Der Fall: Dylann Roof

Über weiße Einzeltäter und muslimische Terroristen

Ein Weißer ermordet neun Afro-Amerikaner in South Carolina. Weder Medien noch Regierung sprechen von einem Terroranschlag, sondern von einem psychisch kranken Einzeltäter. Ein muslimischer Täter wäre sofort zum Terroristen erklärt worden. Von Paul Simon

In den USA droht es beinahe zu einem traurigen Ritual zu werden: Genau wie es mit beklemmender Regelmäßigkeit zu brutalen Amokläufen kommt, flammen danach die immer gleichen Debatten auf. Für einige Tage diskutiert dann das Land über eine Verschärfung der Waffengesetze – bis der Streit wieder einschläft und erst mit der nächsten Tragödie neu belebt wird.

Nach dem brutalen Anschlag von Dylann Roof auf einen Gebetskreis in Charleston, South Carolina, bei dem am 17. Juni neun Afro-Amerikaner ermordet wurden, unter ihnen auch eine Senatorin, stellten sich allerdings noch andere Fragen: Warum, verlangten viele zu wissen, sprachen weder Medien noch die Regierung von einem Terroranschlag? Ist dies Ausdruck der Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft, die dem weißen Attentäter seine Individualität zugesteht und den Grund seiner Tat in seinen psychischen Problemen erkennt, im muslimischen Gewalttäter aber sofort den Terroristen erblickt und damit einen Vertreter einer potenziell gefährlichen Gruppenidentität?

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Es ist eine historische Wahrheit, die von vielen US-Amerikanern immer noch geleugnet wird, dass die Privilegien der weißen Mehrheit durch offene Terrorakte gefestigt wurden, gerade nach Abschaffung der Sklaverei und auch nach Abschaffung der Rassentrennung. Ob legal oder illegal, ob in Form eines Lnychmobs oder als „Polizeigewalt“, Terror und Gewaltverbrechen waren niemals nur Ausdruck eines irrationalen, persönlichen Hasses, sondern Teil einer politischen Strategie des Machterhaltes und der Einschüchterung. Es ist dieses Erbe, dass Dylann Roof bewusst antrat und das unter den Teppich gekehrt wird, wenn man seine Tat als Produkt einer kranken Psyche zu erklären versucht.

Der Anschlag von Charleston zwingt deshalb jetzt die amerikanische Gesellschaft dazu, sich der Frage zu stellen, ob der „War on Terror“ blind gegenüber rechtsextremen Terrorismus ist. Die Zahlen sprechen für sich: Seit dem Jahr 2002 hat der rechte Terror in den USA weitaus mehr Opfer gefordert als der islamistische – eine Zahl die wohl kaum mit dem Empfinden des durchschnittlichen Medienkonsumenten übereinstimmt. Während dann auch seit dem 11. September selbst gesetzestreue muslimische Organisationen ins Visier der Geheimdienste geraten sind, wurde die Gefahr des Rechtsextremismus seit der Hochzeit der militia-Bewegung in den 90er-Jahren lange unterschätzt – auch weil sich die etablierte Rechte immer wieder mit ihren extremistischen Rändern solidarisch erklärte. Der verstörende Vergleich zu Deutschland zwingt sich auf: Auch hier wurde etwa der Anschlagsplan der Sauerland-Gruppe dank umfassender Überwachung im Keim erstickt, während der NSU jahrelang vor den Augen des Verfassungsschutzes morden konnte.

Ein Polizei-Video zeigt, die Festnahme von Dylan Roof

Nun war Dylann Roof zwar nicht eingebunden in ein terroristisches Netzwerk, sondern offenbar ein Einzelgänger, der sich – diese Phrase kennt man – im Internet radikalisiert hatte. Aber das heißt nicht, dass seine Tat aus dem Nichts kam. Sie war vielmehr eingebettet in einen politischen Kontext, in dem seine persönliche Identitätskrise erst ihre Richtung fand. So schildert er es zumindest selbst einem bereits im Februar verfassten Manifest, das vor kurzem auf einer mit seinem Namen registrierten Website entdeckt wurde.

