Islam im Fernsehen

Böse Absicht, Unfähigkeit oder Mangel an Alternativen?

Polit-Talkshows im Fernsehen sind bei vielen Muslimen unbeliebt: immer dieselben Gäste, dieselben Fragen und Vorurteile. Den Machern wird böse Absicht unterstellt. Doch wie entstehen solche Sendungen? Wer bestimmt die Gäste und wonach? Von Canan Topçu

Auf die Nachricht aus Paris reagierte die Redaktion von „Hart, aber fair“ sehr schnell. Keine zwölf Stunden nach dem Attentat auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ widmete sich Frank Plasberg in einer Sondersendung der Frage: „Islamistischer Terror in Paris – Europas Freiheit in Gefahr?“ Eine von vier Gesprächspartnern, die eilig eingeladen wurden, war Lamya Kaddor. Die Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin ist immer wieder zu Gast bei Plasberg.

Sechs Tage nach dem Attentat in Paris und sechs Tage nach dem Talk im Ersten ist die wortgewandte Muslima erneut im Fernsehen. Diesmal sitzt sie bei Maybrit Ilner im ZDF, diesmal geht es um die Frage „Krieg der Islamisten – Hilflos gegen den Terror?“. Kaddor ist Vorsitzende des Liberal Islamischen Bunds, den sie vor einigen Jahren gegründet hat, und sie ist zu einer gefragten Gesprächspartnerin für Politik sowie für Funk und Fernsehen avanciert.

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Gäste müssen Schema der Sendung bedienen

Es sind zumeist sehr kurzfristige Anfragen, die Kaddor von den Redaktionen erhält. „Bevor ich zusage, gehe ich in mich und überlege, ob es Sinn macht, an der jeweiligen Sendung teilzunehmen.“ Sie sehe sich in einer Vermittlerposition zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Community; sie wisse, dass es nicht „die“ Muslime gebe.

Kurzfristig sind die Anfragen, weil sich die Talk-Sendungen an Aktualität orientieren; die Aktualität wiederum bringt es mit sich, dass es kaum einen Tag gibt, an dem im deutschen Fernsehen nicht über Muslime, Islam und islamistischen Extremismus diskutiert wird. Regelmäßigen Zuschauern dieser TV-Talks sind die Gäste vertraut. Es sind einige wenige Muslime, die immer wieder in diese Runden eingeladen werden. Derzeit gehört Kaddor zu diesen Gästen – wie auch Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime Deutschland (ZMD).

Ein relativ neues Gesicht ist Khoala Maryam Hübsch, eine Kopftuch tragende Journalistin, die ein Buch namens „Unter dem Schleier die Freiheit“ veröffentlicht hat. Sie bediene – wie auch andere Gäste – das Schema der TV-Talk-Sendungen, erklärt Thomas Hestermann. „Die Gäste müssen eine Etikette haben – etwa ein Amt oder eine bestimmte Funktion oder ein Buch geschrieben haben, gut auftreten können und eine klare Position vertreten.“

Das nervt

Hestermann ist Journalismus-Professor an der privaten Hochschule Macromedia, war Moderator beim NDR-Hörfunk und Redaktionsleiter der Talkreihe Tacheles, die von 1999 bis 2014 auf Phoenix lief. Der Journalismus bilde sich auch immer selbst ab, sagt er. „Wenn jemand in einer Talk-Sendung eine furiose Position übernommen und gut geredet hat, dann wird er wieder eingeladen – auch von anderen Redaktionen.“

Verständlich also, dass KRM-Vorsitzender Aiman Mazyek, der ein eloquenter Redner ist, immer wieder in TV-Talksendungen aufritt. Die mediale Präsenz von Mazyek, Kaddor und einiger anderer muslimischer Talk-Gäste sorgt aber unter Muslimen für Missmut. Dass Kaddor als „die“ Stimme der liberalen Muslime präsentiert wird; dass Mazyek als „der“ Sprecher der Muslime in Deutschland präsentiert wird, obwohl er den kleinsten Islam-Verband repräsentiert; dass Hübsch als Mitglied der Ahmadija-Gemeinde als „Vorzeigemuslima mit Kopftuch“ instrumentalisiert wird: das nervt so manchen.

Für Verstimmung sorgen auch Gäste mit biografischen Bezügen zum Islam, die aber keine Kenntnisse über diese Religion haben, aber die Chuzpe besitzen, sich zu theologischen Fragen zu äußern. Es gibt aber auch die, die in TV-Sendungen weder die „Muslim-Rolle“ spielen noch als Islam-Experte auftreten wollen – wie etwa der aus Ägypten stammende Politikwissenschaftler und Dokumentarfilmer Asiem El Difraoui, der unlängst Gast bei „Westart“ im WDR-Fernsehen und bei „Markus Lanz“ im ZDF war.

Sendung mit Heiß-Kalt-Muster

Er nimmt Einladungen zwar an, verbittet sich aber, in den Sendungen zu seinem persönlichen Verhältnis zum Islam oder zu „den Muslimen“, die es in der pauschalen Form gar nicht gebe, befragt zu werden. „Ich möchte als Experte für bestimmte gesellschaftliche und politische Fragestellungen zu Wort kommen und nicht als Vertreter einer von den Medien geschaffenen imaginären Religionsgemeinschaft, die Vielfältigkeit einer Weltreligion ignoriert“, betont El Difraoui, der in Paris am Institut d’études politiques (Sciences Po.) zu Deradikalisierung und Prävention des Dschihadismus forscht.

