Syrische Flüchtlinge

Die humanitäre Aufnahme aus der Sicht der Kommune

Die Bundesregierung hat auf den öffentlichen Druck reagiert und die humanitäre Aufnahme von syrischen Flüchtlingen zugesagt. Diese erhalten nach Einreise in Deutschland einen Aufenthaltstitel, Sozialleistungen und eine Arbeitserlaubnis. Soweit die Theorie, in der Praxis sieht das oft anders aus.

Seit drei Jahren tobt in Syrien ein Bürgerkrieg. 2,5 Mio Syrer sind seit Beginn des Krieges in die Nachbarländer geflohen, 6,5 Mio befinden sich auf der Flucht im eigenen Land. 2013 entschied die Bundesregierung, sich aktiv in die Diskussion um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge einzuschalten. 5.000 von ihnen sollten über ein humanitäres Aufnahmeprogramm (HAP) in Deutschland Zuflucht finden. Wenige Monate später folgte der Beschluss über ein zweites Kontingent von 5.000 Personen und schließlich Anfang 2014 die Zusage, weiteren 10.000 Syrern Schutz zu gewähren. Die durch den Bürgerkrieg verursachte Notlage in den Nachbarländern Syriens wird dadurch kaum entspannt, die Debatte um zusätzliche humanitäre Aufnahmen wird sicher weitergehen.

Parallel zu den bislang drei humanitären Aufnahmeprogrammen von Syrern läuft bereits seit 2012 ein dreijähriges Resettlement-Programm bei dem 300 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge pro Jahr über das Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) bei uns aufgenommen werden. Das sehr kleine Kontingent schlägt dabei kaum zu Buche. Nach dem Abschluss der drei Jahre Ende 2014 wird die bislang sehr kleine Zahl, auch im Lichte der Situation im Nahen Osten, neu verhandelt werden und voraussichtlich erhöht. Eines ist aber jetzt schon klar: Für die Kommunen waren Resettlement und HAP ein guter Test, um aktuelle Aufnahmestrukturen zu überprüfen und eine größere Planbarkeit bei den Aufnahmen zu fordern.

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Die größte Herausforderung für die Kommunen ist die kurzfristige Ankündigung der Ankunft. Informationen werden von einer Ebene an die nächste weitergegeben, statt alle am Aufnahmeprozess beteiligten Akteure von Beginn an einzubinden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) leitet die Informationen an die Länder weiter, diese an die Bezirksregierungen und Kommunen, dann erst werden die Beratungsstellen informiert. Zu welchen Engpässen diese Art der Informationspolitik führen kann, ist am Beispiel München gut zu sehen.

Am 30. April 2014 erhielt die Innere Mission vor Ort eine E-Mail. Das bayerische Sozialministerium kündigte darin die Ankunft von 23 syrischen Flüchtlingen an, die aufgrund des Mangels an privatem Wohnraum provisorisch in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber untergebracht werden sollten. Die Information erreichte die für den Sozialdienst in der Erstaufnahme zuständige Sozialpädagogin am Tag vor der Ankunft der Flüchtlinge. Kraft ihres Mandates ist sie ausschließlich für Asylbewerber zuständig. Wegen der ohnehin bereits sehr hohen Anzahl an Klienten war es ihr nicht möglich, sich nebenbei um die Neuankömmlinge zu kümmern. Nachdem ihre Fragen nach der für diese Flüchtlingsgruppe zuständigen Erstmigrationsberatung unbeantwortet blieben, schickte sie einen Hilferuf an zivilgesellschaftliche Organisationen, die durch Ehrenamtliche zu helfen versuchten. Noch am Tag der Ankunft war nicht klar, in welchem medizinischen Zustand sich die Syrer befänden, wer die Beratung übernehmen würde und ob die Flüchtlinge nach Ankunft in der Erstaufnahme Kantinenessen bekämen oder sich selber versorgen müssten. Es stellt sich allerdings die Frage, wie so eine Selbstversorgung in der Praxis aussehen soll, wenn man bedenkt, dass die Flüchtlinge während ihres zweiwöchigen Aufenthalts im Grenzdurchgangslager Friedland nur 20 Euro erhalten. Für die Zeit danach ist schließlich die Kommune zuständig.

