Qualitäts-FAZ bis Boulevard-Bild

Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus in der aktuellen Antisemitismus-Debatte

Wer braucht schon importierten Rassismus? Niemand. Denn Rassisten haben wir so schon genug, wie ein Blick in die Zeitungen an diesen Tagen zeigt. Vom Qualitäts-FAZ bis hin zum Boulevard-Bild, sie alle hetzen was die Tastatur hergibt - gegen Muslime natürlich.

Von Montag, 28.07.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.12.2015, 10:48 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In seinem am 22.07.2014 auf FAZ.net erschienenen Artikel sieht Jasper von Altenbockum dem neu ausgerufenen ‚Deutschen Jahrhundert‘ mit einiger Vorfreude entgegen. „Wenn alles gut läuft“, so schreibt er, wird das nächste Jahrhundert aus Deutschland „ein besseres Deutschland machen”. Nach wenigen Sätzen wartet der als Kommentar überschriebene Text noch mit einem Vorschlag auf, der eine gute Grundlage für diese Entwicklung sein könne: Den Islam müssten die Deutschen vorher noch loswerden.

Zwischen dem Ausblick auf eine aus deutscher Sicht glorreiche Zukunft und der Erkenntnis, dass der „frische Wind“ der „Willkommenskultur“ nicht über alle Einwanderer wehen dürfe, steht die Schlussfolgerung, dass es einen neuen, von muslimischen Einwanderern verursachten Antisemitismus in Deutschland gebe. Abgesehen von der Frage, ob es in Deutschland tatsächlich eine ‚Willkommenskultur‘ oder ein funktionierendes Integrationsverständnis gibt, scheint von Altenbockums Lösung doch sehr kurzgegriffen.

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Lamya Kaddor schreibt in einer kurzen Analyse des Kommentars auf ihrer Facebook-Seite: „Aus meiner Sicht ist der Palästinakonflikt nur das Ventil, die Ursachen liegen unter anderem an dem Versagen unserer bundesdeutschen Gesellschaft, Menschen, die in der vierten Generation Deutsch sind, zu integrieren; an nicht gleichen Bildungschancen […]; an übler gruppenbezogner Menschenfeindlichkeit […] [und] an biographischen Hintergründen.“

Von Altenbockum schiebt die Verantwortung für den sich im Moment besonders deutlich zeigenden Antisemitismus in Deutschland an muslimische Zuwanderer und ihre Kindeskinder ab. Nicht er alleine folgt diesem Reflex. So berichtet der Tagespiegel zum Beispiel nicht von Pro-Palästinensichen Demonstrationen, sondern von „arabischen Demos“. Was nützen also jahrelange Integrations- und Reflexionsarbeit, wenn für die Mehrheitsgesellschaft in schwierigen Zeiten aus Deutschen wieder muslimische Einwanderer und „wütende“, „aufgehetzte Araber“ werden?

Der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch sagt zu diesem Verhalten, es gehe nicht um eine Parallelwelt von arabischen oder muslimischen Subkulturen, sondern um deutsche Jugendliche, die hier aufwachsen und in der deutschen Gesellschaft groß werden. Antisemitismus, der unter diesen Jugendlichen verbreitet sei, müsse also auch als deutsches Problem angegangen und gelöst werden.

Tatsächlich aber erweckt der Reflex, die Verantwortung für Antisemitismus nicht in der Mehrheitsgesellschaft, sondern bei den Muslimen zu suchen, den Eindruck, dass man um eine Lösung des Problems kaum bemüht ist. Auch sprechen Gedanken wie die im Tagesspiegel geäußerte Befürchtung, dass das „Ansehen Deutschlands“ durch die antisemitischen Rufe beschädigt sei, eher dafür, dass es der Mehrheitsgesellschaft nicht um den Akt der geäußerten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit an sich, sondern nur um den schönen Schein geht. Deutscher Antisemitismus, nach Wolfgang Benz der „konstante Bodensatz“ in der deutschen Gesellschaft, wird so mittels einer typisch rassistischen Projektion auf ‚das Andere‘ zu einem Problem des angeblich judenfeindlichen Islams.

