Chancenspiegel 2014

Bildungschancen stark abhängig von sozialer Herkunft und Wohnort

Seit dem Pisa-Schock hat sich in Deutschlands Schulen eine Menge verbessert: weniger Schulabbrecher, mehr Abiturienten. Die größte Baustelle aber bleibt die Chancengerechtigkeit. Benachteiligte Kinder werden durch die Schule nicht ausreichend gefördert.

Freitag, 12.12.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Chancengerechtigkeit in den deutschen Schulsystemen macht zwar stetige, aber nur langsame Fortschritte. Das zeigt der Chancenspiegel, den die Bertelsmann Stiftung mit der Technischen Universität Dortmund und der Friedrich-Schiller-Universität Jena am Donnerstag veröffentlicht hat. Danach verlassen weniger Jugendliche die Schule ohne Abschluss, und der Anteil der Hochschulzugangsberechtigten steigt. Der Bildungserfolg jedoch ist nach wie vor stark von der sozialen Herkunft abhängig. Neuntklässler aus höheren Sozialschichten haben beispielsweise in Mathematik bis zu zwei Jahre Vorsprung vor ihren Klassenkameraden aus bildungsferneren Familien.

Ein relevanter Hauptindikator ist beispielsweise die ohnehin pädagogisch umstrittene Wiederholerquote von Schülern. Laut Chancenspiegel sind hiervon „überdurchschnittlich häufig“ Schüler mit Migrationshintergrund betroffen, „was deren Benachteiligung verstärkt“. Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Ländern. So werden Klassenwiederholungen in der Sekundarstufe I in Bayern sehr oft eingesetzt, während in Baden-Württemberg deutlich weniger Schüler davon betroffen sind.

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Der Chancenspiegel analysiert jährlich, wie gerecht und leistungsstark das jeweilige Schulsystem der Bundesländer ist. Bildungsforscher vergleichen dafür die Durchlässigkeit der Schulsysteme sowie die Möglichkeiten der Schüler, sich gut ins Schulsystem zu integrieren, fachliche Kompetenzen zu entwickeln und gute Abschlüsse zu erhalten. Die diesjährige Neuauflage bestätigt: Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind groß, aber kein Land ist in allen Bereichen Spitze oder Schlusslicht. Im Ausmaß überraschend ist, dass Bildungschancen auch innerhalb der einzelnen Bundesländer regional höchst ungleich verteilt sind.

Große und kleine Fortschritte

Die bundesweit positiven Trends: Seit dem Vorjahr sank erneut der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss. Verließen 2011 noch 6,2 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss, waren es 2012 nur noch 6,0 Prozent (2009: 6,9 Prozent). Gestiegen ist hingegen der Anteil der Jugendlichen, die Fachhochschul- bzw. Hochschulreife erlangten. 2011 gelang dies 51,1 Prozent der Schulabgänger, 2012 bereits 54,9 Prozent (2009: 46,7 Prozent).

Download: Den „Chancenspiegel 2014. Regionale Disparitäten in der Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der deutschen Schulsysteme“ können Sie hier kostenlos herunterladen.

Geringe Fortschritte stellt der Chancenspiegel bei schulischen Ganztagsangeboten fest. 2012 besuchten 32,3 Prozent der Schüler eine Ganztagsschule. Dieser Anteil hatte 2011 bei 30,6 Prozent gelegen. Der insgesamt langsame Ausbau deckt bei Weitem nicht die Nachfrage der Eltern nach Ganztagsplätzen; sie liegt bei 70 Prozent. Im gebundenen Ganztag – also in Schulklassen, die über den gesamten Tag gemeinsam als Klassenverband unterrichtet werden – lernen lediglich 14,4 Prozent der Schüler. Genau diese Ganztagsform, so die Bildungsforschung, bietet jedoch gute Rahmenbedingungen dafür, alle Schüler individuell optimal zu fördern. Der gebundene Ganztag kann potenziell am ehesten die Nachteile derjenigen Kinder ausgleichen, die in ihren Familien nur geringe Unterstützung erfahren. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, forderte deshalb einen erheblich schnelleren Ausbau der Ganztagsangebote: „Ein Rechtsanspruch wäre der entscheidende Hebel, damit genügend Ganz-tagsschulen eingerichtet und bessere Konzepte entwickelt werden.“

Regional große Unterschiede

Zwischen Fortschritt und Stagnation sieht der Chancenspiegel die Teilhabechancen von Schülern mit Förderbedarf. Zwar gehen immer mehr Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf auf eine Regelschule, der Anteil der Sonderschüler jedoch bleibt konstant. „Dieses Doppelsystem schließt nach wie vor fast 5 Prozent aller Schüler vom Regelschulsystem aus. Außerdem bindet es wichtige Ressourcen, die für guten inklusiven Unterricht in den Regelschulen gebraucht werden“, sagte Dräger.

Erstmals untersucht der Chancenspiegel nicht nur die Länderebene, sondern auch die Kreise und kreisfreien Städte. Die Bildungschancen sind auf der kommunalen Ebene höchst ungleich verteilt. In Bayern etwa verlassen landesweit nur 4,9 Prozent der Jugendlichen ohne Abschluss die Schule. Regional allerdings schwankt dieser Anteil zwischen 0,7 Prozent und 12,3 Prozent – auch bedingt durch das jeweilige Schulangebot vor Ort. Beispiel Sachsen: Hier machen 44,7 Prozent der Schüler Fachabitur oder Abitur. Die kommunale Spannbreite liegt zwischen 32 Prozent und 63 Prozent. „Eine stärkere Unterstützung der regionalen Schulentwicklung durch die Länder ist ratsam. So kann der Entstehung von Ungleichheit begegnet werden, unabhängig von den kommunalen Finanzlagen“, sagte Prof. Bos von der TU Dortmund. (sb) Aktuell Gesellschaft Studien

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