Appell

Befreit die Muttersprache aus den Wohnzimmern

Die CSU geht von der Grundannahme aus, die nicht-deutsche Muttersprache stünde in Konkurrenz zur deutschen. Das verleitet die Christsozialen zu falschen Schlussfolgerungen. Richtig wäre vielmehr, die Muttersprache zu fördern – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ein Appell von Belit Onay.

Von Belit Onay Freitag, 12.12.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.12.2014, 11:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Migranten sollen dazu angehalten werden, zu Hause deutsch zu sprechen. Diesen Vorstoß der Christsozialen könnte man vermutlich als Anbiederung an Rechtspopulisten oder als vollkommen bescheuert oder beides einfach abtun. Doch dieser Vorschlag der CSU baut auf einer Auffassung, die leider ziemlich weit verbreitet und etabliert ist in Deutschland.

Noch viel zu oft, wird in der deutschen Bevölkerung ein so genannter „Migrationshintergrund“ als etwas Negatives, geradezu als Nachteil wahrgenommen. Ob Bildungssystem oder Arbeitsmarkt: gerade hier bekommen insbesondere in Deutschland geborene Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund immer wieder dieses Vorurteil zu spüren. Vollkommen zu Unrecht! Dabei starten gerade diese Kinder und Jugendlichen im Vergleich zu ihren Deutschen Freundinnen und Freunden ohne Migrationshintergrund mit einem gewichtigen Vorsprung ins Leben: nämlich mit ihrer Muttersprache!

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Der CSU-Vorschlag hat die Grundannahme, dass die nicht-deutsche Muttersprache in Konkurrenz zur deutschen stünde. Dem ist nicht so. Wenn ich an meine eigene Kindheit zurück denke und mir vorstelle, meine Eltern hätten mir Deutsch beibringen sollen, dann hätte ich wohl noch heute Schwierigkeiten mit den Artikeln und Präpositionen könnten mir ohnehin ganz gestohlen bleiben. Doch was man im Elternhaus nahezu perfekt lernen kann ist eben die Muttersprache.

Muttersprache in der Schule fördern

Nun will ich nicht die alte, aber richtige Leier wiederholen, dass man mit guten Kenntnissen der Muttersprache weitere Sprachen viel besser lernen kann. Viel entscheidender ist, dass gerade in einer globalisierten Welt Mehrsprachigkeit und Multikulturalität der Schlüssel zu dieser Welt ist.

Anstatt Familien dazu anzuhalten, diese Fähigkeiten nicht an ihre Kinder weiterzugeben, sollten wir alles dafür tun, diese Sprachen später auch auf dem Bildungsweg nicht abstumpfen zu lassen, sondern zu fördern. Hier ist ausdrücklich Politik – vor allem Landespolitik – gefordert. An anderer Stelle versuchen wir z.B. mit Fremdsprachenunterricht in der Schule oder durch Jugendaustauschprogramme mit anderen Ländern jungen Menschen wenigstens rudimentäre Kenntnisse weiterer Sprachen näher zu bringen. Dieselbe Kraftanstrengung sollte man auch für Muttersprachen aufbringen.

Wenn wir es schaffen, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund nach dem Abschluss ihres Bildungsweges neben sehr guten Deutschkenntnissen mit ebenso guten muttersprachlichen Kenntnissen dastehen und aufgrund ihres Hintergrunds über interkulturelle Kompetenzen verfügen, dann haben wir in der Bildungspolitik zumindest an dieser Stelle alles richtig gemacht.

Schon GEZahlt?!

Die Herkunftssprachen von Migrantinnen und Migranten in unserem Land sind wertvoll und sie haben hier genauso ihren Platz wie Bayrisch oder wie anerkannte Minderheitensprachen wie Romanes oder Friesisch. Dies müsste sich eigentlich auch in Medien wiederfinden, insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Mit dem neuen Rundfunkbeitrag zahlt jeder Haushalt zwangläufig einen monatlichen Beitrag. Mithin auch Haushalte in denen nicht-deutsche Sprachen gesprochen werden. Der Gedanke, mit einem solchen Rundfunkbeitrag einen staatlichen, unabhängigen, vielfältigen Rundfunk mit Bildungsauftrag zu schaffen, wird leider mit Blick auf die Migrantensprachen größtenteils vernachlässigt. Da reicht es leider nicht, wenn neuerdings die Abendnachrichten von Menschen mit ausländisch klingenden Namen moderiert werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss noch bunter werden.