Im Gegensatz zu Flüchtlingen, die eigenständig nach Deutschland kommen, hier Asyl beantragen und unter die Notversorgung des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen, haben die über HAP aufgenommenen Syrer gemäß der Aufnahmeanordnung des Bundesinnenministeriums ein Anrecht auf Sozialleistungen. Allerdings sind sie bei Ankunft in der Kommune lediglich mit einem Visum ausgestattet. Ein Visum befähigt aber nicht zum Leistungsbezug. Zuerst müssen die entsprechenden Anträge gestellt werden und das passiert erst im Anschluss an die zweiwöchige Orientierungsphase in Friedland durch die Hilfe der jeweiligen Migrationserstberatung in der Kommune.

Die deutsche Bürokratie mit ihren unzähligen Formularen und Anträgen, ist schon für hier aufgewachsene Bürger oft schwierig zu verstehen. Erst Recht für Flüchtlinge, die weder Englisch noch Deutsch sprechen. Um in den Bezug von Sozialleistungen zu kommen muss die Meldung bei der Stadt vorgenommen sowie Aufenthalt und Sozialleistungen beantragt werden. Danach folgen zusätzlich Kindergeldanträge, die Korrespondenz mit der Krankenkasse, die Einschulung und Anmeldung beim Integrationskurs. Eine nicht zu bewältigende Aufgabe für Menschen, denen das deutsche System und dessen Sprache fremd sind.

Rechtlich fallen sowohl die über HAP, als auch über Resettlement aufgenommenen Flüchtlinge durch ihren Aufenthalt unter die vom BAMF finanzierte Migrationserstberatung in den Kommunen. Allerdings muss diese Beratung vorbereitet werden, denn der Beratungsbedarf ist für die sogenannten Kontingentflüchtlinge in den ersten Tagen und Wochen nach Ankunft enorm. Beispielsweise sind für die inzwischen knapp 70 im Mai nach München gekommenen Syrer – zwei Wochen nach der ersten Gruppe folgte eine zweite, noch größere Gruppe – grob geschätzt etwa 1.000 Seiten Formulare angefallen, um die Erstversorgung zu gewährleisten. Dazu braucht man Sozialpädagogen, die die jeweilige Sprache sprechen oder Dolmetscher, muss im Falle eines medizinischen Bedarfs ambulante Krankenpflege, Spezialbetten, Rollstühle und eine barrierefreie Unterbringung organisieren. Dies alles braucht Zeit. Ehrenamtliche können die Berater zwar unterstützen, allerdings nur in einem sehr eingeschränkten Umfang durch Begleitungen zu den Behörden oder Deutschnachhilfe für Erwachsene und Kinder. Sie sollten auf keinen Fall, wie in München geschehen, dabei helfen, die Versorgungslücke zu schließen. Es Bedarf hier einer professionellen Beratung.

Sicher ist das Beispiel München mit seinem knappen Wohnraum, einer Unterversorgung an arabischsprachigen Migrationserstberatern sowie einem hohen Migrationsdruck ein Extrembeispiel bei der Syrienaufnahme. Dennoch klagen auch andere Kommunen über ähnliche Herausforderungen. Ein humanitäres Aufnahmeprogramm, das diesen Namen verdient, sollte anders aufgestellt sein und die Versorgung der Flüchtlinge nicht dem Zufall und den vor Ort gegebenen Bedingungen überlassen. Bei der Bewertung der Aufnahme sollte es um mehr gehen, als um Zahlen und Zeiträume. Wie viele Personen in welchem Zeitraum in Deutschland eingereist sind, spielt sicherlich eine Rolle, ist jedoch weniger relevant als die Frage, wie die Menschen empfangen werden und was auf Bundes- und Länderebene getan werden kann, um die Kommunen zu stärken. Die humanitäre Aufnahme darf nicht mit der Einreise in Deutschland als abgeschlossen betrachtet werden, sondern muss den Fokus auf die Ankunft in der Kommune setzten. Denn dort werden die Grundlagen für die spätere Integration der Menschen gesetzt. Ein schneller Bezug von Sozialleistungen, eine umfangreiche Beratung der Menschen vor Ort und das rasche Erlernen der Sprache sind unerlässlich.

