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Nach dem Kopftuchbeschluss

Selbst Gegner des Kopftuchverbots taten nichts

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung der Gesellschaft eine zweite Chance gegeben. Eine Chance zu zeigen, dass die grundgesetzlichen Freiheiten, auf die wir zu Recht stolz sind, für alle gelten und nicht nur für diejenigen, die gleicher als gleich sind. Von Gabriele Boos-Niazy

Von Sonntag, 15.03.2015, 19:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.03.2016, 11:10 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Der Gesetzgeber fordert zu Recht von allen Lehrern und Lehrerinnen, dass sie in der Lage sind, unabhängig von ihren privaten Ansichten fachlich ausgewogen zu unterrichten und die Schulbehörde verfügt seit jeher über Mittel und Wege (Allgemeine Dienstordnungen), diejenigen, die die das nicht tun, aus dem Schuldienst zu entfernen.

Nur einer bestimmten Gruppe, zum Beispiel aufgrund ihres politischen Engagements, diese Fähigkeit prinzipiell abzusprechen, gehört in die Mottenkiste der 70iger Jahre. Auch von einer Lehrkraft mit Ökosandalen muss bis zum Beweis des Gegenteils angenommen werden, dass sie das Thema Gentechnik sachlich korrekt vermitteln kann. An nichts anderes hat das Bundesverfassungsgericht uns jetzt erinnert.

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Ich habe zusammen mit vielen anderen Frauen in den letzten 10 Jahren erlebt, was gesetzliche Kopftuchverbote und vor allem die dahinter nur schlecht verborgenen Vorurteile und Verdächtigungen verursachen. Die Tatsache, dass Menschen, die strukturelle Machtpositionen innehaben, Etiketten verteilen können, ohne jemals mit denen, über deren Leben sie entscheiden, zu sprechen, führt zu Gefühlen der Machtlosigkeit und einem Vertrauensverlust insbesondere in die Politik. Diese Verbote waren die in Gesetzestexte gegossene Ablehnung der Integrationsleistung einer Gruppe, die sprichwörtlich aus der Rolle gefallen war. Solange Frauen mit Kopftuch Schulen putzten, war das in Ordnung, als sie vermehrt hinter dem Pult auftauchten, wurden sie zur Gefahr stilisiert. So titelte der Focus im August 1997 unter der Rubrik „Grundrechte“ anlässlich des Referendariats von Fereshta Ludin: „Angst vor dem Kopftuch. Muslimische Lehrerinnen beharren auf der Islamtracht“(1). Auch wenn der Artikel selbst durchaus differenziert war, beherrschte der Tenor der vermeintlichen Gefahr doch seitdem weite Teile der Politik und der Medienberichterstattung. Dass Angst ein schlechter Ratgeber ist, ist nichts Neues. Welche Zerstörung sie verursacht, wenn sie instrumentalisiert wird, zeigte sich in den Jahren danach.

Sowohl große Teile der politischen als auch der medialen Diskussion waren von außerordentlicher Ignoranz den betroffenen Frauen gegenüber geprägt. Frauen, die sich einem Berufsverbot gegenüber sahen, die feststellen mussten, dass ihre gesamte Lebensplanung über den Haufen geworfen wurde, die sich von einem Tag auf den anderen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sahen, deren Lebensleistung und Definition ihres Kopftuches niemanden interessierte. Besonders bitter war es, dass dies alles im Namen der Freiheit und insbesondere der Gleichberechtigung der Geschlechter geschah.

Die betroffenen Lehrerinnen waren Frauen, die in einem Land aufgewachsen waren, dessen Botschaft sie so verstanden hatten: „Streng dich an, dann kannst Du alles erreichen.“ Und genau das hatten sie getan. Viele von ihnen waren seit Jahren im Schuldienst, ohne dass jemals ihre Integrität und Neutralität angezweifelt worden war. Die Vorstellung, dass eine Zeit kommen könnte, in der ein Gesetz mehrheitsfähig ist, das – völlig losgelöst von ihnen als Person und ihrem fachlichen Verhalten – ihrem Berufsleben ein jähes Ende setzt, war für sie und auch viele ihrer nicht-muslimischen Kollegen und Kolleginnen völlig undenkbar.

