DÜGIDA, Demonstration, Terror, Terrorismus, Rechtsextremismus, Neonazis
DÜGIDA-Demo in Düsseldorf © Bündnis 90/Die Grünen Nordrhein-Westfalen @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Nach Pegida

Wie wollen wir in Zukunft mit dem Islam umgehen

Pegida ist Geschichte, der Geist lebt weiter - vielfach. Diese Saat wurde lange vor Pegida gesät, von Schreibtischtätern, von den wirklich Gefährlichen. Nichts, was die Pegida skandierte, war neu - von Stefan Weidner

Von Stefan Weidner Dienstag, 03.03.2015, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.03.2015, 17:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

So kometenhaft Pegida am deutschen Himmel aufgetaucht ist, so kometenhaft ist die Bewegung verglüht – beim Eintritt in die Sphäre der Realpolitik. Wer die Islamdebatten in den letzten Jahren verfolgt hat, musste sich sowieso wundern: Die Meinungen, die Pegida vor sich hergetragen hat, sind doch längst bekannt, genauso wie die Ängste vor einer angeblichen Islamisierung, vor Flüchtlingsströmen, vor Terrorismus und einem Missbrauch der Sozialsysteme.

Alles das konnten wir schon in den Büchern von Thilo Sarrazin und vielen anderen lesen. Jeder Buchhändler kann ein Lied davon singen, welches Geschäft die Kritik am Islam geworden ist. Doch zwischen Pegida und diesen Autoren gibt keinen Unterschied, außer dass die einen bei Regen und Schnee auf die Straße gehen, während die anderen in der warmen Stube ihre Bücher schreiben.

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Die Ideen sind dieselben.

Früher hätte man die bücherschreibenden Islamkritiker Schreibtischtäter genannt, und ich muss gestehen: Im Zweifelsfall sind mir die Demonstranten sympathischer als die, die die ihre Fremdenfeindlichkeit hinter der Maske des Bildungsbürgertums verbergen.

Die Buchpremiere aus der Streitschrift Anti-Pegida von Stefan Weidner findet am 5.3. 2015 um 21:00 Uhr in der Bar King Georg, Sudermannstr. 2 (Ecke Ebertplatz) in Köln statt.

Wenn man sich wirklich gegen Pegida abgrenzen will, muss man sich auch gegen ihre Vordenker abgrenzen. Und zwar nicht nur gegen sie als Personen, sondern vor allem gegen die Ideen, die sie propagieren, gegen die Art und Weise, wie von oben herab und voller Vorurteile über Muslime und andere Fremde gesprochen wird.

Um einen harten, aber nötigen Vergleich zu bringen: Nicht die Nazis haben den Judenhass der dreißiger und vierziger Jahre erfunden, sondern es waren die Vordenker des Antisemitismus in den zwanziger Jahren, ja schon vor dem Ersten Weltkrieg. Hitler und die Nazis brauchten gar nicht selber zu denken. Sie mussten die Ideen der Antisemiten nur noch auf die Straße tragen.

Pegida hat etwas Ähnliches versucht: Nämlich die Ideen der sogenannten Islamkritik auf die Straße zu tragen. Erst da hat es bei unseren Politikern und bei den Medien geklingelt: Als wären Rassismus oder Antisemitismus erst dann gefährlich, wenn die Leute damit auf die Straße gehen, während dasselbe in Büchern oder Talkshows als Teil des ‚normalen‘ Meinungsspektrums durchgeht.

Aber ist Islamkritik gleich Rassismus? Darf man denn den Islam nicht kritisieren? Natürlich darf man. Man soll sogar! Aber die Wahrheit ist doch: Der Islam steht ständig und von allen Seiten in der Kritik, nicht zuletzt von Muslimen selbst. Man sieht es schon daran, dass sie sich in vielen arabischen Ländern selbst bekämpfen.

Dass die islamische Welt in einer Krise ist, weiß jeder, der die Nachrichten anschaltet. Darauf hinzuweisen ist so banal wie einem, der offensichtlich unter einer Krankheit leidet, zu sagen: Hey, schäm dich, du bist ja krank!

Das ist es, was mich an der Islamkritik stört: Sie rechnet dem Kranken seine Krankheit vor, sagt ihm, er sei doch selbst daran Schuld, und bietet ihm dann als Allheilmittel an: „Lieber Muslim, du musst nur Deiner Religion abschwören, dann wird alles gut!“. Bei alledem kommt sie sich auch noch überlegen und ‚aufgeklärt‘ vor.

Das ist nichts als Quacksalberei. Wir müssen uns vor der Illusion hüten, es gebe einfache Lösungen für komplexe Probleme. Die Krise des Islams heute hat eine Vorgeschichte, an der wir Anteil haben.

