Ende einer scheppernden Posse: Die Anzeige eines Muslims gegen die sarkastische Islamkritik des Kabarettisten Dieter Nuhr wurde eingestellt, ebenso schon vorab die Anzeige von Nuhr gegen den Muslim. Das war ein nötiges Zeichen, das in seinem Feld ein Stück weit Rechtsgeschichte machen wird. Zeit für einen Rückblick in eigener Sache.
Protokoll: Ich bin am Freitag, den 24. 10. um 16.15 Uhr, mitten im lärmenden Berliner Straßenverkehr, von einer Journalistin der Welt angerufen worden. Sie erzählte mir etwas von ‚islamkritischen‘ Witzen des Kabarettisten Dieter Nuhr mit allerlei Verallgemeinerungen, berichtete über einen im Gericht angekommenen Streit darüber in Osnabrück, von dem ich nichts wusste, und bat um ein kurzes Statement.
Ich machte über die pauschalisierende Kritik Nuhrs an ‚dem‘ Islam (nicht über den deswegen angestrengten Prozess) eine flapsige Bemerkung, dass hier wohl Islam und Islamischer Staat verwechselt würden, was aus meiner Sicht so viel miteinander gemein habe wie eine Kuh mit dem Klavierspiel, und sagte dann einen zur Veröffentlichung gedachten Satz: „Pauschale Diffamierungen anstelle von Differenzierungen schaffen nur neue Schreckbilder, die dem mehrheitlich liberalen europäischen Islam das Wasser abgraben.“ 1 Das war, wie kurz darauf die taz ätzte, „bestes Migrationsforscherdeutsch“. 2 Zugegeben, ich bin eben kein Kabarettist.
Das Ganze dauerte nicht mehr als drei Minuten und war kein Interview, sondern nur eine Art Zuruf mitten im brodelnden Straßenverkehr. Dass die flapsige Nebenbemerkung, die nicht auf die Person, sondern auf die mir am Telefon überbrachten Argumente zielte, mit abgedruckt wurde, ist bedauerlich. Das war aber mein Fehler, weil ich mir den Text nicht nochmal habe vorlegen lassen. So ist das nun mal mit der Pressefreiheit. Und das ist auch gut so.
Zwei Ebenen der Diskussion
Die Diskussion in den Medien über die Osnabrücker Strafanzeige, in deren Zusammenhang fälschlicherweise mein Statement stets mitgeschleppt wurde, teilte sich rasch in zwei Ebenen: erstens die nur ansatzweise ausgetragene Diskussion über ‚islamkritische‘ Inhalte 3, die ich mit meinem Statement anstoßen wollte; zweitens eine auf der Metaebene geführte Debatte über den hohen Wert der Meinungsfreiheit in Presse und Kunst mit wichtigen Beiträgen insbesondere von Heribert Prantl 4 und Klaus Staeck 5.
Die abgehobene Diskussion zur Meinungsfreiheit machte es vielen freiheitskämpfenden Anschlussschreibern leicht, Position zu beziehen, ohne im Blick auf die ‚Islamkritik‘ näher Stellung nehmen zu müssen; denn fortan wurde alles über den Kamm der Presse- oder Kunstfreiheit geschoren und Eintreten für Freiheit ist immer gut. Das klang wie eine Neuauflage der an die Wand gelaufenen Diskussion um Thilo Sarrazins letztes Buch über die angebliche Einengung der Meinungsfreiheit durch einen ‚neuen Tugendterror‘. 6
Dabei flatterte in vielen Beiträgen die journalistische Ente im Kreise und verwechselte die oben genannten beiden Ebenen. So wurde mir unterstellt, ich hätte die Meinungsfreiheit eines Kabarettisten aufs Korn genommen und damit zugleich eine Klage gestützt, die ich gar nicht kannte. Künstliche, mitunter an Hysterie grenzende Aufregung und luftige Projektionen waren die Folge. Im Nu hatten ich und andere Beteiligte mal wieder den Speicher voll mit einem Shitstorm von pöbelnden mitte-rechtskonservativen, rechtsradikalen und rechtsextremistisch-rassistischen Verteidigern von Dieter Nuhr. Das klang zum Beispiel so:
„Na, Jung! Da empfehle ich Dir, nimm das ganze schmutzige Islamgesindel aus Deutschland und am besten ganz Europas und siedelt Euch in Syrien, Irak oder sonst wo an. Dann könnt Ihr Euch gegenseitig genießen, wir sind die ganzen Kanaken los und Europa ist wieder lebenswerter geworden. Niemand braucht dieses Pack hier. Also, hopp, Sachen gepackt und ab. Du kannst sicher sein, außer paar debile Grüne, weint Eurem Zug niemand auch nur eine Träne nach und das grüne Gesindel nehmt Ihr am besten gleich mit.“ (B. Holz, 24.10.2014)
Falsche oder echte Freunde?
