Laut Knigge

Entschuldigt Euch! Bei den Muslimen

Die deutsche Politik erkennt alle Jahre wieder reumütig ihre Versäumnisse in der Sozial- und Bildungspolitik an. Bei Debatten über Muslime in Deutschland ist jedoch die Meinung vorherrschend, sie hätten ihre Umstände alleine zu verantworten. Dass die beiden Themenfelder zusammengehören, wird vollständig ausgeblendet.

Nehmen wir beispielsweise die aktuelle Forderung der deutschen Öffentlichkeit, gerichtet an die Muslime, sie sollten sich für die Gräuel der IS entschuldigen und sich von dieser Organisation distanzieren. Dieses Diktat wird vorwiegend von der Politik forciert, mit Verallgemeinerung flankiert und durch periodische Wiederholung auf die Agenda der deutschen Leitmedien lanciert.

Wer auf die Einsicht der Politik hoffte, ist auch diesmal bitter enttäuscht worden. Statt sich für die Hetze gegen die Muslime, für die verbreiteten Lügen über den Islam und den eigenen, lapidaren Umgang mit den Salafisten, kombiniert mit einer miserablen Sozial- und Bildungspolitik und der existierenden sozialen Ungleichheit, zu entschuldigen, werden die Opfer zu Tätern stilisiert!

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Deutsche Jihadisten – 60 Prozent in Deutschland geboren

Vor Kurzem veröffentlichte Die Welt eine Analyse, im Auftrag der Innenministerkonferenz, über die Islamisten, die aus Deutschland ausreisen, um sich im Ausland radikalislamischen Milizen anzuschließen. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz weisen die deutschen Jihadisten ähnliche Merkmale und Lebensläufe auf.

Betrachtet wurden 378 Islamisten, die Deutschland seit Mitte 2012 Richtung Syrien verlassen haben: Nur sechs Prozent dieser Menschengruppe habe eine abgeschlossene Ausbildung und nur zwei Prozent einen Hochschulabschluss.

Jeder Dritte stamme aus der Gruppe der 21- bis 25-Jährigen. 20 Prozent sei erwerbslos gemeldet. Einer Beschäftigung sollen nur zwölf Prozent nachgegangen sein. Die meisten mit einem Job im Niedriglohnsektor.

Einen deutschen Pass sollen 233 der erfassten Ausgereisten haben und von 54 Personen sei bekannt, dass sie deutschstämmige Konvertiten, also Biodeutsche seien. Die Radikalisierung der Ausgereisten habe fast ausnahmslos in der Salafistenszene begonnen, etwa in Moscheen, die den Sicherheitsbehörden bekannt seien.

Es ist sofort erkennbar, dass die Ursachen für die Radikalisierung dieser vorwiegend Jugendlichen und Heranwachsenden in ihrer jeweiligen Sozialisation in Deutschland zu suchen sind und nicht in ihrer Herkunft. Die Tatsache, dass zwei Drittel der Personen, in dieser Problemgruppe, gebürtige Deutsche sind, legt diese Vermutung nahe.

Was den Blick für Fakten vernebelt ist die Ethnisierung von sozialen Problemen

Bei einer ehrlichen Betrachtung der deutschen Zustände erkennen wir schnell auch eine Radikalisierung unter den biodeutschen Jugendlichen. Leicht nachweisbar durch Verweise auf den steigenden Zuspruch für rechtsextreme -, xenophobe – und antisemitische Positionen. Die Radikalisierung der Jugendlichen, vorwiegend in den Problembezirken der Großstädte, ist ein generelles Problem in Deutschland und besitzt nichts Islamspezifisches.

Weit bestimmender für das deviante Verhalten ist der Habitus der Menschen. In der Öffentlichkeit wird das Gleiche meist unterschiedlich dargestellt und dieser Umstand erklärt auch Deutschlands Problem mit der eigenen Realität. So werden die Taten von devianten, biodeutschen Jugendlichen individualisiert und ihre jeweilige Biografie bis hin zur Befruchtung der Eizelle ihrer Mutter durchleuchtet.

Deutsche, die dem islamischen Kulturkreis entstammen, erhalten das Label: „Muslim“ ohne die Vermittlung weiterer Details, die den Täter vielleicht zu einem Individuum machen könnten. Für die Mehrheitsgesellschaft ist dieses Etikett augenscheinlich vollkommen ausreichend, um das jeweilige normabweichende Verhalten zu erklären. Dass mit dieser Form der Kommunikation Einzeltaten zu kollektiven Zuschreibungen werden, scheint den Biedermännern unwichtig.

Es ist trauriger Alltag in Deutschland, dass auf der einen Seite ständig eine Integrationsbereitschaft von Fremdstämmigen eingefordert wird, auf der anderen Seite, dann alles Menschenmögliche unternommen wird, um sie auszugrenzen.

