Gesetzentwurf zum Bleiberecht

Wie Bundesinnenminister De Maizière das Asylrecht durch die Hintertür verschärft

Das Bundesinnenministerium hat einen Entwurf für ein „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ vorgelegt. Offiziell soll damit die im Koalitionsvertrag vereinbarte Bleiberechtsregelung umgesetzt werden. Faktisch zieht der Entwurf Asylsuchenden in Deutschland den rechtsstaatlichen Boden unter ihren Füßen weg.

„Dieser Gesetzentwurf ist das Schärfste und das Schäbigste, was einem deutschen Ministerium seit der Änderung des Asylgrundrechts vor 21 Jahren eingefallen ist“, schreibt Heribert Prantl über den „Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung in der Süddeutschen Zeitung, der Entwurf sei „Perfidie in Paragrafenform.“

Heribert Prantl hat Recht. Die zahlreichen vom Bundesinnenministerium erdachten Verschärfungen sind perfide. Im Zusammenwirken führen sie dazu, dass Asylsuchenden in Deutschland der rechtsstaatliche Boden unter ihren Füßen entzogen würde:

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Uferlose Ausweitung der Abschiebungshaft

Der Gesetzentwurf zählt mehrere Gründe auf, nach denen Flüchtlinge künftig in Haft zu nehmen sind. Als zentraler Haftgrund wird die „erhebliche Fluchtgefahr“ eingeführt: Wenn es Anhaltspunkte gibt, dass Schutzsuchende eine Grenzkontrolle umgangen, ihre Identität falsch angegeben oder bestimmte Dokumente vernichtet haben, unstimmige oder falsche Angaben in Bezug auf den Reiseweg gemacht haben, dann wird ihnen „erhebliche Fluchtgefahr“ unterstellt – und damit ihre Inhaftierung angeordnet.

Das Perfide daran: Bei allen Menschen, die sich nach Deutschland durchschlagen müssen – also bei nahezu jedem Flüchtling – wird sich einer dieser Punkte unterstellen lassen. Allein die Bestimmung, dass in Haft genommen wird, wer einen Mitgliedstaat während eines laufenden Asylverfahrens verlassen hat, würde die Gefängnisse füllen. Denn fast alle Asylsuchenden, für die nach der Dublin-Verordnung ein anderer EU‐Mitgliedstaat zuständig ist, würden danach inhaftiert.

Haftanstalten für Flüchtlinge werden zur Dunkelkammer des Rechtsstaats

Auch für andere Fälle sollen die Haftregelungen verschärft werden. Äußerst bedenklich ist die Regelung zur behördlichen Ingewahrsamsnahme: Geht es nach dem Bundesinnenministerium, sollen die Behörden Menschen künftig in „Gewahrsam“ nehmen können, ohne dass ein Richter die Haft überprüfen muss – und zwar dann, wenn die Einholung der richterlichen Anordnung voraussichtlich mehr Zeit beanspruchen würde als die Inhaftierung selbst andauert. Das öffnet Behörden Tür und Tor für willkürliche Inhaftierungen, die sie auch im Nachhinein niemals rechtfertigen oder überprüfen lassen müssen. Dies stellt einen eklatanten Verstoß gegen den Richtervorbehalt des Grundgesetzes (Art. 104) dar, wonach allein ein Gericht über die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung entscheiden darf.

Die Zahl rechtswidrig erfolgter und von höheren Instanzen später korrigierter Inhaftierungen ist seit Jahren auf einem erschreckend hohen Niveau: Von ca. 900 Fällen, die eine auf Abschiebungshaft spezialisierte Kanzlei vertreten hat, waren fast 50 Prozent zu Unrecht inhaftiert. Mit der neuen Regelung drohen die Haftanstalten für Flüchtlinge zu einer Dunkelkammer des Rechtsstaats zu werden.

