden Sonntag mit »ja« stimmen.« (jW vom 29.6.2015)

Diese Leerstelle müßte die Linke betreten, überall. Ansonsten wird genau diese von Troika bis Morgenröte geflutet. Beide stehen bereits mit einem Fuss in dieser Leerstelle.

Wenn man heute (aus politischer Ohnmacht) in der Eurozone bleiben will, dann müßte man gerade in diesem Fall dafür sorgen, dass die Troika auf jedem Platz, an jedem Austragungsort befürchten müßte, dass die ZuschauerInnen nicht mehr länger einem miesem Spiel beiwohnen werden, sondern den Platz stürmen – in Paris, in Frankfurt, in London, in Dublin … Das wäre ein notwendiger Anfang, sich gemeinsam auf einen langen Weg zu machen, dem ›Oxi‹, dem ›basta‹ die Angst zu nehmen.