Gefährlicher Egotrip

Im Kern geht es um radikale Begrenzung der Einwanderung

Die Ecopop-Bewegung will die Zuwanderung in die Schweiz radikal begrenzen. Dabei hat die Partei Schwierigkeiten, rechtspopulistische Elemente hinter dem Slogan des Umweltschutzes zu verstecken. Bei der Schweizer Volksabstimmung am 30. November geht es nun abermals um Abschottung.

Von Jan Dirk Herbermann Freitag, 21.11.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.11.2014, 17:58 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In den Broschüren ist viel von „Globaler Verantwortung“ die Rede. Eine „nachhaltige Schweiz“ solle als Vorbild dienen. Die Vereinten Nationen werden bemüht – die Umweltziele der Weltorganisation und die eigenen Umweltvorstellungen seien deckungsgleich. Das behauptet die Schweizer Volksinitiative „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“.

Doch tatsächlich verfolgt die Initiative, hinter der ein Öko-Verein namens Écologie et Population (kurz Ecopop) steht, radikale Pläne: Die Eidgenossen sollen die jährliche Netto-Zuwanderung (Einwanderung minus Auswanderung) in Zukunft auf 0,2 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung beschränken. Am 30.11. werden die Schweizer über die Idee abstimmen. Laut Umfragen ist ein Sieg der Radikal-Ökologen nicht völlig auszuschließen. Falls eine Mehrheit die Ecopop-Vorstellungen gutheißt, dann würde das neue Einwanderungsreglement sofort in der Verfassung verankert. Und die Schweiz würde zu den Ländern mit den strengsten Immigrationsregeln in Europa gehören.

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Großer Ärger mit den Nachbarn wie Deutschland und der EU scheint dann unausweichlich auf die Schweizer zuzurollen. Den Sprecher der Initiative, Benno Büeler, einen Mathematiker, interessiert das kaum. Er behauptet: In der Schweiz lebten schon jetzt zu viele Menschen. „Geht das so weiter, werden wir bis 2050 von acht auf elf Millionen wachsen. Die Schweiz wird eine Riesen-Stadt.“ Und die Folgen? Büeler zählt auf: „Zugebaute Natur, Staus, überfüllte Züge, steigende Mieten, überlastetete Sozialwerke.“ Um das Schreckensszenario noch abzuwenden, müssten die Grenzen so gut wie dicht gemacht werden. Dann würde die jährliche Nettozuwanderung von heute 80.000 Menschen auf unter 16.000 fallen. Dann wäre die Schweiz noch einmal davongekommen, verspricht Ecopop.

Doch die Ecopop-Initiatoren wollen auch der ganzen Welt Gutes tun. Ihre zweite Forderung: Die Schweiz solle mindestens zehn Prozent ihrer Entwicklungshilfe für „selbstbestimmte Familienplanung“ in armen Ländern einsetzen. Anders gesagt: Die Schweiz soll durch den Kauf von Verhütungsmitteln und Aufklärungskampagnen helfen, die globale „Überbevölkerung“ zu stoppen.

Die Regierung stemmt sich mit aller Macht gegen die Initiative. „Ecopop ist ein gefährlicher und populistischer Egotrip“, warnt Innenminister Alain Berset, ein Sozialdemokrat. Fast alle Parteien, die Wirtschaft und die Kirchen fürchten ebenfalls, dass die Ecopop-Pläne bei einer Mehrheit der Schweizer Gehör finden. „Wer nach außen abschottet, spaltet nach innen“, warnt der Schweizerische Evangelische Kirchenbund. Die Volksinitiative gefährde den Schutz der Menschenwürde und sei mit dem christlichen Verständnis von Heimat unvereinbar.

Selbst vielen Mitgliedern der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) ist Ecopop nicht geheuer. Ein SVP-Abgeordneter in Bern, Roland Rino Büchel, keilte gegen die Initianten als „Birkenstock-Rassisten und verwirrte Akademiker“. Die SVP selbst hatte sich noch im Februar bei einem Referendum durchgesetzt: Die Eidgenossen stimmten seinerzeit für den Plan, die Zuwanderung mit Kontingenten zu beschränken. Die aktuellen Ecopop-Forderungen aber gehen noch weit über dieses Konzept hinaus.

Die möglichen verheerenden ökonomischen Folgen einer Abschottung dienen den Gegnern als ein Hauptargument. „Tausende von Fachkräften würden fehlen, ob im Gesundheitsbereich, in der Industrie, auf dem Bau oder in technischen Berufen“, betont die Regierung. Kurz: Der Wohlstand der Schweiz wäre akut gefährdet.

Und: Die Ecopop-Initiative bedroht auch das ohnehin angespannte Verhältnis zur EU. In Brüssel haben die Schweizer seit dem Ja zur SVP-Initiative über die Einwanderungskontingente im Februar kaum noch Fürsprecher. Denn Kontingente widersprechen klar dem Freizügigkeitsabkommen, das die Schweiz mit der EU verbindet.

Bei einem Ja zu dem Ecopop-Konzept dürften sich die letzten Brüsseler Freunde abwenden. Die Verhandlungen über neue Abkommen mit der EU „wären sofort tot“, warnt Bundespräsident Didier Burkhalter von den Freisinnigen. „Die Schweiz käme in eine sehr schwierige Lage.“ (epd/mig) Aktuell Ausland

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