Er sei nicht rassistisch erzogen worden, schreibt er dort, sondern erst durch die Berichterstattung um den Fall Trayvon Martin auf die Bedeutung des Rassismus aufmerksam geworden. Trayvon Martin, der Teenager, welcher vor drei Jahren von George Zimmerman, Mitglied einer Bürgerwacht, erschossen wurde, war der erste einer Reihe von jungen Afro-Amerikanern, deren gewaltsamer Tod seitdem immer wieder die USA erschütterten und die Debatte über Polizeigewalt und Rassismus im Justizsystem neu entfachten.

Für Roof war die polarisierende Berichterstattung, die George Zimmerman für einen kurzen Moment zum Medienstar machte, die Einstiegsdroge in den Rassenhass. Es ist besorgniserregend, wie leicht es ihm daraufhin viel – dank des Internets – zum Rechtsextremisten zu werden: „[Der Fall Trayvon Martin] veranlasste mich dazu, die Worte „black on White crime“ in Google einzugeben,“ schreibt er dazu in seinem Manifest, „und das hat mich für immer verändert.“

Er vertiefte sich in Websites wie die des Council of Conservative Citizens, welche die Bedrohung der weißen Bevölkerung predigten – durch schwarze Kriminalität, durch gemischte Schulen, durch Einwanderung. Auch bezog sich Roof in seinem Manifest auf die Situation in Europa – dort, im „Heimatland der weißen Rasse“, sei die Situation sogar noch schlimmer als in den USA. Er identifizierte sich mit den europäischen Rechtspopulisten – ebenso wie seine Inspiration, der Council of Conservative Citizens.

Diese Organisation aus St. Louis, Mississippi fühlte sich dem Front National derart verbunden, dass sie bei einem Besuch in Frankreich Marine Le Pen die Flagge der Südstaaten, die auf dem Parlamentsgebäude in Charleston, South Carolina (!) geweht hatte, als Geschenk überreichte. Nicht nur die Netzwerke der Islamophobie sind mittlerweile international und transatlantisch gespannt. Morris Dees und Richard Cohen, Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center, sprachen in der New York Times bereits von der „Globalisierung des weißen Nationalismus.“

Um die Flagge der Südstaaten, welche immer noch über dem Kapitol von South Carolina in Charleston weht, dreht sich nun auch in den USA ein Streit: Ist es nicht an der Zeit, fragen viele, endlich dieses Symbol des Sklavenhalterstaates zumindest von offiziellen Gebäuden zu entfernen?

Dylan Roof nach seiner Festnahme

Es wäre auch ein Schritt hin zu den wirklich schmerzhaften Fragen: Warum sind viele der Ideen, die Roof annahm, so ein gewöhnlicher – wenn auch oft verdeckter – Teil des öffentlichen Diskurses? Die angebliche Bedrohung durch schwarze Gewalttäter? Die Bedrohung der (kulturellen) Identität Amerikas durch Fremde? In wessen Interesse liegt es, diese Ängste und Ressentiments verdeckt wach zu halten, obwohl sie die Gefahr der Gewalt immer in sich tragen?

Im amerikanischen gibt es für die unterschwellige Instrumentalisierung rassistischen Gedankenguts den Ausdruck „dog whistle politics“ – so genannt, weil sie es erlauben, eine nicht mehr öffentlich akzeptable Botschaft zu vermitteln, ohne sie laut hörbar auszusprechen. Auch in Deutschland kommt es immer wieder vor, dass Politiker mit subtilen Andeutungen und Akzentuierungen am rechten Rand Wähler mobilisieren wollen. Dylann Roofs Gewalttat sollte uns die Gefahr dieser Taktik vor Augen halten, denn auch hier zu Lande sammeln Rechte online obsessiv „Deutsche Opfer, Fremde Täter“, auch hier sehen sich viele rechte Aktivisten, wie Dylann Roof, als Vertreter einer „letzten Generation“, die noch den Untergang der weißen Mehrheitsgesellschaft verhindern kann. Wer diesen Vorstellung Nahrung bietet, muss sich darüber klar sein, dass er mit dem Feuer spielt.