Bildungsstudie

Schulen in Deutschland voller Hürden für Einwandererkinder

Wen Einwandererkinder es in Deutschland schaffen, dann mit hoher Wahrscheinlichkeit durch glückliche Umstände im Umfeld. Die Schulen fördern sie jedenfalls nicht, ganz im Gegenteil. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Bildungsstudie.

Die Kinder türkischer Einwanderer stoßen im deutschen Bildungssystem und im Arbeitsleben auf erhebliche Benachteiligungen. Sozialer Aufstieg sei für die meisten „ein Weg gegen ganz viele Widerstände“ und über viele Umwege, sagte der Migrationsforscher Andreas Pott am Donnerstag in Essen. Besonders große Hürden gebe es im Schulsystem, das Bildungsaufsteiger überhaupt nicht fördere.

Der Leiter des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück (IMIS) stellte die Ergebnisse der Studie „Pathways to Success“ (Pfade zum Erfolg) vor. Dafür befragten die Forscher mehr als 70 soziale Aufsteiger aus türkeistämmigen Familien im Ruhrgebiet, Berlin und Frankfurt am Main.

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Erfolg häufig zufällig

Zentrales Ergebnis: Diejenigen, die eine berufliche Karriere geschafft haben, hatten dies meist ihrer eigenen Hartnäckigkeit, der Unterstützung ihrer Familien oder einzelnen Förderern zu verdanken. Häufig war der Erfolg also von Zufällen abhängig. Sehr viele Interviewpartner berichteten davon, dass ihre Schulen weder Interesse noch Glauben an ihre Talente zeigten. Entsprechend wenige Kinder aus türkischstämmigen Arbeiterfamilien schaffen es in Deutschland auf das Gymnasium – während dies in anderen EU-Staaten weit häufiger der Fall ist.

Die Befragten haben überdurchschnittlich von Schulformen profitiert, die auf gesellschaftliche Integration aller sozialen Schichten ausgelegt sind – darunter vor allem Gesamtschulen. Dank der höheren Dichte von Gesamt- und Ganztagsschulen sind im Ruhrgebiet der Studie zufolge deutlich mehr Befragte auf die Universität oder Fachhochschule gelangt als beispielsweise in Berlin. „Die Gesamtschule ist für die untersuchte Gruppe eine gute Alternative zum Gymnasium. Sie ist durchlässiger, gleicht Startnachteile besser aus und kann dadurch Wegbereiter für den beruflichen Aufstieg sein“, sagt Prof. Dr. Andreas Pott, Projektleiter und Leiter des IMIS.

Diskriminierung auch im öffentlichen Dienst

Die Studie zeigt außerdem, dass nach der schulischen Laufbahn häufig Vorurteile gegenüber Migranten den Übergang in die Arbeitswelt erschweren: Die Beteiligten berichten, dass der Migrationshintergrund immer wieder in Bewerbungssituationen im Vordergrund stand – sowohl in der freien Wirtschaft als auch im öffentlichen Dienst. Hier reichen die Beschreibungen von offen diskriminierender Behandlung bis zu vorurteilsbehafteten Äußerungen.

„Besonders der öffentliche Dienst sollte hier Vorreiter sein für die stärkere interkulturelle Öffnung auch der Führungsetagen. Dazu gibt es eine Reihe von vielversprechenden Ansätzen, wie die Selbstverpflichtung auf Quoten für Menschen aus Nichtakademikerfamilien und/oder mit Zuwanderungsgeschichte vor allem bei der Vergabe von leitenden Stellen“, so Pott weiter.

Heimat trotz Diskriminierung

Trotz Diskriminierungserfahrungen fühlen sich die meisten Interviewten in Deutschland und an ihrem Wohnort zuhause. Sie sind stolz auf den erreichten Bildungs- und beruflichen Erfolg, gleichzeitig sehen sie aber auch, dass ein vergleichbarer beruflicher Erfolg für die zweite – und auch die dritte – Generation in Deutschland bis heute mit erheblichen Hürden verbunden und keineswegs selbstverständlich ist.

Download: Die wesentlichen Ergebnisse der Studie und politische Handlungsempfehlungen wurden in einem Policy Brief zusammengefasst.

„Die Studie zeigt auf, dass selbst die zweite Generation türkischer Einwanderer mit Chancenungleichheit im Bildungssystem konfrontiert wird. Damit bestätigt sie die Dringlichkeit unserer Arbeit im Bereich Integration. Unser Ziel ist es, Diskriminierung und strukturelle Hürden im Bildungssystem nachhaltig abzubauen. Das ist wichtig, weil nur durch Bildung gesellschaftliche Teilhabe möglich wird“, sagt Dr. Wolfgang Rohe, Geschäftsführer der Stiftung Mercator.

Um die Chancen von Migranten zu verbessern, empfehlen die Forscher Veränderungen in den Institutionen: kostenfreie Kindergärten, um möglichst früh mit der Sprachförderung zu beginnen, sowie längeres gemeinsames Lernen und eine größere Durchlässigkeit im Schulsystem. (mig/epd)