Pegida?

Und wo bleibt unsere Angst?

Immer mehr Politiker zeigen Verständnis für die „Pegida“-Demonstranten und mahnen, diese ernst zu nehmen. Ich habe auch Ängste. Große Ängste. Ängste vor diesen Nazis und den sogenannten „Nicht-Nazis“ und dieser Bewegung. Wer macht sich Gedanken darüber, möchte Ok-Hee Jeong wissen.

„Pass auf dich gut auf!“, rutscht es mir heute Morgen unwillkürlich raus, als mein Sohn zur Schule geht. Zu sehr bin ich nämlich aufgewühlt vom morgendlichen Nachrichtencheck auf meinem Handy: Fotos von Pegida-Demonstranten mit riesigen Fahnen, die mich mit Grauen an die alten Fotos des Dritten Reiches erinnern, und mich in eine eigenartige ängstliche Stimmung versetzen, die mir bis dato fremd waren. Diese seltsame Stimmung wird noch mehr verstärkt, denn zwischen all den kritischen Berichterstattungen über die Pegida-Demonstrationen erheben sich unaufhörlich Stimmen, dass diese Demonstranten keine Nazis seien und man ihre Ängste und Befürchtungen „umarmen“ müsse.

Verbittert frage ich mich, wer umarmt aber meine Ängste? Meine undefinierbare Angst vor diesen Nazis? Ich gebe es ehrlich zu, in meiner irrationalen und undefinierbaren Angst sind diese Pegida-Demonstranten, die Deutschtümelei betreiben, ihre Fremdenfeindlichkeit legitimieren wollen und sich im Recht wähnen, schlichtweg Nazis. Je länger die Pegida-Demonstrationen andauern und mehr Menschen mitmarschieren, je mehr ich die Fotos von den fahnenschwingenden Menschen sehe, desto größer wird meine irrationale und undefinierbare Angst vor diesen Menschen und vor allem vor dieser Masse. Plötzlich überkommt mich die Angst um meinen Sohn, dass er durch sein anderes Aussehen Fremdenhass und Rassismus erfahren könnte. Diese Angst überkommt mich einfach so.

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Dabei bin ich nicht einmal Muslimin. Dabei bin ich nicht einmal eine Asylantin. Weder trage ich ein Kopftuch noch trage ich eine Burka. Ich bin doch sogar eine Deutsche! Allerdings keine „deutschstämmige“ Deutsche, sondern eine Deutsche mit sogenanntem Migrationshintergrund; denn meine Eltern kamen Ende der 70er Jahre als Gastarbeiter nach Deutschland und entschieden sich hier zu bleiben, und so wurden meine Brüder und ich, die bei unserer Oma in Südkorea zurückgeblieben waren, zu ihnen nach Deutschland geholt. So lebe ich seit meinem achten Lebensjahr in Deutschland.

Meine Kindheit und Jugendzeit ist geprägt von den Leidenserfahrungen meiner Eltern, die über Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung an ihrem Arbeitsplatz klagten. Ich höre immer noch, wie meine Mutter beschwörend und verbittert auf mich einredet: „Du musst immer besser sein als diese rassistischen Deutschen. Erst dann wirst du als Ausländer in der deutschen Gesellschaft akzeptiert und respektiert.“

In meiner Pubertät häuften sich die erbitterten Diskussionen mit meiner Mutter über die Deutschen: „Wie kannst du nur so pauschalisieren? Nicht alle Deutschen sind rassistisch! Es gibt auch verdammt viele nette Deutsche!“
„Du weiß es eben nicht besser. Du bist noch zu jung und hast die Erfahrung nicht gemacht, die ich gemacht habe.“

Aber ich kann nicht umhin, selber zu pauschalisieren, wenn ich nun diese Fotos von den Pegida-Demonstrationen sehe. Denn es macht wieder automatisch Klick bei mir: Nach der Wiedervereinigung Deutschlands weigerte ich mich lange Zeit, nach Ostdeutschland zu reisen. Zu lebendig waren die Bilder von den Ausschreitungen in Hoyerswerda vor meinen Augen und in meinem Unterbewusstsein hatte sich das Bild der Ossis als Nazis abgespeichert. Nur mit Mühe konnte mein damaliger Freund mich dazu überreden, Urlaub an der Ostsee zu machen. Entgegen meiner Befürchtung vor irgendwelchen Nazi-Begegnungen, waren es mehr herzerwärmende Begegnungen, die in jenem Urlaub an der Ostseeküste folgten.