Den Machern der Talk-Sendungen wird immer wieder „böse Absicht“ unterstellt. Oft würden den muslimischen Gästen suggestive Fragen gestellt und sie in die Ecke gedrängt. Überhaupt, die Gästeauswahl: Viele fühlen sich über die, die da sprechen, sei als Verbandsvertreter oder als prominenter Muslim, nicht vertreten. Es gehe bei der Auswahl der Talk-Sendungen nicht vorrangig darum, für wie viele Menschen die jeweiligen Gäste sprächen und welche Gruppen sie repräsentierten.

Die Sendungen funktionierten nach dem Heiß-Kalt-Muster; und daher gelte es, interessante Gäste mit klarer Kante, mit polarisierenden Positionen und eigenen Geschichten zusammenzubringen. „Für eine TV-Talksendung spielt die Erzählkraft der Person eine wichtige Rolle“, erklärt Hestermann. In seiner Zeit als Redaktionsleiter von Tacheles hat er die Erfahrung gemacht, dass es zu wenige muslimische Experten gibt, die den Kriterien von Talk-Sendungen entsprechen. Sicherlich mangele es nicht an Personen mit Kompetenz, theologischem Wissen und Kenntnis über die gesellschaftlichen Entwicklungen.

„Um als Gast in Frage zu kommen, muss man aber auch eloquent sein, klar auftreten und klare Positionen in knapper Form vertreten können“, erklärt Hestermann. „Akteure wie Mazyek und Kaddor sind als Personen unverwechselbar – das ist wichtig fürs Fernsehen.“ Dass immer die gleichen Personen in den Talk-Sendungen präsent sind, hängt damit zusammen, dass viele der Angefragten gar kein Interesse an der Teilnahme haben, weil ihnen das Format der Sendungen nicht gefällt. Gerade Vertreter aus den islamischen Zentren an deutschen Universitäten halten sich mit Auftritten in Talk-Sendungen zurück, auch weil sie es als problematisch erachten, komplexe Sachverhalte in knapper Form wiederzugeben und nicht dauernd unterbrochen werden möchten.

Es bleiben nicht viele Kandidaten übrig

Wenn man sich die Kriterien für den Fernsehauftritt vergegenwärtige, sagt Hestermann, dann blieben im Bezug auf die Islam-Debatte nicht viele übrig, mit denen eine Talk-Sendung bestritten werden könne. „Die einen wollen nicht, die anderen sind nicht geeignet.“ Statt sich über Gästewahl aufzuregen, rät Hestermann, sollten die Kritiker an ihrer „Performance“ arbeiten und mitmischen in der Islam-Debatte. Dieser Ansicht ist auch Khola Maryam Hübsch. Gerade weil es nicht „die“ Muslime gebe, sei ist wichtig, dass viele Stimmen aus der muslimischen Community sich am Diskurs beteiligten – auch um das Feld nicht den Unkundigen zu überlassen.

Hübsch weiß, dass sie in die Sendungen eingeladen wird, „um eine bestimmte Rolle zu besetzen“. Muslimische Gäste stünden in den Runden immer unter Rechtfertigungsdruck – schon allein durch die Art, wie Fragen formuliert seien. Daher verstehe sie diejenigen, die nicht an den TV-Talks teilnehmen wollten. Sie hält es aber für falsch, sich dem Diskurs komplett zu verschließen. Hübsch und Kaddor nutzen die Möglichkeit, im Fernsehen ihre Ansichten zu erörtern, wiewohl auch sie mit dem Setting der Sendungen – zu viele Gäste, zu wenig Zeit, permanentes Dazwischenreden – nicht zufrieden sind.

Man könnte lachen, wenn es nicht ernste wäre

Özlem Nas vom Rat der Islamischen Gemeinschaften Hamburg hingegen lehnt inzwischen die meisten Anfragen ab. Als sie im Dezember bei Plasberg zu Gast war, begann sie ihren Redebeitrag damit, dass sie eigentlich nicht mehr teilnehmen wolle an Talkrunden, in denen ihr die immer gleichen Fragen gestellt würden. Sie zweifelt am Sinn solcher Sendungen, in denen sie sich „vorkommt wie in einer Arena“. Meist sei man der einzige muslimische Gast in der Runde und werde von allen Seiten „beschossen“ und ein echtes Gespräch finde nicht statt.

Kaddor möchte die Talk-Sendungen nicht überbewerten, dieses Format aber auch nutzen, um als Vermittlerin zwischen extremen Positionen zu wirken. In den Islam-Debatten sieht sie „eine durchaus positive Entwicklung“ und bringt diese auch in Zusammenhang mit den öffentlich geführten Diskussionen wie etwa in TV-Talks. „Ich habe den Eindruck, dass sich mehr Menschen im Bezug auf Islam und Muslime differenziert artikulieren und ihre Äußerungen vernünftig klingen“, sagt Kaddor.

Bis vor vier oder fünf Jahren habe in den Medien vor allem Islamkritik dominiert und als muslimische Vertreter seien zu den Talkrunden Islam-Kritikerinnen wie etwa Necla Kelek eingeladen worden. Inzwischen kämen auch andere Stimmen zur Wort. Erstaunlich sei aber, wer sich so alles in den Medien äußere: Ingenieure, Architekten, Sozialarbeiter oder auch Buchhändler generierten sich als Experten, erklärten den Islam und betrieben sogar Koranexegese. „Man könnte darüber lachen, wenn es nicht um so ernste Themen ginge.“ Wer würde, fragt Kaddor, schon einen christlichen Zahnarzt danach befragen, wie das Jesu-Wort: ‚Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.‘ theologisch einzuordnen sei?