Rückblick

Bildungskarriere einer Geflüchteten

Elham Asfahani (28) arbeitet nach ihrem Studium der Ethnologie und Religionswissenschaften als Honorarkraft bei einer Integrationsagentur im Rheinland. Ihre Mutter war 1992 mit ihr und ihren drei Geschwistern als Asylbewerberin aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Ein Rückblick.

Mit sechs Jahren wurde Asfahani eingeschult: „Ich habe kein Wort verstanden – darum wurde ich in die Vorschule versetzt. An den Unterricht dort habe ich keinerlei Erinnerung, weil ich ja auch gar nichts verstanden habe. Ich kann mich an keine aktive Unterstützung der Lehrkräfte erinnern. Allerdings erinnern kann ich mich aber daran, dass die anderen Kinder mich viel gehänselt haben. In den Pausen habe ich immer meine ältere Schwester gesucht – und sie mich. Zu unseren Mitschülern hatten wir keinerlei Kontakt.“

Asfahani wohnte damals in einer Notunterkunft. Ihre alleinerziehende Mutter, eine Tante und vier Kinder lebten zusammen in einem Zimmer mit vier Doppelbetten. „Da hatten wir keine Möglichkeit, Hausaufgaben zu machen und haben das auch nie getan.“

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Nach einem halben Jahr zog die Familie in eine Drei-Zimmer-Wohnung in einem „besseren Viertel“ um. Dort war sie der Nachbarschaft „ein Dorn im Auge“. Es gab Drohungen von Rechtsradikalen. Die Familie fürchtete, womöglich Opfer eines Brandanschlags zu werden. Asfahani kam hier in eine neue Grundschule, in der es ihr besser ging als zuvor. Sie konnte dann doch schon etwas Deutsch, und insbesondere ihre Klassenlehrerin hat ihr geholfen: Aus eigener Tasche bezahlte sie der jungen Schülerin Nachhilfeunterricht in Lesen und Schreiben.

Auch die Mutter einer Mitschülerin sah, dass Asfahani Förderung brauchte, und lud sie oft zu sich nach Hause ein, um mit ihr und ihren eigenen Kindern Hausaufgaben zu machen. Nicht nur in Deutsch, auch in allen anderen Fächern hatte Asfahani vor allem aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse erhebliche Schwierigkeiten. Und, fügt sie hinzu: „Wenn ich heute zurückblicke, denke ich, dass unsere Lebenssituation mich eingeschränkt hat. Wir Kinder hatten den Eindruck, dass unser Vater uns im Stich gelassen hat.“ Auch der Aufenthaltsstatus – eine befristete Duldung während der ersten vier Jahre in Deutschland – kann eine Rolle gespielt haben, meint Asfahani. Denn die Erwachsenen sprachen immer wieder darüber, und die Kinder spürten deren Ungewissheit und Angst.

In der neuen Grundschule gingen die Hänseleien gegenüber der einzigen „Ausländerin“ der Klasse weiter: „Ich musste mir zum Beispiel öfter anhören: Neben der will ich nicht sitzen – die stinkt! Diese Äußerungen hatten schlicht damit zu tun, dass ich anders war“, sagt Asfahani. In der dritten Klasse fand sie dann endlich eine Freundin. Sina war aus Israel gekommen. Eine weitere nichtdeutsche Mitschülerin kam aus Brasilien. Deren Eltern waren allerdings ausgesprochen reich. Sie wurde sofort in die Klassengemeinschaft integriert: „Möglicherweise stank sie nicht, weil Geld nicht stinkt“, scherzt Asfahani.

Der nächste Schulwechsel führte die Schülerin in die Orientierungsstufe einer additiven Gesamtschule. Dort fand sie Anschluss an eine Klassenkameradin mit polnischen Wurzeln, mit der sie bis heute fest befreundet ist: „Weil wir beide diese Erfahrung hatten, dass unsere Eltern irgendwie anders sind und irgendwie auch peinlich. Und weil wir beide das Gefühl hatten: Irgendwie sind wir hier fehl am Platz.“

Als mittelmäßige Schülerin bekam Asfahani nach der 6. Klasse eine Realschulempfehlung. Doch ihre Mutter bestand darauf, dass sie aufs Gymnasium sollte. Bei ihren beiden älteren Geschwistern war sie der Empfehlung der Lehrer gefolgt. Die hatten damit (Haupt- bzw. Realschule) aber keine guten Erfahrungen gemacht. Mittlerweile hatte Asfahanis Mutter mitbekommen, dass Eltern ein Mitspracherecht bei der Schulwahl haben.

Auf dem Gymnasium kam Asfahani recht gut mit und fand auch positiven Kontakt zu ihren Mitschülern – vorwiegend zu solchen, die aus sozial schwächeren Familien stammten. Allerdings ärgerte sie sich immer wieder über stereotype pauschale Äußerungen ihrer Klassenkameraden. Sie wies dann darauf hin, dass sie selbst doch nicht in die Klischees hineinpasse. „Ja, aber du bist ja keine richtige Ausländerin!“, bekam sie zur Antwort. Es hat Asfahani sehr frustriert, dass die Lehrpersonen bei Hänseleien oder bei der Produktion und Reproduktion von Vorurteilen und Stereotypen nie interveniert haben. Im Gegenteil, sagt sie: Die Lehrkräfte hätten dabei sogar mitgewirkt.

Mittlerweile wohnte Asfahanis Familie in einer größeren Wohnung in einem „sozialen Brennpunkt“. Jedes Kind bekam ein eigenes Zimmer, und Asfahani fühlte sich in diesem Stadtviertel mit hohem Migrationsanteil viel wohler als zuvor. Doch diesen Umzug verheimlichte sie in der Schule, da ihre Mitschüler überzeugt waren, dass dort „nur Asoziale“ wohnten. Die Nachbarskinder „machten große Augen, wenn sie hörten, dass ich aufs Gymnasium gehe und dass ich mit Deutschen befreundet bin.“ Denn sie war weit und breit die einzige Gymnasiastin.

In der Oberstufe entwickelte sich Asfahani zu einer sehr kritisch eingestellten Jugendlichen: „Im Sozialkundeunterricht philosophierten die Lehrer über einen ‚elaborierten und restringierten Code‘. Und ich habe nicht verstanden, wieso ich mit diesem vermeintlich restringierten Code es geschafft habe, auf dem Gymnasium in der Oberstufe zu sein, und wieso nicht eine Sekunde lang hinterfragt wurde, warum es solche Schichtunterschiede gibt.“ Das machte Asfahani wütend, ebenso die privilegierte Situation der meisten Mitschüler, „weil ihnen alles in den Schoß gelegt wurde und sie keinen Cent selber verdienen mussten.“ Asfahani jobbte nebenbei in einer Textilreinigung. Wenn sie in der Schule sozialkritische Äußerungen von sich gab, stieß sie auf Kommentare wie: „Du kannst ja zurückgehen, wenn es dir hier nicht gefällt.“ Das empfand sie jedes Mal wie „einen Schlag in den Bauch – weil es doch auch mein Land ist.“