Man könnte folgern: Sage mir, wer Deine Freunde sind und ich sage Dir, wer Du bist! Falsch, denn niemand kann sich heute dagegen wehren, im Netz von falschen ‚Freunden‘ umarmt zu werden. Aber auch ein Kabarettist muss zur Kenntnis nehmen, dass es diese ‚Freunde‘ gibt und dass er ganz offensichtlich deren Bedürfnisse befriedigt, ob gewollt oder ungewollt.
Dieter Nuhr weiß das. Er bedauert das auch. 7 Er macht aber trotzdem weiter mit seiner sogenannten Islamkritik. Er will sie, wie er sagt, nicht ‚den Rechten‘ überlassen, bedient damit aber eben auch ‚die Rechten‘ in der Mitte. Man kann das aus seiner Sicht verstehen: Es läuft halt so gut. Da verliert man schon mal den Schwelbrand aus den Augen, in den die öligen Pointen tropfen.
Andere ‚Islamkritiker‘ machen das auch so wie z.B. der Welt-Kolumnist Henryk. M. Broder, der seinen „lieben muslimischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen“ erklärt: “Die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus ist oft spitzfindig. Es sind manchmal zwei Seiten einer Medaille.“ 8 Und wenn dann vor dem Hintergrund islamistischer Radikalisierung über die Frage lamentiert wird ‚Droht eine Spaltung der Gesellschaft?‘ 9, dann sind die ‚Islamkritiker‘ daran zweifelsohne nicht schuldlos.
All das macht kritischen Geistern immer mehr Sorge, z.B. dem Menschenretter und „radikalen Humanisten“ bzw. „radikalen Christen“ Rupert Neudeck. Er warnt: „Mich beunruhigt, wie wir mit dem Islam umgehen“ und fügt an: „Ich finde es ganz furchtbar, wenn man die Taliban, Boko Haram oder Isis ‚radikal islamisch‘ nennt. Diese Menschen sind Verbrecher, und sie müssen Verbrecher oder Terroristen genannt werden. Die Serben, die im Bosnienkrieg Muslime vergewaltigt und ermordet haben, haben wir auch nicht radikal christlich genannt. Ich möchte gerne radikal christlich sein, aber ich möchte, dass das ein Ehrentitel ist.“ 10
Ich schätze Dieter Nuhr als Kabarettisten, aber nicht seine sogenannte Islamkritik. Dazu habe ich eine ganz andere Position, über die man sich anhand der einigermaßen umfangreichen Publikationsliste auf meiner Website informieren kann und vor allem in meinem Buch: Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, ‚Islamkritik‘ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft, Wochenschau Verlag, Schwalbach i. Ts. 2013 (3. Aufl. als eBook 2014).
Der Kern des Problems
Kern des Problems: Nuhr bedient sich zum Teil ähnlicher Argumente und Argumentationstechniken wie die bekanntesten ‚Islamkritiker‘ Kelek, Broder, Giordano, Sarrazin, Journalisten der ‚Achse des Guten‘ und andere. Sie haben mit ihrer zwischen Kritik und Denunziation oszillierenden Antiislam-Agitation über Jahre hinweg den Resonanzboden geschaffen, auf dem dann die Horrormeldungen über ‚Boko Haram‘ in Afrika und den ‘Islamischen Staat‘ im arabischen Raum wie Bestätigungen ihrer Menetekel klingen konnten.