Mogelpackung Bleiberecht

Eine Bleiberechtsregelung ist überfällig: Noch immer leben in Deutschland fast 86.000 Menschen mit einer Duldung, rund 36.000 bereits länger als sechs Jahre. Über Jahre leben diese Menschen in Angst vor der Abschiebung, sie können ihr Leben nicht planen. Wie von Flüchtlingsorganisationen seit langem gefordert, wurde im Koalitionsvertrag eine Bleiberechtsregelung vereinbart, die dieses Problem lösen sollte. Doch so, wie das Bundesinnenministerium das Vorhaben umsetzt, würde nur ein geringer Teil der Betroffenen ein Bleiberecht erhalten – und in Zukunft bliebe den meisten Menschen mit einer Duldung die Perspektive auf ein Bleiberecht versperrt. Dafür sorgen eine Reihe von Details im Gesetzentwurf.

Hier nur ein Beispiel: Menschen, deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wird oder als „Dublin‐Fall“ nicht inhaltlich geprüft wird, sollen künftig reihenweise mit einem „Einreise- und Aufenthaltsverbot“ belegt werden können. Dies wiederum führt dazu, dass den Betroffenen keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden darf (§ 11). Sie wären damit per Gesetz vom Bleiberecht ausgeschlossen.

Aufenthalts‐ und Einreiseverbote: Ausgrenzung und pauschale Stigmatisierung

Dieses geplante Einreise‐ und Aufenthaltsverbot (§ 11) hebelt nicht nur das Bleiberecht aus: Es sanktioniert alle Asylantragstellenden, deren Asylantrag als unzulässig, unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, sowie alle erfolglosen Asylfolgeantragsteller, indem ihnen ein Aufenthaltsverbots und ein bis zu 5jähriges Betretensverbot für Deutschland und alle EU-Ländern ausgesprochen wird. Das heißt: Wer einen Antrag stellt, riskiert prinzipiell, bestraft zu werden.

Das geht einher mit einer weiteren perfiden Konstruktion: Der Gesetzesentwurf konstruiert, dass ein Asylantrag, der als unzulässig, unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, nur gestellt worden sei, um öffentliche Leistungen zu beziehen. Damit wird Asylsuchenden, deren Asylantrag im oben genannten Sinne gescheitert ist, pauschal Sozialmissbrauch unterstellt. Wer etwa aus einem Land wie beispielsweise dem Iran vor Menschenrechtsverletzungen flieht und dessen Asylantrag hier etwa aufgrund der Zuständigkeit eines anderen EU-Staats als „unzulässig“ abgelehnt wird, dem wird künftig von Rechts wegen unterstellt, er sei nur auf deutsche Sozialleistungen aus gewesen.

Diese Konstruktion widerspricht nicht nur der oftmals dramatischen Situation in den Herkunftsländern der Betroffenen, sie führt auch zur Ausweitung von Arbeitsverboten: Denn wem unterstellt wird, Grund für die Einreise sei der beabsichtigte Bezug von Sozialleistungen gewesen, für den sieht die Beschäftigungsverordnung (§ 33) ein Arbeitsverbot vor. Die Folge ist eine gesetzlich verordnete Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialleistungen.

Familientrennung per Gesetz

Damit nicht genug. Das Bundesinnenministerum verfolgt im Gesetzentwurf mehrere verfassungsrechtlich fragwürdige Regelungen, die die Trennung von Familien zur Folge haben: Wem es gelingt, trotz aller Hürden doch noch unter das neue Bleiberecht zu fallen, soll vom Recht auf Familiennachzug ausgeschlossen werden. Die Betroffenen müssen also dauerhaft von im Ausland lebenden Ehegatten oder Kindern getrennt leben.

Schutzsuchenden, denen der sogenannte subsidiäre Schutz zuerkannt wurde, sollen Ehegatten und minderjährige Kinder nur „aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ nachholen dürfen. Beim Nachzug von Eltern zu unbegleiteten Minderjährigen, die als subsidiär schutzberechtigt anerkannt sind, soll der erst 2013 eingeführte Anspruch auf Elternnachzug wieder abgeschafft werden. Diese familienfeindlichen Vorschläge sind mit dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar.

PRO ASYL hält den Gesetzesentwurf des Bundesinnenministeriums für nicht reformierbar – der Entwurf muss vom Tisch.