Der Norddeutsche Rundfunk strahlt bspw. mehrmals die Woche wundervolle Beiträge in friesischer Sprache aus. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsste sein Sprachenangebot so auch um muttersprachliche Angebote erweitern. Zum einen aufgrund der Finanzierungs- und damit Legitimationsfrage, zum anderen aus den oben genannten Gründen, um zum Erhalt der Muttersprachen einen Bildungsbeitrag zu leisten.

Man denke da an das praktische Beispiel des Fernsehsenders „ARTE“. Der deutsch-französische Kooperationssender ARTE vermittelt mit politischen und kulturellen Programmen Informationen in zwei Sprachen im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft. Warum nicht etwas Vergleichbares auch für die Herkunftssprachen von Menschen mit Migrationshintergrund? Aktuell Meinung Videos

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  1. Gegenstimme sagt:

    Entschuldigung: Die meisten jungen Migranten sprechen weder das eine noch das andere. Wenn man einen türkischen Sender hören möchte, kann man ja gleich den internationalen Rundfunk bemühen. Und wenn man 80 verschiedene Nationalitäten in einer Stadt hat, wird man sich – abgesehen vom Deutschen – kaum auf eine andere Sprache einigen können.
    Bayern haben in der Öffentlichkeit kein Problem, deutsch zu sprechen, was ja auch aus der Pisastudie hervorgeht.
    Bayerisch unterscheidet sich außerdem in seiner Grammatik kaum vom Deutschen. Man kann das nicht als „Fremdsprache“ bezeichnen. Insofern ist der Vergleich unsinnig. Ich mache das mal an einem Beispiel fest: In Berlin sagt ein Jugendlicher: „Ich will Klo“ oder „ich mach Dich Messer“. Das würde ein Dialektsprecher anders u.v.a. grammatikalisch „richtiger“ ausdrücken.

  2. Saadiya sagt:

    @Gegenstimme: Ihr Beobachtung mag in Teilen ja richtig sein, aber würde das bedeuten, es sei besser, keine Muttersprachen mehr zu sprechen???

    Der Autor sagt deutlich aus, „dass junge Menschen mit Migrationshintergrund nach dem Abschluss ihres Bildungsweges neben sehr guten Deutschkenntnissen mit ebenso guten muttersprachlichen Kenntnissen dastehen sollten und aufgrund ihres Hintergrunds über interkulturelle Kompetenzen verfügen“, die in einer globalisierten Welt gefragt sind. Dies ist letztlich das Entscheidende, an dem noch gearbeitet werden muss, und weniger an der Frage, ob zu Hause nur Deutsch gesprochen werden sollte. Letzteres weist zudem die Schuld „den Migranten“ allein zu und entzieht sich der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, für gleiche ildungschance zu sorgen sowie die Mehrsprachigkeit grundsätzlich (unabhängig von der „Art der Muttersprache“) als Vorteil anzusehen, anstatt in ihm fortwährend einen Nachteil dazustellen.

  3. karakal sagt:

    Muslimische Konvertiten deutscher Herkunft bevorzugen zum Heiraten häufig Frauen arabischer Herkunft, da die arabische Sprache der Schlüssel zum Koran und den islamischen Religionswissenschaften ist. Mit Marokkanerinnen sind sie da jedoch meistens nicht so gut bedient, da die maghrebinischen Mundarten in den östlichen arabischen Ländern nicht verstanden werden und nicht die Hochsprache der Literatur sind. Auch das Türkische als Muttersprache ist dabei nicht sehr behilflich, da die meiste türkische islamische Literatur auf Übersetzungen aus dem Arabischen beruht. Ein solcher deutscher Konvertit, der in Jordanien nach einer Frau zum Heiraten suchte, meinte auf die Frage, warum er nicht in Deutschland versuche, ein türkischstämmiges Mädchen zu heiraten: „Ich möchte nicht, daß meine Kinder Türkisch lernen, sondern Arabisch.“ Mir selbst ist aufgefallen, daß die türkischstämmigen Kinder untereinander Türkisch sprechen, die arabischstämmigen jedoch Deutsch.