Dazu gehörten auch führende Journalisten der FAZ wie z.B. der kürzlich verstorbene, blitzgescheite und zeitweise scharf ‚islamkritische‘ Mitherausgeber der FAZ und ehemalige Kelek-Protegé Frank Schirrmacher. Der im gleichen Fahrwasser schreibende stellvertretende Feuilletonchef der FAZ Jürgen Kaube glaubte in einem tausendfach von Usern auf Facebook geteilten, in einiger Hinsicht schiefliegenden Kommentar dem (angeblichen „Osnabrücker“, in Wirklichkeit Berliner) „Migrationsforscher Bade“ wegen dessen Warnung vor einer Gleichsetzung von Islam und verbrecherischem Islamismus empfehlen zu sollen: „Professor Bade sollte unbedingt zum Seniorenstudium der Logik zugelassen werden.“
Das sind in Inhalt und Stil die ‚islamkritischen‘ Spuren von Necla Kelek in der FAZ. Mein Buch berichtet davon. Diverse Kommentare im Netz zu dem Schmähartikel von Kaube aber blieben überraschend differenziert bzw. kritisch und die aus der ‚islamkritischen‘ Linie laufende Kommentarspalte wurde alsbald geschlossen. 11
Die Gefahr wächst, dass pauschalisierende denunziative ‚Islamkritik‘ das kritische Denken blockiert und Kritik dieser ‚Islamkritik‘ sofort ‚kulturelle‘ Selbstverteidigungsreflexe auslöst. Das aber sind die besten Voraussetzungen für einen ‚Kulturkampf’ in der Einwanderungsgesellschaft, für den dann wieder nur ‚dem Islam‘ und nicht etwa der ‚Islamkritik‘ die Schuld zugewiesen werden wird.
Meinungsfreiheit leben heißt Kritik üben und aushalten
Was bleibt jenseits der wichtigeren und zumeist nicht erkannten ‚islamkritischen‘ Gefahrendimension: Wer als Kabarettist sarkastisch verpackte Kritik übt, muss auch selber Kritik aushalten können und braucht nicht von pöbelnden Verteidigern in Watte gepackt zu werden.
Einen Kabarettisten anzuzeigen, wie in Osnabrück geschehen, weil er pointiert, wenn auch oft flach überzieht, ist abwegig. Es ist gut so, dass das Gericht das auch so gesehen hat. Und von einer Unterstützung der Osnabrücker Klage oder gar von einem angeblichen Angriff von Klaus J. Bade auf Dieter Nuhrs Meinungsfreiheit als Kabarettist konnte keine Rede sein.
Die Meinungsfreiheit ist nicht nur für Hochschullehrer, sondern auch und gerade für die Medien, für die Künste und überhaupt für alle Bürgerinnen und Bürger ein hohes und gegen jeden Angriff zu schützendes Gut. Das gilt auch, wenn man dabei, wie in meinem Falle geschehen, selber mal unter die journalistischen Räder kommt. Wer Angst davor hat, soll den Mund halten.
Das Schlusswort überlasse ich gerne Thomas Assheuer:
„Bekanntlich müssen Kabarettisten weder dem gesellschaftlichen Betriebsfrieden dienen noch vor höheren Mächten zu Kreuze kriechen. ‚Einseitigkeit‘ ist für sie ein Ehrentitel, vor allem angesichts der Tatsache, dass der Koran von marodierenden Killern derzeit ohnehin sehr einseitig interpretiert wird. Es ist ihnen gelungen, eine große Weltreligion in Verruf zu bringen, und selbst Wohlmeinende begegnen dem Islam nun mit epochaler Ratlosigkeit. (…)
Es ist unselig, dass der Streit um den Islam nicht politisch geführt wird, sondern als Kampf um die wahre Religion. Islamkritiker verlesen prekäre Koranstellen, und Muslime revanchieren sich mit dem christlichen Schwertvers, der auf den ersten Blick auch nicht gerade gemütlich ist. Das geht immer so weiter, und am Ende geht die Saat der Islamisten auf. Sie träumten schon immer vom planetarischen Religionskrieg, und der Westen war töricht genug, darauf mit einem Kreuzzug für ‚unsere Werte‘ zu antworten.
