Versachlichung

Städtetag fordert pragmatische Politik gegenüber Roma

Stereotype über Sinti und Roma sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Am Montag analysierten Forscher und Städtetags-Präsident die Debatte um “Armutsmigration” auf einer Konferenz in Berlin – mit interessanten Ergebnissen.

Politiker und Wissenschaftler haben in der Debatte über die Zuwanderung von Roma aus Rumänien und Bulgarien eine Entdramatisierung gefordert. So könne beispielsweise von verbreitetem Sozialbetrug keine Rede sein, sagte der Migrationsforscher Klaus Bade am Montag in Berlin. Zwar würden in manchen deindustrialisierten Städten Deutschlands die bereits vorhandenen sozialen Probleme durch Armutsmigration verschärft, aber nicht verursacht, sagte Bade bei der Vorstellung einer neuen Studie des Schweizer Ethnologen Max Matter zur Armutsmigration innerhalb der EU.

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Ulrich Maly (SPD), sagte, nicht alle sozialen Probleme dürften ethnisch aufgeladen werden. Dass es in dicht besiedelten Großstädten zu Konflikten zwischen Nachbarschaften komme, sei normal. Aufgabe der Politik sei es, diese Konflikte rational zu lösen, sagte Maly. Der SPD-Politiker ist Oberbürgermeister von Nürnberg.

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Bei der Zuwanderung von Roma aus Rumänien und Bulgarien handele es sich nicht um ein Massenphänomen. Lediglich in „zwei handvoll Städten“ gebe es ein Problem mit Gruppen, die vermutlich seit Jahrzehnten schon in ihren Herkunftsländern ausgegrenzt und verarmt seien, sagte Maly. Für die besonders betroffenen Städte wie Duisburg und Mannheim oder den Berliner Stadtteil Neukölln seien deshalb besondere Hilfen nötig. Benötigt werde mehr Geld und Personal für Integrations- und Sprachklassen.

Der Schweizer Ethnologe Matter sieht in Deutschland eine verzerrte Wahrnehmung beim Thema Armutswanderung. „Ende September lebten nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung knapp 513.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland.“ Obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lediglich 0,6 Prozent ausmache, habe sich in der Bevölkerung das Bild festgesetzt, dass aus den beiden Ländern Massen nach Deutschland strömten und es sich dabei vor allem um Arme und Roma handele, die nur wegen der Sozialleistungen hierher kämen, sagte Matter.

Dabei sei es vollkommen unklar, wie viel Roma unter den Zuwanderern sind. Zudem verwies der Ethnologe darauf, dass fast drei Viertel (72 Prozent) der 25- bis 44-Jährigen Bulgaren und Rumänen in Deutschland einer sozialabgabenpflichtigen Arbeit nachgehen und jeder Fünfte (21 Prozent) über einen akademischen Abschluss verfügt. Matter, der bis 2010 Direktor des Freiburger Instituts für Volkskunde war, unterstrich mit Blick auf die Geschichte und aktuelle Lage der Roma in den Herkunftsstaaten, als größtes EU-Land scheine sich Deutschland seiner Mitverantwortung „noch nicht voll bewusst zu sein“.

Bade forderte die Bundesregierung auf, mit guten Argumenten und pragmatischer Gestaltung dem Rechtspopulismus „die Kampfthemen“ zu entziehen: „Gelingt dies nicht, dann droht Gefahr für den kulturellen und sozialen Frieden in den demokratischen Einwanderungsgesellschaften in Deutschland und in Europa insgesamt“, warnte Bade als Mitglied des Rates für Migration. Die Studie von Matter ist der erste Band einer neuen Buchreihe des Berliner Rates für Migration. (epd/mig)