In radikaleren Kreisen stößt diese hierarchisierende, essentialisierte Polarisierung von aufgeklärten, nicht-antisemitischen Deutschen auf der einen und rückständigen, antisemitischen Muslimen auf der anderen Seite auf große Begeisterung. Schließlich ist beispielsweise PI-News dafür bekannt, seit Jahren mit ähnlichen Stereotypisierungen zu arbeiten. So kopieren dann die PI-ler unter der Überschrift ‚Der neue Antisemitismus kommt einzig und allein von Einwanderern aus islamischen Ländern‘ einen FAZ-Artikel von Geyer-Hindemith vom 25.07. in dem von „religiösen Wurzeln der neuen Judenhetze“ die Rede ist. Auch hier wird der Satz geäußert, Antisemitismus sei nicht integrierbar. Eine ganze Gruppe von Zuwanderern wird als judenfeindlich bezeichnet, die Verantwortung erneut von der Mehrheitsgesellschaft verdrängt.

Unterschriftenaktion: Das Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus Leipzig hat eine Unterschriftenaktion gestartet, in der Nicolaus Fest, zu einer Entschuldigung aufgefordert wird. Hier können Sie die Petition unterzeichnen.

Am Ende der islamfeindlichen Verwertungskette steht vorerst Nicolaus Fest, stellvertretender Chefredakteur der BILD-Zeitung, der unter der Überschrift ‚Islam als Integrationshindernis‘ in beinahe beeindruckender Art und Weise eine Salve an islamfeindlichen und antimuslimischen Thesen in gerade einmal zwölf kurzen Sätzen abfeuert. Die Verweigerung von Asyl- und Zuwanderungsrecht für Muslime steht am Ende einer Aneinanderreihung der Schlagwörter ‚Zwangsheirat‘, ‚Friedensrichter‘, ‚Ehrenmorde‘ – und ‚antisemitisches Pogrom‘. Die Frage bleibt: Soll deutscher Antisemitismus bekämpft werden – oder soll er zu einer leeren Worthülse im islamfeindlichen Diskurs verkommen?

Am Ende steht Fests Aussage, dass er „keinen importierten Rassismus“ brauche – und das ist natürlich richtig, denn rassistisch ist Fest auch so schon genug. Aktuell Meinung

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  1. Tai Fei sagt:

    posteo sagt: 29. Juli 2014 um 18:02
    „Und dann war da noch der Judenhass, der Hitler und den damaligen “Palästinenserführer” Ahmed Husseini, den Großmufti von Jerusalem verband. Hitler versprach Husseini, sich nach der “Säuberung” Europas auch um die Juden in Palästina “zu kümmern”, Husseini warb im Gegenzug 20.000 Soldaten für Hitler an (Handjar-Divisionen). “
    Allerdings verkürzen Sie hier mal wieder die Geschichte. Husseini war nämlich auch sehr einflussreich in der antiimperialen Bewegung, welche sich gegen die brit. Mandatsmacht wandte. Immerhin wurde die dt. Wehrmacht zunächst auch in ganz Nordafrika als „Befreier“ angesehen. Die Kooperation mit Nazidt. kann man also im Wesentlichen als antikolonialen Widerstand ansehen. Das die Briten in Husseini eine ernsthafte Bedrohung sahen wird auch dadurch bewiesen, dass sie einem Plan des jüdischen Nationalrats in Palästina zustimmten, Husseini zu ermorden und diesen Plan auch aktiv unterstützten. Allerdings schlug er fehl.