Aber mein Vorsatz, Ostdeutschland mehr zu erkunden, blieb nur ein Vorsatz in den letzten Jahren. Ganz oben in der Liste der Reiseziele stand vor allem Dresden. Nach Hören und Sagen soll sie doch einer der schönsten Städte Deutschlands sein. Dresden ist jedoch erst einmal für mich gestrichen. Zu sehr machen sich in mir die Wut und vor allem die irrationale Angst breit. Ich mag nicht vorstellen, was vielleicht passieren könnte, wenn ich als Andersaussehende zufällig in diese Pegida-Masse hineingeraten würde.

Lange Zeit war es schwierig für mich, mich als Deutsche zu fühlen. Wie konnte ich das, wo ich doch als Kind und Jugendliche unaufhörlich von meinen Eltern verbittert über die Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung durch die Deutschen erzählen hörte? Wie konnte ich das, wo ich doch von meinen deutschen Freunden unaufhörlich anhören musste, wie sehr sie es hassten, Deutsche zu sein? Dass ihre Väter und Großväter Nazis gewesen seien, und sie diese Schuld unerträglich und unverzeihlich fänden. Wie konnte ich zwischen diesen Polen mich behaupten und sagen, ich bin deutsch, und ich bin stolz, eine Deutsche zu sein, wenn nicht einmal die „deutschstämmigen“ Deutschen gern Deutsche sein wollten?

Mit der Fußball WM 2006 weht ein völlig anderer Wind. Deutschland ist plötzlich sympathisch. Deutschland ist plötzlich beliebt. Deutschland ist sogar das beliebteste Land in der ganzen Welt. Fast fühlt es sich so an, als ob Deutschland die schwere hässliche Last der Vergangenheit abschütten, und einen neuen und modernen Deutschland-Mantel überstreifen könnte. Und dieses neue Deutschland fühlt sich fast wie meine Wahlheimat Berlin an: Bunt, tolerant, international, lebendig, beschwingt und kreativ. Und schon längst und selbstverständlich fühle ich mich als ein lebendiger Teil dieses modernen neuen Deutschlands. Und er fühlt sich verdammt wohlig an und schmiegt sich weich und warm am Körper an, dieser Deutschland-Mantel.

Das neue Deutschland ist wie die Fußball-Weltmeisterschaft 2014. Der Fußball-Weltmeistersieg Deutschlands, der ohne Özil und Khedira nicht zu denken ist. Das neue Deutschland ist wie die deutsche Filmlandschaft, in der ein Fatih Akin nicht fehlen darf und ohne ihn undenkbar wäre. Das neue Deutschland ist wie die Theaterlandschaft, die durch Shermin Langhoff absolute Bereicherung erfährt. Das neue Deutschland ist wie die Freundschaft zwischen dem kleinen Ahmet und dem kleinen Jan im Kindergarten. Und in diesem modernen, neuen Deutschland hat die Deutschtümelei der ewig Gestrigen und ewig Engstirnigen und der gefährlichen Biedermännern und Brandstiftern einfach keinen Platz. Denn wir wollen nach vorne preschen mit dem neuen Deutschland und den hässlichen alten Deutschlandmantel endlich abstreifen.

Die Ängste der Pegida-Anhänger ernstnehmen? Wenn wir von Ängsten sprechen, so möchte ich doch entschieden entgegnen: Ich habe auch Ängste. Große Ängste. Ängste vor diesen Nazis und diesen sogenannten „Nicht-Nazis“ und dieser Bewegung. Wer macht sich Gedanken darüber, wie wir, die der sogenannten Minderheitsgesellschaft angehören, uns fühlen, wenn wir diese Pegida-Demonstration und ihre Tolerierung durch mancher Politiker und Medien mitverfolgen? Wie wir uns fühlen, wenn wir die Reden von den Nazis und den sogenannten „Nicht-Nazis“, von irgendwelchen Serrazins, CSU oder AfD anhören müssen, die von uns sprechen, als wären wir nicht Menschen, sondern Menschen zweiter Klasse? Wenn ich schon solche Angst um meinen Sohn habe, wie müssen sich die Muslimen und ihre Kinder, deren Heimat und Lebensmittelpunkt Deutschland ist, in diesem Land fühlen? Wie müssen sich die Flüchtlinge in diesem Land fühlen?

Es ist höchste Zeit! Es ist allerhöchste Zeit, dass unsere Ängste und Sorgen vor Fremdenhass und Rassismus durch die Nazis und diese sogenannten „Nicht-Nazis“ endlich Gehör finden und diesen perfiden Biedermännern und Brandstiftern energisch Einhalt geboten werden muss in diesem Land. In UNSEREM Land! DENN – um mit den Worten der Pegida-Anhänger abzuschließen: WIR SIND DAS VOLK! WIR SIND DEUTSCHLAND!