Doch Frau Schavan, 1997 Bildungsministerin in Baden-Württemberg, selbst bekennende und praktizierende Katholikin, brachte den Stein ins Rollen, indem sie einer Kopftuch tragenden Muslima die Einstellung in den Schuldienst verwehrte – ihr fehle die dazu notwendige Eignung, weil sie das Kopftuch aus religiösen Gründen nicht ablegen wolle. Die Lehrerin ging vor Gericht und erwirkte 2003 ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (24.09.2003, 2 BvR 1436/02), das jedem Landesgesetzgeber ausdrücklich die Wahl ließ, ob er die Schule als einen Bereich definiert, in dem Schüler auf das bunte Leben in einer globalisierten Gesellschaft vorbereitet werden und tagtäglich Toleranz in einem Umfeld üben sollen, in dem die Lehrerschaft genauso vielfältig ist wie die Schülerschaft oder ob er es vorzieht, ein Umfeld zu schaffen, in dem durch künstliche Uniformität versucht wird, mögliche Konflikte gering zu halten und damit die Möglichkeit zu verschenken, die Schüler umfassend auf eine pluralistische Gesellschaft vorzubereiten.

Es lässt sich nicht verleugnen, dass die Parlamente in den Ländern, die die letztere Option begeistert aufnahmen und die erste nicht einmal diskutierten, mehrheitlich einer politischen Richtung zuzurechnen sind, die bis heute allenfalls mit säuerlicher Miene zugibt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Einige dieser Bundesländer gingen gar so weit, die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich genannte Bedingung der Gleichbehandlung der Religionen zu ignorieren und schrieben eine dezidierte Privilegierung christlicher und jüdischer Zeichen im Gesetz fest. Dass diese Privilegierung schon sehr rasch vor Gericht keinen Bestand hatte und damit alle Zeichen verboten wurden, störte niemanden.

In NRW stellte die CDU/FDP im Falle eines Wahlsieges ein Kopftuchverbot innerhalb von 100 Tagen in Aussicht und dieses Wahlversprechen wurde prompt eingehalten. Viele der betroffenen Lehrerinnen hatten befristete Verträge, die einfach nicht mehr verlängert wurden, andere wurden nach dem Referendariat nicht übernommen. Es blieb nur eine kleine Gruppe derer übrig, die überhaupt die Möglichkeit hatten, gegen das Verbot zu klagen. Doch es stellte sich schnell heraus, dass einige von ihnen sich nicht in der Lage sahen, die nervlichen Belastungen eines jahrelangen Rechtsweges durchzustehen, andere konnten es sich schlicht nicht leisten, ihren Arbeitsplatz zu riskieren, weil sie alleinerziehend oder die Familienernährerinnen waren – also nebenbei bemerkt keineswegs dem Bild entsprachen, das bestimmte politische Kreise zur Illustration der Notwendigkeit eines Kopftuchverbotes von ihnen gezeichnet hatten. Zudem liefen die Verfahren unterschiedlich schnell ab. Letztlich gingen die beiden jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreichen Klägerinnen stellvertretend für alle anderen Kopftuch tragenden Frauen den steinigen und langen Weg durch die Instanzen. Leitartikel Meinung

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  1. Fragender sagt:

    Deutschland wird immer mehr verändert, um den Berdürfnissen von bestimmten Einwanderergruppen zu genügen.

    Aber was ist mit den Ureinwohnern?

  2. wiebke sagt:

    Gefällt mir sehr gut der Artikel, weil er die Absurditäten bzw. die geheime Agenda hinter dem Kopftuchverbot, nämlich ein Überlegenheitsanspruch kombiniert mit Fremdenfeindlichkeit, schön herausarbeitet. Als Putzfrau durfte die Muslima in die Schule mit Kpftuch kommen. Aber nicht hinter dem Pult stehen..