  2. Saadiya sagt:

    @nirvana: „Auch wenn ich den Artikel von Herrn Fest nicht geistreich halte, sollte es jeder Moslem in Deutschland verkraften können, dass der Islam in einem Zeitungsartikel in Zusammenhang mit Ehrenmorden und Zwangsheirat gebracht wird. So müssen es auch Katholiken in Deutschland aushalten, dass ihre Religion in Publikationen in Zusammenhang mit Kindesmissbrauch und Hexenverbrennungen gebracht wird. “

    Da sehe ich einen feinen Unterschied. Es wird in den Medien ja nicht behauptet, dass die christliche Religion an sich den Kindesmissbrauch in der Bibel vorschreibe und damit alle Christen potenzielle Kinderschänder seien. Es wird immer auf eine bestimmte Person/Personen konzentriert, die dieser Straftat bezichtigt wird/werden. Es ist in keinster Weise die Rede davon, dass man diese Religion in Deutschland verbieten sollte, weil……Die Kirche hat im Mittelalter zwar zu Hexenverbrennungen aufgerufen, aber der Islam ruft nicht zu Ehrenmorden oder Zwansgheiraten auf. Muslimen wird immer unterstellt, dass Ehrenmorde oder Zwangsheiraten Bestandteil ihrer islamischen Religion sind und das man daher die Religion an sich kritisch sehen oder besser noch im öffentlichen Raum ganz verbieten sollte (müssen doch die Musliminnen vor ihrer Religion retten). Weder Ehrenmorde noch Zwangsheiraten sind Bestandteile des Islam, im Koran lässt sich nichts dazu finden; ganz im Gegenteil, Zwansheiraten sind im Islam verboten und sofern sie geschlossen werden, sogar ungültig. Den Ehrenmord kennt der Islam ebenso nicht. Wenn es Kritik an diesen Praktiken, die es trotz der fehlenden Übereinstimmung mit der Religion des Islams ja gibt, dann sollte wahrheitsgemäß durch deutsche Medien dargstellt werden, dass dies ebenso wie bei Angehörigen der christlichen Kirchen ein Vorkommnis ist, dass in keinster Weise zur Religionspraxis gehört. Wenn dies der Fall wäre, dann wäre gegen solche Kritik auch nichts einzuwenden. Solange aber Zusammenhänge verdreht werden, diffamiert man eine ganze Gruppe von Menschen / eine ganze Religion zu Unrecht.

  3. aloo masala sagt:

    @nirvana

    ———–
    Auch wenn ich den Artikel von Herrn Fest nicht geistreich halte, sollte es jeder Moslem in Deutschland verkraften können, dass der Islam in einem Zeitungsartikel in Zusammenhang mit Ehrenmorden und Zwangsheirat gebracht wird.
    ————

    Nikolaus Fest hatte folgendes gesagt: „Nur der Islam stört mich immer mehr. […] Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle. Mich stören Zwangsheiraten, „Friedensrichter“, „Ehrenmorde“.“

    Er kann das von mir aus alles sagen. Allerdings müssen Nikolaus Kraft und seine Fans dann halt auch verkraften können, dass man ihnen rassistischen Unsinn vorwirft.

    Der Unsinn, den Nikolaus Fest verzapft wird deutlicher, wenn beispielsweise ein Imam predigt: „Nur die Deutschen stören mich immer mehr. Mich stört die totschlagbereite Verachtung der Deutschen für Muslime. Mich stören deren oberlehrerhafte Gehabe, Ausländerfeindlichkeit, Rassismus. Außerdem waschen und rasieren sie sich nicht unter den Achseln und riechen unangenehm. Auch das stört mich“.

    Die letzten Jahre zeigen, einen solchen Prediger verkraften die Deutschen nicht. Solche Typen bezeichnet man als Hassprediger und der jeweilige Innenminister setzt alles daran, solche Hassprediger auszuweisen.

    Warum sollten Muslime dann etwas verkraften, was man selbst nicht verkraftet. Nikolaus Fest war nicht nur nicht geistreich, er ist ein Hassprediger und muss halt auch aushalten, dass man ihn so bezeichnet.