Statt im Koran nach bösen Suren zu suchen, würde es völlig reichen, sich über die Verletzung von Menschenrechten zu empören, die einst aus den Religionen hervorgegangen sind. Das funktioniert vermutlich sogar im Kabarett, jedenfalls so lange, bis einem das Wort im Halse stecken bleibt.“ 12
- Claudia Becker, Freia Peters, ‚Nuhr verwechselt Islam mit dem Islamischen Staat‘, in: welt.de, 24. 10. 2014
- Deniz Yücel, Muslim krass beleidigt. Gäbe es einen Nobelpreis für Beleidigtsein, die islamische Welt würde nicht so leer ausgehen wie sonst. Jüngster Fall: die Anzeige gegen Dieter Nuhr, in: taz.de, 28.10.2014
- Pointiert dazu: Thomas Assheuer, Dieter Nuhr. Die Frömmigkeit des Aufklärers. Der Kabarettist Dieter Nuhr wird wegen religiöser ‚Hetze‘ angezeigt, in: zeit online, 30.10.2014; Kerim Pamuk, Dieter Nuhr und Erhan Toka sollten Yoga machen! Der Kabarettist Kerim Pamuk betrachtet für das Abendblatt die aufgeregt geführte Diskussion um Dieter Nuhrs Ansichten zum Islam. Es gibt nicht DEN Islam, aber über eine Milliarde Muslime weltweit, in: Hamburger Abendblatt, 28.10.14
- Heribert Prantl, Meinungsfreiheit und Demokratie. Spott über Gott, in: süddeutsche.de, 26. 10. 2014
- Andreas Oswald, Klaus Staeck: Nicht von Fanatikern einschüchtern lassen, in: tagesspiegel.de, 27.10.2014
- Thilo Sarrazin, Der neue Tugendterror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland, München 2014; vgl. hierzu: Klaus J. Bade, Die Welt ist ungerecht – und das ist auch gut so! Kulturrassismus, neokonservative Sozialphilosophie und ‚Tugendterror‘ bei Thilo Sarrazin, in: MiGAZIN, 24.2.2014.
- Kabarett: Dieter Nuhr wehrt sich gegen Vorwurf der Islamhetze, in: MiGAZIN, 28.10.2014.
- Henryk M. Broder, Offener Brief: Liebe muslimische Mitbürger und Mitbürgerinnen …, in: welt.de, 23.09.14.
- Angst vor dem Islam: Droht eine Spaltung der Gesellschaft?‘, Talk im Hangar-7, 19.9.2014.
- Christiane Hoffmans, „Mich beunruhigt, wie wir mit dem Islam umgehen“. Interview mit Rupert Neudeck, in: welt.de, 9.8.2014.
- Jürgen Kaube, Strafantrag gegen Dieter Nuhr Kabarett mit Pellkartoffeln. In Osnabrück gibt es nicht nur einen Mitbürger islamischen Glaubens, der im Kabarettisten Dieter Nuhr einen Hassprediger sieht und deshalb vor Gericht zieht, sondern auch zwei akademische Mitbürger, denen die Kategorien verrutscht sind. Ein Kommentar, in: faz.net, 27.10.2014.
- Thomas Assheuer, Dieter Nuhr. Die Frömmigkeit des Aufklärers. Der Kabarettist Dieter Nuhr wird wegen religiöser ‚Hetze‘ angezeigt, in: zeit.online, 30.10.2014.