  3. feigenblatt sagt:

    Das BVerfG hat in Wahrheit zum 2. Mal die Grenzen des Rechts nicht präzise benannt, sondern es dem „Mehrheitswillen“ überlassen, was er aus dem Individualrecht machen möchte (Einschätzung eines Verfassungsrichters im 4 Augen Gespräch). Das ist eher eine Ermutigung für „Pressure-Groups“ die sich jetzt wohl auch an Schulen bilden werden. Es ist nicht korrekt, dass Grundrechte so ausgehandelt werden sollen, das ist eigentlich nur verlogen.

  4. Cengiz K sagt:

    …Aber was ist mit den Ureinwohnern?…
    Die muessen jetzt zurueck treten..

  5. Kugelblitzer sagt:

    Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ist allerdings ein gravierendes Fehlurteil. Und zwar deswegen, weil das Gericht sich in dieser Auseinandersetzung herauswindet, und die endgültige Entscheidung den eigentlichen Opfern aufbürdet, nämlich den betroffenen Schülern und ihren Eltern.

    Meine Meinung dazu: Keine Lehrerin, die Mathematik oder Physik oder Geschichte oder Biologie etc. unterrichtet, braucht dazu ein Kopftuch. Wenn also eine muslimische Lehrerin sich absolut total verweigert, im Unterricht vor der Klasse ihr Kopftuch abzulegen, dann verweigert sie es nur deswegen, weil sie ihr Kopftuch als klares Zeichen ihres Glaubens an ihren islamischen Gott vor aller Welt und ihren Schülern zur Schau tragen will. Und das hat nichts mehr mit Unterrichtung in Mathematik und Physik zu tun, das ist vielmehr die praktizierte Ausübung von Religion und somit eine Missionierung. Das ist keine persönliche Wahrnehmung einer religiösen Freiheit mehr, sondern vielmehr die Demonstration religiöser Intoleranz gegenüber allen Schülern, die nicht islamischen Glaubens sind.

    Ich finde es furchtbar, dass es jetzt plötzlich die Schüler und ihre Eltern sein sollen, die sich gegen islamischen Religionszwang im Mathematik- und Physikunterricht verteidigen müssen. Was sollen die denn machen, sollen die sich jetzt alle eine andere Schule aussuchen? Aber darauf wird es wohl hinauslaufen, es wird eine Zunahme in der Segregation geben: Die einen Schüler auf die MultiKulti-Schule zu islamischen Kopftuch-Lehrerinnen, die anderen auf die Schulen zu den Lehrern, die ihren staatlichen Auftrag zu politischer und religiöser Neutralität noch ernst nehmen. Und es wird wohl immer Schüler geben, die nicht islamischen Religionsunterricht haben wollen. Und das Recht dazu haben sie, das nennt sich religiöse Freiheit.

  6. Ute Fabel sagt:

    „Eine Chance zu zeigen, dass die grundgesetzlichen Freiheiten, auf die wir zu Recht stolz sind, für alle gelten und nicht nur für diejenigen, die gleicher als gleich sind“

    Es gibt zwei Varianten, wie Gleichhandlung und Nichtdiskriminierung erreicht werden können:

    Variante 1: Alle Lehrer sind berechtigt ihre Religion, Weltanschauung und politische Einstellung während des Unterrichts auffällig sichtbar zu machen; das würde aber dann bedeuten, dass auch politische Symbole von ganz links (Hammer-und-Sichel-Abzeichen) bis weit rechts (z.B. Pegida-Anstecker) bei Lehrern akzeptiert werden müssen, was ich nicht wünschenswert halte. Weltanschauungsausübung ist nach dem Europarecht nämlich ganz im gleichen Umfang geschützt wie Religionsausübung. Nichtreligiöse Weltanschauungen dürfen gegenüber Religionen nicht benachteiligt werden.

    Variante 2: Kein Lehrer soll im Unterricht seine Religion und Weltanschauung auffällig sichtbar machen, was dem Gebot der staatlichen Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Belangen entspricht.

