Rezension zum Wochenende

Begriff und Konzept der Integration im Aufenthaltsgesetz

Am Begriff „Integration“ scheiden sich die Geister. Wer nach einer einheitlichen Definition sucht, sucht vergeblich. Nicht einmal im Aufenthaltsgesetz ist eine zu finden, obwohl „Integration“ inzwischen Gesetzestext ist. Dennoch ist zumindest ein grober Rahmen erkennbar, wie Johannes Eichenhofer in seinem Buch ausarbeitet – eine Rezension von Thilo Scholle.

Was heißt eigentlich „Integration“? Diese Frage ist schon politisch kaum zu klären. Gesellschaftlich ist sie nach wie vor hochumstritten und emotional belegt. Unzählige Versuche in der wissenschaftlichen Literatur, aber auch in politischen Reden und in der Zeitungspublizistik mühen sich mehr oder minder erfolgreich, den Begriff inhaltlich zu füllen.

Nur wenig beachtet wird, dass „Integration“ unter anderem durch das am 1.1.2015 in Kraft getretenen „Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz)“ längst auch ein Rechtsbegriff geworden ist, aus dem sich konkrete Konsequenzen für die Handlungsmöglichkeiten von Menschen ohne deutschen Pass in diesem Land ableiten.

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Vor diesem Hintergrund leistet die an der Universität Halle entstandene juristische Dissertation zu „Begriff und Konzept der Integration im Aufenthaltsgesetz“ von Johannes Eichenhofer einen wichtigen Beitrag, Leerstellen in der öffentlichen Diskussion zu füllen.

Gegliedert ist die Arbeit in sechs Kapitel. Zunächst gibt der Autor einen gut lesbaren knappen Abriss zum Gang der (politischen) Integrationsdebatten in der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren. Nach einigen allgemeineren rechtstheoretischen Überlegungen macht Eichenhofer sich sodann an die Auslegung des Begriffs der „Integration“ im Aufenthaltsgesetz.

Schon der kurze Überblick über die verschiedenen Varianten des Begriffs „Integration“ im Gesetz ist eindrücklich. So kommt er nach Eichenhofers Zählung als ganzes Wort 13 Mal vor, und als Wortbestandteil insgesamt 23 Mal. Hinzu kommen weitere Verwendungsvarianten. Anhand verschiedener Beispiele macht der Autor deutlich, dass „Integration“ hier eben nicht nur symbolisch gemeint ist, sondern sich auch konkrete Rechtsfolgen aus der Subsumtion von individuellem Verhalten unter diesen Begriff ergeben. So sieht zum Beispiel § 44a Abs. 1 S. 1 Aufenthaltsgesetz eine Pflicht zur Teilnahme an einem Integrationskurs vor, deren Verletzung unter bestimmten Umständen zur Ablehnung eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis führen kann.

Eine Legaldefinition des Begriffs „Integration“ finde sich im Gesetz allerdings nicht. Vor allem vor dem Hintergrund des grundgesetzlichen Bestimmtheitsgebots sei dies problematisch. Allgemeiner formuliert: Vom Rechtsanwender wie vom Rechtsunterworfenen wird die Befolgung einer Vorgabe verlangt, deren Inhalt gar nicht klar ist. Die bisherigen Versuche in der Rechtswissenschaft, dem Begriff durch eine allgemeinverbindliche Definition Stabilität zu geben, seien zudem eher schwach gewesen.

Aus der Zusammenschau der im Gesetz erwähnten Integrationskriterien ließen sich aber vier „implizite“ Integrationsnormen ableiten: der Erwerb von Sprachkenntnissen, Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung, die eigenständige Sicherung des Lebensunterhalts ohne Rücksicht auf soziale Sicherungssysteme und keine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu sein. Letztlich liege dem Aufenthaltsgesetz damit das Ziel zugrunde, bestimmte „Integrationsdefizite“ zu reduzieren.

Insgesamt bleibe aber unklar, warum es gerade auf diese Kriterien ankommen solle. Der Autor plädiert daher dafür, eine Bestimmung des Integrationsbegriffs durch Heranziehung der Sozialwissenschaften vorzunehmen. In der Folge mustert er vor diesem Hintergrund eine Reihe sozialwissenschaftlicher Gesellschaftstheorieansätze durch. Auf eine allumfassende Definition kommt allerdings auch der Autor nicht. Das Aufenthaltsgesetz sei letztlich ein Kompromiss zwischen Zuwanderungsbegrenzung und Integrationsförderung. Die Politik der Förderung und Forderung von (Ak-) Kulturationsleistungen werde sich aber langfristig nur dann als Erfolg versprechend erweisen, wenn sie mit einer „Politik rechtlicher Platzierung“ einher gehe: Gemeint ist eine Politik, die rechtliche Integrationsbarrieren abbaue und sich von dem Ziel leiten lasse, jedem Zuwanderer die Möglichkeit zu eröffnen, langfristig ein Leben mit den gleichen Rechten und Pflichten zu führen wie ein Inländer.

Eichenhofer greift mit seinem Buch auch ein Thema auf, dass gerade in progressiven Integrationsdebatten oft vernachlässigt wird – die juristische Dimension des Themas. „Integration“ ist eben nicht nur eine allgemeine politische Diskussion. Ansprüche, die Situation von Menschen mit Migrationshintergrund weiter zu verbessern, müssen auch in der Sprache des Rechts formulierbar sein; d.h. sich in rechtlichen Regelungen widerspiegeln können. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach dem Begriff der Integration im Aufenthaltsgesetz äußerst spannend. Eichenhofers Buch leistet hier einen wichtigen Beitrag.

Allerdings muss er letztlich den Ball ins politische Feld zurück spielen, da sich auch aus einer Zusammenschau von Gesetz und sozialwissenschaftlicher Theorie nur eine Annäherung an die Bedeutung des Integrationsbegriffs im Aufenthaltsgesetz herstellen lässt. Zuzustimmen ist dem Autor in seinem Plädoyer für einen weiteren Ausbau der Rechte von Menschen ohne deutschen Pass. Das Buch zeigt auch, dass die (rechts-) wissenschaftliche Verarbeitung der Entwicklungen im Ausländer- und Integrationsrecht in den letzten Jahren deutlich stärker auch in den Fokus der integrationspolitischen Debatten gehört.

Wer an einer Integrationspolitik interessiert ist, die auf Chancengleichheit und gleiche Teilhabe für alle Menschen setzt, muss sich der juristischen Debatte stellen. Eichenhofers Buch leistet hier einen guten Beitrag.