Deutschlands Verständnis von Gleichheit vor dem Gesetz

Die Speerspitze dieser gelebten Doppelmoral in der deutschen Politik bildet unbestritten der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU). Jüngstes Beispiel ist seine Forderung nach einer Kennzeichnung der Personalausweise von potenziellen Jihadisten, um diese an der Ausreise zu hindern.

Es muss Herrn Bosbach die Absicht unterstellt werden, dass er die bereits existierende Ungleichheit deutscher Muslime, vor dem deutschen Gesetz, zementieren will. Die Paradoxie dieser rechtlich sehr schwierig umsetzbaren Gedankenspiele besteht darin, dass er damit seinen eigenen Ausführungen, dass der Erwerb des deutschen Passes ein Indikator für gelungene Integration sei, widerspricht.

Für Deutschlands systematische Ausgrenzungspolitik gegenüber Menschen, deren Herkunft im islamischen Kulturkreis liegt, gibt es mannigfaltige Belege, die aufgezählt werden könnten. Exemplarisch soll hier nur auf die Tatsache hingewiesen werden, dass speziell deutsche Staatsbürger mit einem türkischen Migrationshintergrund beim Standesamt, neben ihrem deutschen Personalausweis, auch ihre Einbürgerungsurkunde im Original beilegen müssen.

Die Frage, ob der deutsche Personalausweis am Kaugummiautomaten erhältlich ist und warum der legale Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft nicht ausreichend ist, drängt sich einem unweigerlich auf. Die juristische Andersbehandlung deutscher Muslime, gerade im deutschen Rechtssystem, einhergehend mit der unkritischen Hofberichterstattung der deutschen Leitmedien, sind die größten Hindernisse für ein friedliches, interkulturelles Zusammenleben in Deutschland.

Die Salafisten

Falls die Salafisten eine verfassungsfeindliche Gruppierung sind und die deutschen Sicherheitsbehörden lassen die trotzdem Wirken, dann sind nicht die Salafisten das Problem, sondern die untätige deutsche Justiz! Ihr Umgang mit diesen Extremisten trägt eine Mitschuld für jeden toten Jihadisten aus Deutschland.

Und die weinenden Mütter dieser Fehlgeleiteten, die ein Produkt deutscher Ignoranz waren und leider immer noch sind, haben zumindest eine Entschuldigung verdient, anstatt zusätzlich zu ihrem Kummer auch noch beleidigt zu werden. Es scheint, als gäbe es beim Entschuldigen ein hierarchisches Gefälle in diesem Land.

Der Eindruck entsteht, als wolle die deutsche Öffentlichkeit den Muslimen eine Form von Minderwertigkeit einreden, die ihnen verbietet ihre verfassungsmäßig garantierten Rechte einzufordern. Die ständige, öffentliche Wiederholung einer angeblichen Bringschuld, erinnert an Filme wie: „Miss Daisy und ihr Chauffeur“ und andere Produktionen, die das Thema Apartheid und Rassismus behandeln.

Die Politik und speziell die führenden Bundespolitiker der Regierungsparteien scheuen keine Mühe, um den Muslimen bewusst zu machen, dass ihr Platz ganz unten in der deutschen Gesellschaft ist. Die ständige Wiederholung der Halbwahrheit, von einer jüdisch-christlichen Leitkultur in Deutschland erfüllt den gleichen Zweck: die gesellschaftliche Ausgrenzung der Muslime!

Deutschland muss sich bei seinen muslimischen Bürgern entschuldigen

Eine Bitte um Entschuldigung ist in der Regel gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben. Laut dem Knigge 2014, dem Standartwerk für Umgangsformen im deutschsprachigen Raum, ist eine Entschuldigung angebracht, wenn ich einen anderen Menschen verletzt oder gekränkt habe oder ihm auf irgendeine Weise Unannehmlichkeiten oder Schaden bereitet haben sollte. Ob ich das bewusst oder unbewusst getan habe, spiele da keine Rolle. Da ich diese Voraussetzungen nicht erfülle, gibt es für mich persönlich auch keinen Grund, mich zu entschuldigen. Die Politik hingegen erfüllt die Anforderungen in allen Punkten!

Die seit Jahren andauernde, öffentliche Diskreditierung der Muslime und die ständige Beleidigung des Islam berechtigen die muslimischen Bürger dieses Landes dazu, eine ehrliche Entschuldigung für die Ausgrenzungserfahrungen der letzten acht Jahre zu fordern! Nur mit einer solchen Entschuldigung kann die deutsche Politik, dass zerbrochene Vertrauen zurück und Muslime als Teil des deutschen Volkes für sich gewinnen, denn sie ist es, die den Rahmen unseres Zusammenlebens bestimmt.