Das heißt nicht, dass nun der Westen an allem schuld ist. Sondern es heißt, dass wir mit der islamischen Welt und den Muslimen viel enger verknüpft sind, als uns vielleicht lieb ist – wie zwei aneinander angeseilte Bergsteiger an der Eiger Nordwand der Geschichte. Man kann die beiden nicht künstlich trennen oder die Schuld immer nur einem geben.

Sich mit dem Islam produktiv auseinanderzusetzen, statt mit dem Finger auf ihn zu zeigen, das wäre die Aufgabe, die jetzt ansteht. Dafür brauchen wir Hochleistungsmedizin statt islamkritische Wunderheiler. Aktuell Meinung

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  1. Helmut Hampl sagt:

    „Pegida ist Geschichte“ – Wirklich?

    Weiter habe ich obigen Beitrag nicht gelesen, denn die Behauptung, Pegida sei Geschichte ist doch angesichts über 6.000 Demonstrationsteilnehmer auf dem Dresdner Neumarkt am 02.03.2015 nur allzu offensichtlich reines Wunschdenken des Verfassers.

    Sigge

  2. Rinne sagt:

    „Lieber Muslim, du musst nur Deiner Religion abschwören, dann wird alles gut!“

    Das wurde nie so gesagt, gemeint oder impliziert. Dieser Satz ist eine Lüge die viel Öl uns Feuer gießt. Ich sehe den Westen auch nicht verantwortlich für die Probleme im Islam, das sind die Muslime ganz alleine und da wird auch keiner den Muslimen helfen können, weil ihnen überhaupt nicht geholfen werden will. Das Problem ist, dass viele Muslime noch gar nicht erkannt haben in welcher Krise sich der Islam befindet. Diese Erkenntnis steht aber vor jeder Veränderung. Manchmal beschleicht sogar das Gefühl, dass man aus einem gewissen stolz oder Trotz heraus jede Änderung ablehnt.

  3. surviver sagt:

    Die headline
    „Wie gehen wir in Zukunft mit dem Islam um..?“
    hört sich an wie Eine auf dem Titelblatt einer bekannten Tageszeitung mit 4 grossen Buchstaben.
    Der wahre Kern des Islam basiert auch überwiegend auf die Menschenwürde u/o Menschenrechte.

    Wenn die meisten Muslime den Islam richten verstanden hätten, würden sie den Islam in Europa, zu Hause, irgendwo auf der Welt oder sonstwo…..ganz anders repräsentieren.

    Genau so A-Sozial wie manche Muslime den Islam repräsentieren, repräsentieren auch einige A-Soziale Mainstreammedien den Islam falsch.
    Daher meine Frage an den Verfasser, der angeblich Islamwissenschaften studiert hat:
    Von welchem Islam reden Sie, von dem, den das TV in Deutschland ausstrahlt?

  4. Johan sagt:

    @surviver

    Sie machen den gleichen Fehler den viele Muslime machen. Sie glauben der von Ihnen gelebte Islam wäre der einzig wahre und da Sie sich vorbildlich benehmen, kann der Islam ja nicht schlecht sein. Sie (und Ihr Umkreis) sind aber nicht repräsentativ für alle Muslime. Weltweit gibt es nunmal in vielen muslimischen Ländern extrem menschenunwürdige Traditionen, Gesetze und Verhaltensmuster und daher kann man es sich nicht so einfach machen zu behaupten Menschenwürde u/o Menschenrechte wären schon seit jeher ein Bestandteil des Islams, nur weil dies die Menschen im Westen beruhigen soll und nebenher den Islam als Quelle der Menschenrechte zu positionieren. Das ist und war nie so! Es gab keine Menschenrechte zu Mohameds Zeiten und er hat sie auch nicht erfunden.

    Das Hauptproblem auf das sich alle inner- und außerislamischen Probleme zurückführen lassen ist der Widerspruch zwischen der gelebten Realität und dem angeblichen „wahren Wort Gottes“ wie es im Koran verkündet wird. Und es scheint eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten zu geben aus dieser Sackgasse herauszukommen: entweder man interpretiert den Koran in seinem historischen Kontext und manche Regeln von damals sollten nicht wirklich als „wahres Wort Gottes“ betrachtet werden (aufgeklärter Islam, Euroislam) oder man wird zum Steinzeitislamisten à la IS & Boko Haram. Man hat die Wahl zwischen Frieden und Hass.

    Die Muslime sind all zu oft zu Obrigkeitshörig und lassen sich ihre Meinung gerne vorschreiben, vor allem dann wenn es gilt einen angeblichen äußeren Feind (der Westen und sein Aufklärertum) klein zu halten.