1 Schritt vor, 2 Schritte zurück

Die Logik des weißen, deutschen Kulturbetriebs

Im Kulturbereich scheint sich der Glaube durchgesetzt zu haben, dass mit der Besetzung der Intendanz von Shermin Langhoff am Maxim Gorki Theater in Berlin das Thema Diversität abgehakt ist. Ein Trugschluss. Bahareh Sharifi über fehlende Diversität in Kulturinstitutionen.

Sehr viel ist in letzter Zeit über den geplanten Intendantenwechsel an der Berliner Volksbühne geschrieben worden. Über das sich abzeichnende Ende der Ära-Castorf, der nach 25 Jahren immer noch nicht gehen will. Über seinen Nachfolger, den derzeitigen Leiter der Tate Modern in London, dem viele als Kurator für bildende Kunst die Rolle eines Sprechtheaterintendanten nicht zutrauen. Über den Kulturstaatssekretär Tim Renner, den Claus Peymann zur „Fehlbesetzung des Jahrzehnts” kürte. Über die Zukunft der Volksbühne als Produktionsstätte für freie Gruppen, womit bereits die Demontierung der deutschen Theatertradition prophezeit wurde.

Und doch war es das, worüber nicht gesprochen wurde, was den symptomatischen Charakter der deutschen Kulturlandschaft auszeichnet. Die Frage nach der fehlenden Diversität in Kulturinstitutionen. Im Programm, im Personal, im Selbstverständnis. Eine Internationalisierung, wie sie sich durch die ersten Pläne von Chris Dercon bereits andeuten, bedeutet keineswegs eine Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt. Ein Tänzer von der Elfenbeinküste beschreibt nicht automatisch die Perspektive der afro-deutschen Community. Ein weißer Niederländer, der sich in seiner Kunst mit Homosexualität beschäftigt, weiß nicht unbedingt um die begrenzten (Schutz)Räume, in denen sich queere Künstler of Color bewegen können. Ein weißer Südafrikaner reflektiert eben nicht unweigerlich die koloniale Kontinuität seiner Kunst, auch wenn sie anti-rassistisch gemeint ist.

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Selbst in der Wirtschaft wird Vielfalt mittlerweile als positiver Faktor angesehen und es wird versucht, mit neoliberalen Ansätzen wie Diversity Management durch eine heterogene Personalpolitik die Effizienz zu steigern. Im Kulturbereich scheint sich jedoch der Glaube durchgesetzt zu haben, dass mit der Besetzung der Intendanz von Shermin Langhoff am Maxim Gorki Theater das Thema Diversität abgehakt ist. Auch wenn dies einen sehr wichtigen Schritt hin zu Diversity Mainstreaming darstellt, sollte es nicht bei einem Vorzeigeprojekt bleiben. Eine nachhaltige Repräsentation unterschiedlicher, sozialer Realitäten im Kunstbereich kann nur dadurch erreicht werden, wenn auf allen gesellschaftlichen Ebenen eine Veränderung vollzogen wird.

So konnten auch im Maxim-Gorki-Theater gesellschaftliche Machtmechanismen nicht gänzlich aus den Angeln gehoben werden. Leitende und kreative Positionen wie Regie und Dramaturgie sind auch hier kaum mit Menschen besetzt, die von Ausschlüssen und Diskriminierungen im deutschen Bildungssystems betroffen waren. Entweder weil sie als weiße Männer aus zumeist bürgerlichen Haushalten solchen Erfahrungen und Exklusionen nicht ausgesetzt waren oder erst im Erwachsenenalter nach abgeschlossener künstlerischer Ausbildung nach Deutschland kamen. Die Kulturwissenschaftlerin Onur Suzan Kömürcü Nobrega weist darauf hin, dass die Frage nach Diversität im Kulturbereich nicht unabhängig von der Undurchlässigkeit deutscher Bildungsinstitutionen gedacht werden sollte, da sie bereits früh zu Ausschlüssen von Menschen jenseits der weißen, bürgerlichen Mitte führt. Um dem Kulturauftrag gerecht zu werden und die Vielfalt hiesige gesellschaftliche Perspektiven in Kulturinstitutionen abzubilden, muss eine diversitär-orientierte Personalpolitik Teil jeder (staatlichen) Kulturstätte sein und Diskriminierung in Bildungsinstitutionen als strukturelles Problem erkannt und abgebaut werden.

„Who is the Volk in the Volksbühne“ fragte bereits 2003 die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), als sie gegen die rassistische Sprachverwendung der Volksbühne protestierte. Dabei stieß die ISD sowohl an der Volksbühne, als auch medial auf Unverständnis. Die Deutungshoheit über das, was rassistisch ist, ließ man sich eben nicht nehmen. Auch nicht von denen, die unmittelbar davon betroffen sind.

Mittlerweile ist viel passiert, was zu einem Perspektivwechsel geführt hat – so möchte man zumindest meinen. Wir hatten die kontrovers diskutierte, aber sehr produktive weil sensibilisierende Kinderbuch-Debatte und der Begriff „Blackfacing“ ist zum Anglizismus des Jahres gewählt worden. In der Laudatio des Jury-Vorsitzenden Anatol Stefanowitsch hieß es „Diese Bezeichnung für die Darstellung schwarzer Menschen durch dunkel geschminkte weiße Menschen reflektiert einen Konflikt zwischen einer Mehrheit, die für sich eine uneingeschränkte kulturelle Deutungshoheit in Anspruch nimmt, und einer (wachsenden) Minderheit, die das nicht mehr stillschweigend hinnimmt.“

Diese Rassismen sind die Erben der kolonialen Geschichte, die sich in die kulturelle Praxis eingeschrieben haben. So sind die Wegbereiter der aktuellen Diskussion um den Völkermord an den Herero und Nama und damit der Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte hauptsächlich die wissenschaftlichen, aktivistischen und künstlerischen Kämpfe und Produktionen Schwarzer Deutscher. Sie entstanden u.a. aus dem Bedürfnis heraus, die alltägliche Diskriminierung sichtbar zu machen.

Wir wissen heute mit Blick auf den NSU, dass die Angehörigen der Opfer und ihr soziales Netzwerk bereits sehr früh einen Zusammenhang zwischen den Taten erkannt hatten. So forderten sie bereits 2006 nach der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel bei einem Schweigemarsch „Kein 10. Opfer“ und die Aufklärung der Morde. Aber statt ihnen zuzuhören, wurden sie kriminalisiert.

Wenn wir Kunst als ästhetische Übersetzung der sozialen Realität verstehen, dann kann nicht ein Teil der Gesellschaft ausgegrenzt werden. Wenn Kunst ein Ort sein soll, indem Utopien entworfen werden, dann können Machtmechanismen nicht unhinterfragt stehen gelassen werden. Wenn Kunst ein kritisches Potenzial entfalten soll, dann kann das nur geschehen, wenn jene Perspektiven zu Wort kommen, die sonst unsichtbar gemacht werden.

Nach jahrelanger Kritik an der Auswahl der Produktionen des Theatertreffens, die sich rassistischer Mittel bedienten, beschäftigt sich das Festival dieses Jahr thematisch mit Asyl und Postkolonialismus. Gleichzeitig sind auch wieder zwei Theaterinszenierungen mit Blackface eingeladen. Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück!