Kulturelle Vielfalt

Fußball als Lernort für die Migrationsgesellschaft

Özil, Klose oder Khedira stellen Leitfiguren eines ‚neuen deutschen Selbstverständnisses´ dar, erklären Stefan Metzger und Daniel Huhn. Doch Multikulturalität im deutschen Fußball ist – entgegen der vorherrschenden Meinung – ein alter Hut.

Von Mittwoch, 09.07.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.06.2018, 23:42 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Beide tragen die Nummer elf, beide sind die Leistungsträger ihrer Mannschaft. Doch die Brüder Mesut und Mutlu trennen nicht nur zehn Ligen. Während es Mesut Özil von Westfalia Gelsenkirchen über Schalke 04 und Real Madrid zu Arsenal London schaffte, spielt sein Bruder Mutlu Özil in der Kreisliga bei Firtinaspor 95 in Gelsenkirchen. Während der eine Star der deutschen Nationalmannschaft ist und als Symbol einer ‚erfolgreichen Integration‘ gilt, spielt der andere bei einem von vielen migrantisch geprägten Vereinen in Deutschland, die häufig als Symbol einer ‚gescheiterten Integration‘ verstanden werden.

Der Fußball in Deutschland ist multikulturell, vom Amateurfußball über die Profiligen bis hin zur Nationalmannschaft. Beim Viertelfinale der WM in Brasilien gegen Frankreich hatten vier Spieler der deutschen Startelf einen so genannten Migrationshintergrund. Spieler wie der bereits genannte Mesut Özil, wie Miroslav Klose oder Sami Khedira sind nicht nur Akteure des ‚neuen deutschen Fußballs‘, sie sind auch Leitfiguren eines ‚neuen deutschen Selbstverständnisses‘.

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Kulturelle Vielfalt im Fußball zwischen Erfolgs- und Problemgeschichte

Was seit einigen Jahren im Bereich der Nationalmannschaft als Erfolgsgeschichte gefeiert wird und im Bereich des professionellen Fußballs zum Geschäft gehört, wurde und wird im Fußballalltag der Amateurligen oft als Problem definiert – insbesondere dann, wenn Migrantinnen und Migranten ihre eigenen Vereine gründen. Diese Vereine werden oft als etwas Neues, Fremdes und häufig als problembehaftet verstanden. Dabei zeigt ein Blick auf die Geschichte des Fußballs in Deutschland, dass dieser von Anfang an multikulturell geprägt ist.

Kulturelle Vielfalt im Fußball als historischer Normalfall

Der Fußball selbst migrierte vor knapp 150 Jahren aus England nach Deutschland. Die ersten Fußballvereine in Deutschland waren Vereine, die von Migrantinnen und Migranten aus England gegründet wurden. In der Weimarer Republik setzte dann ein wahrer Boom an Vereinsgründungen ein. Der Fußball war stark milieuverhaftet, und es taten sich zumeist kleine und homogene Gruppen zusammen, um eigene Vereine zu gründen. So existierten dänisch neben polnisch geprägten, katholisch neben jüdisch geprägten, proletarisch neben bürgerlich geprägten Vereinen, die teilweise auch in verbandsinternen Ligen spielten. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Vielfalt nach und nach unterdrückt und letztendlich zerstört. Erst mit der Arbeitsmigration ab Mitte der 1950er Jahre wurden wieder migrantisch geprägte Fußballvereine gegründet. In den 1980er und 1990er Jahren kam es zu einer regelrechten Hochphase an migrantisch geprägten Vereinsgründungen. Einige blieben eine vorübergehende Erscheinung, aber viele dieser Vereine bestehen bis heute.

Verdrängte Erinnerung und die Fiktion der Homogenität

Die Geschichte und Geschichten kultureller Vielfalt im Fußball scheinen in der kollektiven Erinnerung fast vergessen, teilweise sogar bewusst verdrängt. Dies hängt u.a. mit den Erfahrungen aus der Nazi-Zeit und mit der Homogenitätsfiktion der Nachkriegsjahre zusammen. Die gesellschaftliche Erinnerung schmerzte, weil sie auch die eigene Schuld an der Zerstörung der Vielfalt ins Bewusstsein rief.

Fußball als Lern- und Aushandlungsort

Veranstaltungshinweis zum Thema: „Fluide Grenzen – Nationalismus und Nationalitäten im Fußball“: Freitag, 11. Juli, 16.00 – 18.00 Uhr im Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität,
Universitätsstr. 3b, Raum 002. Mit dabei sind unter anderem Naika Foroutan und Stefan Metzger.

Fußballverbände und -vereine agierten historisch gesehen zumeist herrschaftskonform und folgten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Doch es zeigt sich, dass der Fußball nicht nur gesellschaftliche Stimmungen aufnimmt, sondern diese auch prägen kann. Er bietet Raum, um neue Ideen auszuprobieren und neue Wege zu gehen, denen wiederum andere gesellschaftliche Bereiche folgen können. Letztlich konzentrieren sich besonders im Fußball die Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaft. Dadurch wird der Fußball auch zum Lernort. Dort werden im Miteinander und Gegeneinander auf und neben dem Sportplatz Fragen der Teilhabe, der Zugehörigkeit sowie der Anerkennung von Menschen und Gruppen unterschiedlichster Herkunft ausgehandelt. Dort trifft alltäglicher Kosmopolitismus auf alltäglichen Rassismus. Dort wird diskutiert, wie der Sport im Einklang mit religiös-kulturellen Werten und Praxen ausgeübt werden kann. Dort werden Diskriminierungen erlebt, aber auch Erfahrungen gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung gemacht, die im alltäglichen Leben oftmals vermisst werden.

Kurzum: Der Fußball könnte seine Potenziale als Lern-, Diskussions- und Aushandlungsort der Migrationsgesellschaft Deutschlands deutlich stärker entfalten, wenn nicht nur die Leistungen der ‚Mesut Özils‘ gepriesen, sondern auch den vielen ‚Mutlu Özils‘ Anerkennung gezollt würde, die Woche für Woche auf den Kreisligaplätzen spielen, sich in den Vereinen engagieren und damit vielfältige Alltagskultur mitgestalten und aufrechterhalten.

Erstveröffentlichung: Eine Langfassung dieses Textes wurde erstmals in der Reihe WISO direkt der Friedrich-Ebert-Stiftung von Stefan Metzger und Daniel Huhn im November 2013 veröffentlicht. Gesellschaft Leitartikel

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  1. Realist aus Franken sagt:

    1. Sie übersehen alle, dass der Fußball, der im Fernsehen gezeigt wird, selbst eine Parallelwelt ist, genauso wie das Leben in der sogenannten „Vielfalt“. Fest steht, dass die eigentliche „kulturelle“ Vielfalt in Deutschland abnimmt, Dialekte sterben aus, die Hochsprache verwildert und das kulturelle Leben stagniert. Die Migranten selbst legen ihre „kulturellen“ Wurzeln viel schneller ab, als man denkt, so dass überwiegend ein linker, großstädtischer Einheitsbrei übrig bleibt. Eine Fahrt durch München, Frankfurt oder Neukölln genügt.

    2. Die angebliche Homogenität nach der sich die Deutschen sehnten, resultierte nicht aus irgendeiner Ideologie heraus, sondern aus dem Wunsch, nicht mehr in einer Gesellschaft leben zu müssen, in der 10% Reiche, 20% Mittelstand und 70% Menschen unter der Armutsschwelle leben. Es ist doch genau umgekehrt: Homogenität ist ein Zeichen demokratischer Zustände.

    3. Abgesehen davon: Integration beginnt nicht bei Bällen, sondern im Kopf. Fußballer, die mit ein bisschen Herumgekicke Millionen verdienen, können in meinen Augen keine vollwertigen Vorbilder für eine Nation sein. Was Deutschland braucht sind keine Beine, sondern kluge Köpfe. Wir sind nicht das Land der Fußballer und Athleten, sondern das Land der Dichter und Denker.

    4. Der Wunsch eine multikulturelle Gesellschaft schaffen zu müssen, ist und bleibt ein Experiment mit unsicherem Ausgang. Die letzte Europawahl hat das eindrucksvoll bestätigt. Die Mehrheit der Europäer ist keineswegs für Multikulti. Verwechsle Dich selbst nie mit anderen: Es soll sogar Migranten geben, die der eigenen Ideologie misstrauen. Warum haben es denn viele von ihnen so gerne, wenn ihre Kinder in Kindergärten sind, in denen mehrheitlich deutsche Kinder sind?

    5. Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster. Was heute als rational und höchst vernünftig erscheint, kann morgen schon ein Alptraum sein. Vernünftige Lösungen kann nur der anbieten, der sich nicht nur von momentanen Eingebungen leiten lässt, sondern von Erfahrungswerten und Erkenntnissen, die er sich über viele Generationen erworben hat. Das kann er aber nur, wenn er weiß, woher er kommt, wenn er eine Identität hat.
    Ist es immer so klug, die eigene Geschichte in jeder Hinsicht zu verdammen?

    6. Gesellschaften, die homogen sind, haben die schlimmsten Konflikte hinter sich. Wie ist es denn bei heterogenen Gesellschaften? Lebt man in den viel weltoffeneren USA sicherer als hierzulande?

  2. Pingback: imabseits » Ankündigung: »Fluide Grenzen. Nationalismus und Nationalitäten im Fußball«

  3. Armer Heinz sagt:

    Mein Gott, was hat denn der Fußball mit den alltäglichen Problemen zu tun?

  4. derspieler sagt:

    „6. Gesellschaften, die homogen sind, haben die schlimmsten Konflikte hinter sich. Wie ist es denn bei heterogenen Gesellschaften? Lebt man in den viel weltoffeneren USA sicherer als hierzulande?“

    ja ja sicher doch , wenn man die anderen vorher schön ausgerottet dann lässt es sich gut leben , aber mal abgesehn davon , deutsche können niemand anderen NEBEN sich dulden , jemand unter ihnen ja , jemand über ihnen auch ja ,aber niemand neben sich , da wird nämlich der platz eng , verstehns ?

    „Der Wunsch eine multikulturelle Gesellschaft schaffen zu müssen, ist und bleibt ein Experiment mit unsicherem Ausgang“

    seltsam in anderen länder funktioniert es , villeicht sind die leute dort nicht so darauf versessen was jemand ist ,sondern wer jemand ist und im zuge des gesunden egoismus des gemeinwohls daran bedacht das die gesellschaft als ganzes nach vorne geht . nicht so hier in deutschland wo immer noch feudale denkstruckturen vorherrschen und jeder jeden übervorteilen muss . vernunft war noch die stärke eines volkes das sich vom bauchgefühl leiten lässt .es passt ja bekanntlich nicht .

    das macht aber nichts , leute wie sie werden in der welt von morgen eh ausgestorben sein , denn wer sich nicht anpasst geht früher oder später unter . und das können sie nicht verhindern , das ist der lauf der dinge .
    den sie nicht aufhalten können .