    Neue rechtliche Sonderprivilegien nur für bestimmte ausgewählte weitere Kleidungsstücke wie das Kopftuch führen hingegen nur dazu, dass Freiheiten wieder nur für bestimmte Gruppen gelten, die „gleicher sind als gleich“, was die Autorin Boos-Niazy zu Recht vermeiden will.

  7. deutscher staatsbürger sagt:

    Ja die deutsche Gesellschaft braucht mehr Aufklärung. Wenn eine Frau sich bedecken möchte, sollte sie diese Freiheit auch haben dürfen. Die Bedeckung hat bestimmte Funktionen, die alle bekannt sind. Mit gesundem Menschenverstand kann man sie auch selber denken. Deswegen eine Frau zu diskriminieren und auszugrenzen ist doch das aller letzte. Die Bedeckung wurde zum Symbol für etwas gemacht, um sie zu bekämpfen. Und das tun einige Kommentare hier. Sie bekämpfen die Freiheit der Frau.

    Meiner Meinung nach ist die Entscheidung des Gerichts ein Anfang in die richtige Richtung. Also ich für mich bin schon so weit, ich bin schon so weit aufgeklärt, für mich dürfen bedeckende frauen alles werden, was sie wünschen, auch Richterin im Bundesverfassungsgericht.

  8. Schwabe sagt:

    An den Kommentator „Cengiz K“ möchte ich folgenden Hinweis richten:
    Selbst zu den Ureinwohnern dieses Landes zählen mittlerweile Lehrerinnen mit Kopftüchern. Damit diese nicht zurückstecken müssen, sollte man Ihnen gestatten, sich so zu kleiden, wie es Ihnen recht ist.

    Die Gesellschaft entwickelt sich nunmal über die Zeit und ich habe noch nie gehört, dass ein Lehrer Schwierigkeiten bekommen hat, nachdem er sich zum Atheismus bekannt hat. Letztlich sehen unsere Kinder außerhalb des Schulwesens, wie unsere Gesellschaft aussieht. Wieso dann ein künstliches Bild dieser vermitteln?

    Am wichtigsten jedoch ist, daß die Arbeit der Lehrer ordentlich gleistet werden soll. Wenn das der Fall ist, kann ich beim besten Willen kein Problem hierbei erkennen.

  9. Cengiz K sagt:

    An Schwob,
    ich schrieb „zurück treten“, und meinte das im Lichte derer, die für MuslimA eine 2te Klasse Bürgerschaft lautstark verlangen, ironisch.. Die Absurdität meiner obigen Aussage steht den absurden Einlassungen der Moslemhasser-Vollzeitschreiber in nichts nach, zugegeben.. Das ist auch Absicht: Ich bezwecke nämlich Pegidisten und anderen Abendlandrettern eine Ebene zu anzubieten, auf der man sich verständigen kann.. Das ist oft nicht einfach für mich, weil es da viel Hirnakrobatik erfordert….
    Es ist klar, dass eine Bevölkerung nicht zurück treten kann (wie es oft in der Internet-community aus einer Richtung hallt), genauso klar ist, dass das BVG nach über einem Jahrzenht sich dazu bequemt hat, ein himmelschreiendes Unrecht ein wenig zu korrigieren…. Wenn da nicht die Hintertür mit dem „Schulfrieden“ wäre.. Wir werden sehen..
    Ansonsten stimme ich mit Ihnen überein..

  10. openyourmind sagt:

    „Ich habe noch nie gehört, dass ein Lehrer Schwierigkeiten bekommen hat, nachdem er sich zum Atheismus bekannt hat“

    Es geht nicht um das Bekennen einer Gesinnung sondern um das optische auffällige Sichtbarmachen.

    In Anbetracht dieser Kopftuchentscheidung des BVG würde ich atheistischen Lehrern raten auch etwas dreister zu werden und im Unterricht „God Without God“-T-Shirts zu tragen.

    Mal sehen, ob der BVG auch eine Diskriminierung feststellt.