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Moscheekuppel © Islamwoche Berlin

Wie viel Institution braucht Religion?

Dem deutschen Staat fällt der Umgang mit dem Islam schwer

Jede Religion ist anders. Während der deutsche Staat im Umgang mit den christlichen Konfessionen geübt ist, gestaltet sich seine Beziehung zum Islam schwieriger. Sie lässt sich nicht in die Politikmuster einpassen. Ein Umdenken wäre dringend nötig. Von Prof. Dr. Gunnar Folke Schuppert

Von Mittwoch, 15.04.2015, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.04.2015, 18:01 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Einladungen zu Konferenzen bereiten normalerweise keine unüberwindbaren Schwierigkeiten: Wenn man die für das Konferenzthema wichtigsten und interessantesten Stakeholder identifiziert hat, gibt es allenfalls noch einige ergänzende protokollarische Überlegungen anzustellen. Bei der im Jahre 2006 vom damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble einberufenen ersten Islamkonferenz war dies offenbar anders: Wen sollte man einladen, welche Verbände repräsentieren den Islam? Dieses Problem, den für den Islam zuständigen Ansprechpartner zu finden, wird naturgemäß noch einmal verschärft, hat man die Absicht, die als verbesserungswürdig angesehenen Beziehungen zum Islam auf eine vertragliche Grundlage zu stellen. Wie schön wäre es deshalb – so ließen sich manche Zeitgenossen vernehmen –, wäre auch der Islam eine „verkirchlichte“ Religion.

Dass das deutsche Staatskirchenrecht mit seiner Fixierung auf fest institutionalisierte Religionsgemeinschaften mit dem geringen Organisationsgrad des Islam Schwierigkeiten haben würde, war vorauszusehen und gipfelte in der lebhaften Diskussion darüber, ob der vergleichsweise unorganisierte Islam in Gestalt der Dachverbände ein hinreichend repräsentativer und verlässlicher Vertragspartner des Staats sein könne. Welche Denkweisen bei dieser Diskussion Pate standen und stehen, zeigt der Beitrag von Ansgar Hense mit dem bezeichnenden Titel „Staatsverträge mit Muslimen – eine juristische Unmöglichkeit?“, in dem wie folgt argumentiert wird: Als Partner eines religionsverfassungsrechtlichen Vertrags, der grundlegende Aspekte auf Dauer stabil regeln will, komme nur eine Institution in Betracht, die diesem Regelungsanliegen gerecht werden könne. In Übereinstimmung mit dieser notwendigen Voraussetzung sei das deutsche Religionsverfassungsrecht durch einen hohen Grad an Institutionalität geprägt; gerade bei der Aufgabe, den Islam in das religionsverfassungsrechtliche Gefüge des Grundgesetzes zu integrieren, stelle sich die Frage „Wie viel Institution braucht Religion?“ Der Islam scheide daher als Partner religionsverfassungsrechtlicher Staatsverträge aus, lautet die Botschaft dieser Argumentation.

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Der renommierte protestantische Theologe und Religionswissenschaftler Friedrich Wilhelm Graf hat zur Kennzeichnung dieser Argumentationsweise und der Religionspolitik der vorherigen großen Koalition die folgenden deutlichen Worte gefunden: „Der deutsche Staat setzt hier auf eine Art Tauschhandel. Die Muslime sollten sich mit ihren Moscheevereinen und Dachverbänden irgendwie kirchenanalog organisieren, dann könnten sie rechtliche Privilegien […] [und] Staatsleistungen erhalten.“ Hier werde – so resümiert Graf – „ganz in den Traditionen der Religionspolizei, stark etatistisch, in tendenziell autoritären Mustern einer Integration pluralistischer religiöser Lebenswelten von oben gedacht“. Diese Schwierigkeiten des angemessenen Umgangs mit dem unorganisierten Islam geben Anlass, einen kurzen Blick auf den unterschiedlichen Institutionalisierungsgrad von Religionsgemeinschaften und ihr unterschiedliches Näheverhältnis zum institutionellen Denken zu werfen.

Katholisch sein heißt, in einer Institution – der katholischen Kirche – beheimatet zu sein; die Obhut der Kirche beginnt mit dem Sakrament der Taufe, mit der der Täufling der Kirche anheimgegeben wird. Diese prinzipiell unaufgebbare Bindung an die Institution Kirche ist ein prägendes Kennzeichen des katholischen Glaubens; insofern ist katholischer Glauben stets in die Gussform einer Institution eingebunden und trifft die Redeweise von der Institutionalität des Katholizismus – die insbesondere Carl Schmitt immer wieder betont hat – genau die für die katholische Kirche typische Verbindung institutionellen und juristischen Denkens.

In einem Beitrag für das Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland hat Gerhard Schmidtchen von der „unterinstitutionalisierten protestantischen Religiosität“ gesprochen, ein Befund, der sich mit Friedrich Wilhelm Graf überzeugend erläutern lässt: „Zentrales Thema der Wittenberger Reformation war eine Kritik der Institution Kirche und ihrer klerikalen Herrschaftsansprüche. Mit dem sogenannten Rechtfertigungsglauben aber verlagert sich der Schwerpunkt von der Institution hin zum frommen Individuum: Zwar bleibt es Aufgabe der Kirche als religiöser Institution, dem Individuum Heilsgewissheit zu vermitteln. Aber die Struktur solcher Vermittlung wird signifikant verändert“, schreibt Schmidtchen.

