Arm durch Arbeit

Integrationskurslehrer: Jahrelang ohne Arbeitsvertrag!

Es ist endlich Konsens: Deutschland braucht mehr Zuwanderer. Diese sollen die deutsche Sprache beherrschen. Wie aber steht es um diejenigen, auf deren Schultern diese Aufgabe ruht, um die Deutschlehrer in Integrationskursen?

Diese Lehrer sind nach ihrem arbeitsrechtlichen Status gar keine Lehrer. Sie sind fast ausschließlich Kursleiter ohne Festanstellung. Ob bei Volkshochschulen, der Caritas oder dem Goethe-Institut: Einen regulären Arbeitsvertrag hat fast niemand, nicht einmal einen befristeten. Stattdessen gibt es Honorarverträge über jeweils einige hundert Unterrichtsstunden, was wenigen Monaten entspricht. Ein Honorarvertrag folgt dem anderen, als „Kettenverträge“ über Jahre, manchmal über ein Jahrzehnt und mehr.

Seit zehn Jahren organisiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das dem Innenministerium unterstellt ist, diese Kurse. Das BAMF entscheidet, wer eine Berechtigung zur Teilnahme bekommt, welche Lehrkräfte und welche Lehrwerke zugelassen werden, regelt den Zeitumfang, die Prüfungen und überweist pro Teilnehmer und Unterrichtsstunde 2,94 Euro an die jeweiligen Träger, zum Beispiel die Volkshochschulen.

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Das Bundesamt unterhält eine Bewertungskommission, um die „hohe Qualität der Integrationskurse zu sichern“. Ob die Lehrkräfte von dem bewilligten Geld angestellt werden oder jahrelang Kettenverträge als Scheinselbständige bekommen, interessiert weder das Bundesamt noch das Innenministerium. Die Bewertungskommission hielt im Juni 2013 fest, dass „zwischen dem Bundesamt und den Integrationskurslehrkräften keinerlei vertragliche Vereinbarung sowie keinerlei Rechtsbeziehung besteht.“

Integrationskurse finden in drei Zeitfenstern statt, vormittags, nachmittags und abends. Sie müssen mindestens zwölf Wochenstunden umfassen, Standard für Tageskurse sind zwanzig Wochenstunden. Damit ist eine nebenberufliche Unterrichtstätigkeit für die Lehrkräfte kaum möglich. Dennoch gibt es am Jahresende für das Finanzamt eine Bescheinigung über „nebenberufliche Tätigkeit“ – obwohl Vollzeitarbeit.

Was sind die Folgen dieser Scheinselbstständigkeit? Deutschlehrer ohne Arbeitsvertrag, geschweige denn Tarifvertrag, haben keinen Anspruch auf Geld im Krankheitsfall. Sie schleppen sich krank zur Arbeit; mit Fieber, auf Krücken, mit Verbänden wie ein Seeräuber – zum Schrecken ihrer Schüler, die sich fragen: Bekomme ich eine Grammatiklektion oder einen Bazillus?

Junge Mütter und Väter haben keinen Anspruch auf Erziehungsgeld. Und auf alle wartet Altersarmut. Von ihren mageren Honoraren hätten sie den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil für die Rentenversicherung abführen müssen. Dazu ist nicht jeder in der Lage. „Ich werde auch mit 67 Jahren noch weiterarbeiten müssen. An Rente ist gar nicht zu denken“, sagt eine enttäuschte Kollegin.

Und wie steht es mit der Mitbestimmung? Ebenfalls Fehlanzeige. Betriebsräte sind für Menschen ohne Arbeitspapiere nicht zuständig. Schutzbestimmungen am Arbeitsplatz greifen ebenfalls nicht. Die Folge: Viele Kollegen unterrichten an bestimmten Wochentagen regelmäßig bis zu vierzehn Unterrichtsstunden in drei Schichten. Sie machen es „freiwillig“ und sehen sich doch dazu gezwungen. Es ist der Ausgleich dafür, dass sie an anderen Tagen gar keinen Unterricht bekommen.

Von freier Gestaltung der Arbeitszeit kann keine Rede sein. „Wir sind Tagelöhner, wir müssen nehmen, was kommt“, fasst es eine Kollegin zusammen. Wem es nicht passt, kann die angebotenen Stunden jederzeit ablehnen und sich einzureihen in das Heer der Hartz IV-Empfänger. Eine Arbeitslosenversicherung gibt es nicht, Kündigungsschutz genauso wenig.

Im Fachjargon nennt man diese Art der Tätigkeit: Scheinselbstständigkeit. Sie ist Straftatbestand und trotzdem Regel in den Integrationskursen. Die Politik kennt das Problem. Im September 2012 stellte die SPD-Fraktion im Bundestag als Opposition einen Antrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lehrkräften in Integrationskursen. Darin wird die schwarz-gelbe Bundesregierung aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, „wie die Quote festangestellter Lehrer erhöht werden kann.“ Seit über einem Jahr ist die SPD inzwischen selbst Teil der Regierung. Auf das Konzept warten wir immer noch – gespannt.