Pegida indirekt dabei

„Lügenpresse“ ist Unwort des Jahres 2014

Das Unwort des Jahres 2014 lautet „Lügenpresse“. „Erweiterte Verhörmethoden“ und „Russland-Versteher“ auf den Plätzen zwei und drei. „Pegida“ gehört mit zu den am meisten vorgeschlagenen Wörtern, verpasst Treppchen aber nur wegen dem Pariser Anschlag auf Charlie Hebdo.

Das Unwort des Jahres 2014 lautet „Lügenpresse“. Mit diesem Begriff würden Medien pauschal diffamiert, sagte die Jury-Sprecherin Nina Janich am Dienstag in Darmstadt. „Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“ Der Ausdruck „Lügenpresse“ wird häufig bei den islamfeindlichen „Pegida“-Demonstrationen skandiert. Außerdem rügte die Jury die Begriffe „Erweiterte Verhörmethoden“ und „Russland-Versteher“.

Das Wort „Lügenpresse“ sei bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff gewesen und habe den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien gedient, kritisierte die Jury. Gerade die Tatsache, dass diese „sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks“ einem Großteil derjenigen, die ihn seit Herbst 2014 als „besorgte Bürger“ skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, mache ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen.

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Erweiterte Verhörmethoden & Russland-Versteher
Aktuell geworden durch den Bericht über CIA-Foltermethoden 2014, habe sich der auf dem zweiten Platz gelandete Begriff „erweiterte Verhörmethoden“ in der Berichterstattung zu „einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt“, urteilte die Jury. Der Ausdruck werde beschönigend gebraucht für Folter und solle unmenschliches Handeln legitimieren. „Dass man sich die Sprache der Täter mit dieser Übernahme zu eigen macht und damit akzeptiert, ist bedauerlich“, kritisierte die Jury.

Zum Unwort werde der Begriff „Russland-Versteher“, weil er das positive Wort „verstehen“ diffamierend verwende, erklärte die Jury. Das Bemühen, fremde Gesellschaften und Kulturen zu verstehen, sollte Grundlage einer jeden Außenpolitik sein, weil die Alternative nur Hass sein könne. Eine fremde Perspektive zu verstehen, bedeute aber keinesfalls, damit zugleich Verständnis für daraus resultierende politische Handlungen zu haben.

Pegida indirekt dabei
Für das Jahr 2014 wurden 733 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt insgesamt 1.246 Einsendungen. „Lügenpresse“ wurde sieben Mal eingesendet, „Erweiterte Verhörmethoden“ fünf Mal und „Russland-Versteher“ sechs Mal. Die häufigsten Einsendungen, die den Kriterien der Jury entsprechen, waren „Putin-Versteher“/“Russland-Versteher“ (zusammen 60 Mal), „Pegida“/“Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (44), „Social Freezing“ (29), „tierische Veredelung“/“Veredelungsindustrie“/“Veredelungswirtschaft“ (in allen Varianten zusammen 25 Mal) und Gutmensch/Gutmenschentum (15).

Obwohl der Begriff „Pegida“ 44 Mal vorgeschlagen worden sei, habe sich die Jury dagegen ausgesprochen, erklärte Janich. Gerade vor dem Hintergrund der terroristischen Anschläge in Paris habe sie die Bewegung nicht zu sehr ins Rampenlicht rücken wollen. Aber indirekt sei die Rüge an der islamfeindlichen „Pegida“-Bewegung über das Unwort des Jahres „Lügenpresse“ doch erfolgt, sagte die Sprachwissenschaftlerin.

Immer wieder Unwörter mit Migrationshintergrund
Das „Unwort des Jahres“ wird seit 1991 von einer unabhängigen sprachkritischen Initiative gekürt. „Unwörter“ waren zuletzt „Sozialtourismus“ (2013), mit dem die Flucht von Südosteuropäern aus einer Not zu einer Vergnügungsreise verdreht werde, und „Opfer-Abo“ (2012), ein Ausdruck des unter Vergewaltigungsverdachts stehenden Fernsehmoderators Jörg Kachelmann, der Frauen unter den pauschalen Verdacht stelle, sexuelle Gewalt zu erfinden. Zuvor waren zu „Unwörtern“ gewählt worden: „Döner-Morde“ (2011), „alternativlos“ (2010), „betriebsratsverseucht“ (2009), „notleidende Banken“ (2008), „Herdprämie“ (2007), „Freiwillige Ausreise“ (2006), „Entlassungsproduktivität“ (2005) und „Humankapital“ (2004).

Die sprachkritische Aktion wurde 1991 vom Frankfurter Germanistikprofessor Horst Dieter Schlosser initiiert. Schlosser war bis 2010 Vorsitzender und Sprecher der Jury. Seit 2011 ist die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich von der Technischen Universität Darmstadt Sprecherin. Weitere Jury-Mitglieder sind die Sprachwissenschaftler Jürgen Schiewe (Universität Greifswald), Kersten Sven Roth (Universität Zürich), Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Journalist Stephan Hebel. Als externes Jury-Mitglied für das Unwort 2014 fungierte die Autorin und Journalistin Christine Westermann. (epd/mig)