Anders als die humanitären Aufnahmeprogramme, über die die Bundesregierung spontan entscheidet, bietet das Resettlement von Flüchtlingen hier eine Möglichkeit, nachhaltige bundesweite und lokale Strukturen zu schaffen. Mit seinen jährlichen Flüchtlingskontingenten bietet das Programm die Chance, Flüchtlingsaufnahmen auf feste Füße zu stellen. Durch die Weiterführung des Resettlements über 2014 hinaus kann für die kommenden Jahre geplant werden. Wichtig ist allerdings eine bedeutende Erhöhung des Kontingents, damit möglichst viele Kommunen mit den auf diese Weise aufgenommenen Flüchtlingen in Berührung kommen und ein Bedarf besteht, eigene Strukturen zu entwickeln. Bislang nimmt Deutschland lediglich 300 Personen pro Jahr über Resettlement auf. Diese werden dann auf die Bundesländer und Städte verteilt. Die Personenzahl pro Stadt ist dadurch so gering, dass die Flüchtlinge trotz des hohen Beratungsbedarfs in den meisten Fällen in das bestehende Migrationssystem eingefädelt werden können. Kommt dann jedoch unerwartet eine große Zahl syrischer Flüchtlinge über das HAP dazu, steht die Komune vor einem Problem und die Flüchtlinge vor einer Versorgungslücke.

Anders in München. Durch die Planbarkeit des Resettlements hat die Landeshauptstadt eine gute Struktur für diesen Personenkreis entwickelt. 25 Flüchtlinge kommen aus dem 300er Kontingent pro Jahr nach München. Die Zahl wurde der Stadt 2012 vom bayerischen Sozialministerium zugewiesen und stellt damit eine feste Größe dar. Während die Unterbringung von Flüchtlingen im Rahmen des HAP in die Verantwortung des bayerischen Sozialministeriums fällt, liegt die Zuständigkeit für das Thema Resettlement in Bayern ganz bei der Kommune, die neben der Beratung auch die Versorgung mit Wohnraum gewährleistet. Um die Aufnahme in München entsprechend vorzubereiten, werden die Flüchtlinge während ihres zweiwöchigen Aufenthalts im Grenzdurchgangslager Friedland besucht, die nötigen Antragsformulare mit ihnen ausgefüllt und vor deren Ankunft stellvertretend bei den Münchner Behörden eingereicht. Diese haben dadurch mindestens eine Woche Zeit, die Anträge zu bearbeiten, was den Bezug von Sozialleistungen ab dem Tag der Ankunft ermöglicht. Um die intensive Anfangsbetreuung dieser Flüchtlingsgruppe zu gewährleisten, wurde per Entgeltvereinbarung eine eigene Migrationsberatung für Resettlement-Flüchtlinge geschaffen; das SGB XII bietet hier Anknüpfungspunkte. Nach einem Jahr werden die Flüchtlinge in die reguläre Migrationserstberatung eingefädelt.

Im Prinzip wäre die Ausweitung der Beratung auf die knapp 70 über HAP in München aufgenommenen syrischen Flüchtlinge denkbar gewesen; da die wöchentlichen Arbeitsstunden bei der Entgeltvereinbarung jedoch an die Klientenzahl gebundene ist, muss die Beratung jeder weiteren Person in einem langwierigen Verfahren beantragt werden. Auch hier geht es also um Zeit.

Das Münchner Modell ist bei der Aufnahme von Flüchtlingen nur ein Beispiel von vielen, wie Strukturen geschaffen werden könnten. Weitere Kommunen, zum Beispiel Aachen, haben andere Wege gefunden, die Flüchtlinge entsprechend zu empfangen und zu versorgen. Wichtig ist in jedem Fall die Planbarkeit durch perspektivische Aufnahmezusagen, die weggehen von ad-Hoc Programmen wie das der syrischen Flüchtlinge. Eine bedeutende Aufstockung des Resettlement-Kontingents für die kommenden Jahre, in das Flüchtlinge aus aktuellen Krisensituationen eingefädelt werden können, würde es den Kommunen ermöglichen, über die Übernahme fester kommunaler Kontingente in Verhandlung zu treten und die Beratung vor Ort auszubauen.