  4. Dorothea Hartz sagt:

    Liebe Kolleginnen des Migazins!
    Kleiner Hinweis: die öffentlich-rechtliche Hörfunk-Welle „Funkhaus Europa“ (eine Kooperation von WDR, Radio Bremen und RBB) sendet Programm in mehr als einem Dutzend Sprachen. Am Wochenende haben wir auch bi-Linguale Sendungen, wo Moderatorinnen deutsch und eine andere Sprache abwechselnd sprechen. Einfach mal reinhören, es lohnt sich! Natürlich kann man immer fordern, es müsse noch mehr sein, aber in so einem Artikel wie „Befreit die Muttersprache aus den Wohnzimmern“, in dem mit Recht gefordert wird, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsste noch bunter werden, sollte das „Funkhaus Europa“ mit seinem durch und durch multikulturellen Ansatz und seinen vielen Sprachen durchaus vorkommen.
    Hier der web-link: http://www.funkhauseuropa.de/
    Schönen Gruß, Dorothea Hartz

  5. Wiebke sagt:

    Kinder sprechen gern die Sprache der Mehrheit, vor allem in der Öffentlichkeit, um nicht aufzufallen. Wenn sie es auch untereinander zuhause tun, obgleich die Eltern Migranten sind, die die Landessprache nicht so gut verstehen, dann vielleicht, um sich ihre Autonomie zu beweisen und sich abzugrenzen (Muttern kriegt dann nicht so schnell mit, was abgeht).
    Das ändert nichts an der vom Autor beschriebenen Tatsache, dass eine verlässliche Basis der Mutter-(oder Eltern)sprache, die auch allein in der emotinalen Nähe von familiären oder ähnlich engen Beziehungen gut vermittelt werden kann (der Untericht für Kleinkinder in Kitas hat z.B. nichts gebracht), die Voraussetzung für das Erlernen von Fremdsprachen ist. Es gibt Fälle gelungener Bilingualität schon bei Kleinkindern, wenn die Eltern verschiedene Sprachen sprechen, schwieriger wird es, wenn sie beide Ausländer verschiedener Herkunft sind. Aber das ändert nichts an der Regel.

    Leider versuchen viele Migranteneltern in D auch zuhause mit ihren Kindern deutsch zu radebrechen. Das Ergebnis ist dann, wie oben richtig bemerkt, dass Sprach- und Ausdrucksfähigkeiten generell nur äußerst mangelhaft erlernt werden. In dieser Sprachlosigkeit bleibt Jugendlichen in Konflikten oft nur der Ausweg in Gewalt, die Sprache reicht nicht aus, ihre Sicht der Dinge darzustellen und den Konflikt auf dieser Ebene zu lösen.
    Allerdings kenne ich auch einen Fall, da eine deutsche Mutter im Ausland (Kanada) mit ihrem Kind, das bereits älter war und Deutsch konnte, die Schulsprache Englisch auch zuhause zu sprechen begann. (Übrigens gegen den Rat der Lehrerein, die wie der Autor und ich die gängige Lehrmeinung der Fachleute vertrat) Das Kind machte nämlich in der Schule nie den Mund auf. In dem Moment, als die Mutter mit ihm Englisch sprach, ging es tatsächlich auch im Unterricht besser, und bald war eine normale Zweisprachlichkeit möglich. Der Rat gilt also vor allem Vorschulkindern.

  6. surviver sagt:

    Die CSU kämpft hier erneut gegen „Windmühlen“, um die an die AfD verlorenen Wähler wieder zurück zu holen.
    Mann kann Menschen in einer Demokratie nicht Zwangsassimilieren wie die Alleierten nach dem 2. Weltkrieg Deutschland zwangsassimilert haben.
    Jeder muss in der Schule englisch u/o französisch lernen und in jedem Kanal laufen überwiegend nur billige US-Serien/Filme.
    Der Deutsche Bürger darf nicht mal daran denken, von einem Amerikanischen oder Englischen Staatsbürger zu verlangen, Deutsch zu sprechen.
    Viele „Ausländer“ der 2. u. 3. Generation sprechen perfekt Deutsch.
    Was ist also das wahre Problem der CSU?
    Wessen Interessen vertreten sie oder was haben die vor?