Wenn man einmal die Binnenperspektive des Christentums verlässt, sieht man alsbald sehr klar, dass das Christentum als verkirchlichte Religion im internationalen Vergleich ein Sonderfall ist; weder das Judentum noch der Islam sind als Kirche organisiert und – was die von Graf kritisierte deutsche Religionspolitik nicht charakterisieren wollte und will – von ihrem Selbstverständnis auch nicht organisierbar. Versucht man, die Organisationsstruktur des Islam zu verstehen, so ist dabei der amerikanische Religionssoziologe José Casanova eine große Hilfe, dem die folgenden Einsichten zu verdanken sind: Erstens die Einsicht, dass der Islam ebenso wie die katholische Kirche von Beginn an ein globaler Akteur war, und zwar lange, bevor der Begriff Globalisierung überhaupt Verwendung fand; beide sind also Globalisierungsakteure avant la lettre, ein Befund, der heute deutlicher wird denn je, wie Casanova schreibt: „Die Verbreitung transnationaler muslimischer Netzwerke aller Art, die massiven Ausmaße der Pilgerfahrt nach Mekka, die Etablierung globaler islamischer Massenmedien, der Ausdruck weltweiter Solidarität mit den Palästinensern und andere muslimische Anliegen, können alle als Manifestation der heutigen Globalisierung des Islam betrachtet werden“.

Literatur

Casanova, José: Europas Angst vor der Religion. Berlin: Berlin University Press 2009.

Graf, Friedrich Wilhelm: „Protestantismus und Rechtsordnung“. In: Horst Dreier/Eric

Hilgendorf (Hg.): Kulturelle Identität als Grund und Grenze des Rechts. ARSP Beiheft Nr. 113. Stuttgart/Baden-Baden 2008, S. 129-162.

Hense, Ansgar: „Staatsverträge mit Muslimen – eine juristische Unmöglichkeit?“. In: Stefan Mückl (Hg.): Das Recht der Staatskirchenverträge. Berlin: Duncker & Humblot 2007, S. 115-173.

Schmidtchen, Gerhard: „Art.: Religiosität.“ In: Martin Greiffenhagen/Sylvia Greiffenhagen/Rainer Prétorius (Hg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Westdeutscher 1981, S. 428 ff.

Schuppert, Gunnar Folke: When Governance meets Religion. Governancestrukturen und Governanceakteure im Bereich des Religiösen. Baden-Baden: Nomos 2012.

Zweitens hilft uns Casanova zu verstehen, dass die Governancestruktur des Netzwerks am ehesten geeignet erscheint, die gegenwärtige und zukünftige Struktur einer transnationalen Ummah angemessen zu erfassen. Die mehrheitlichen Strömungen des transnationalen Islam heute und diejenigen Strömungen, die wahrscheinlich den größten Einfluss auf die zukünftige Veränderung des Islam haben werden, sind transnationale Netzwerke und Bewegungen muslimscher Erneuerung, so argumentiert Casanova. Sie bleiben gleichermaßen unberührt von Staatsislamismus und transnationalem Jihadismus: „Sie bilden die Netzwerke einer lose organisierten und pluralistischen, transnationalen Ummah, oder einer globalen muslimischen Zivilgesellschaft“, schreibt Casanova.

Wenn man eine kurze Bilanz ziehen will, so scheint als Lehre festhaltenswert, dass es wenig hilfreich ist, bestimmte Vorstellungen von der angemessenen Institutionalisierung von Religion zu generalisieren und als Blaupause für andere historische, kulturelle und religiöse Kontexte zu verwenden. Dies wäre in diesem Fall zwar nicht eurozentrisch, aber christentumszentrisch gedacht; stattdessen ist es erforderlich, sich – wie dies in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer wieder eingefordert worden ist – auf das Selbstverständnis einer Religionsgemeinschaft einzulassen und dieses bei der Auswahl von „modes of governance“ zu berücksichtigen. Leitartikel Meinung

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  1. deutscher staatsbürger sagt:

    Also wenn ich das richtig verstanden habe, wird ein Problem gemacht, wo es kein Problem gibt. Wieso fällt es dem deutschen Staat es so schwer, seine muslimischen Mitbürger zu integrieren? Ich meine der Islam ist doch nicht irgendeine Sekte. Sie ist eine Weltreligion.

    Also wenn die Anerkennung das Ziel ist, dann ist das Ziel auch zu erreichen. Es sei denn ein anderes Ziel wird verfolgt.

    Die Voraussetzungen im Islam sind fünf. Die des Glaubens im Islam sind sechs. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Kirche gibt es nicht. Also lasst bitte die Kirche im Dorf und löst das Problem. Ihr seid doch alle studiert, und seid doch fähig losungsorientiert zu arbeiten. Ihr könnt doch arbeiten oder?

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