Europawahl

Triumph für Einwanderungsgegner?

EU-kritische Parteien, die bei der Europawahl in einigen Ländern Erfolge erzielten, geben sich auch einwanderungsskeptisch. Die Abschottung der Europäischen Union gegenüber Immigranten geht aber auf das Konto der in Brüssel tonangebenden Kräfte, findet Sabine Beppler-Spahl.

Von Donnerstag, 05.06.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 10.06.2014, 23:32 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die politische Landkarte Europas muss nach den Wahlen im Mai neu gezeichnet werden, denn es sind Gräben zutage getreten, die bisher nicht so deutlich wahrgenommen wurden. Gewiss, die Erfolge des FN (Front National) in Frankreich oder der UKIP (United Kingdom Independence Party) in England waren vorausgesagt worden. Bis zuletzt aber hatten Vertreter der Regierungsparteien alles getan, um Sympathisanten davon abzuschrecken, diese Parteien zu wählen. Gegen die früheren Außenseiter und heutigen Wahlsieger wurden Kampagnen geführt und Warnungen ausgesprochen. Der englische Premierminister David Cameron nannte die Sympathisanten der UKIP höhnisch „Fruitcakes“ und „verkappte Rassisten“. Wolfgang Schäuble bezeichnete die AfD – und damit auch andere EU-Kritiker – als „brandgefährlich“ und Frank-Walter Steinmeier sprach von “hirnlosen Nationalisten“. Davon aber ließ sich ein guter Teil des Wahlvolks nicht beeindrucken. Gibt es einen deutlicheren Ausdruck für den schwindenden Einfluss der Elite?

Deutschland scheint nur vordergründig eine Ausnahme zu sein. Auch hierzulande kann niemand behaupten, die Mehrheit habe die etablierten Parteien bestätigt: Von über 62 Millionen Wahlberechtigten wählten weniger als neun Millionen die CDU (14,5 %) und weniger als 8 Millionen die SPD (12,9 %). Die AfD, die von manchen mit der englischen UKIP verglichen wird, hat zwar kein überwältigendes, aber ein respektables Ergebnis erzielt. Vor allem die niedrige Wahlbeteiligung muss als Aussage für die Distanz zur Europapolitik gewertet werden. Während sich also die etablierten Parteien einen langweiligen Wahlkampf boten, verliefen die Gräben innerhalb der politischen Landschaft anderswo. Nicht mehr „rechts“ oder „links“ bzw. sozialdemokratisch gegen christdemokratisch trennt die Politik, sondern das Verhältnis einer abgehobenen Elite zum Wahlvolk.

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„Führt die Abkehr von einer Europapolitik, mit der sich ein großer Teil der Bürger nicht identifizieren kann, zu Fremdenfeindlichkeit?“

Nun stellt sich die Frage, wie dies aus Sicht derer, die eine liberale Einwanderungspolitik befürworten, zu bewerten ist. Die Parteien, die bei dieser Wahl die meisten Stimmen hinzugewonnen haben, stehen schließlich nicht nur der EU, sondern auch der Immigration (und anderen Fragen des sozialen Fortschritts) kritisch gegenüber. Natürlich gibt es zwischen dem Front National, der als antisemitisches und ausländerfeindliches Sammelbecken gestartet war, und der englischen UKIP oder der deutschen AfD Unterschiede. Trotzdem werben alle drei Parteien für strengere Regeln und eine Begrenzung der Einwanderung. Stärkt also die Kritik an der EU den Chauvinismus, Nationalismus und eine Abschottungshaltung? Führt die Abkehr von einer Europapolitik, mit der sich ein großer Teil der Bürger nicht identifizieren kann, zu Fremdenfeindlichkeit?

Die Antwort auf diese Frage muss „Nein“ lauten, obwohl die Haltung der EU-kritischen Parteien bedauernswert rückständig ist. So schürt der Front National Angst vor„Fremden“ und tut so, als seien Einwanderer schuld an den wirtschaftlichen Problemen Frankreichs. Auch die harsche Rhetorik der UKIP gegen Rumänen und Bulgaren erscheint angesichts des positiven Beitrags, den osteuropäische Immigranten auf dem Arbeitsmarkt in England (und Deutschland) leisten, geradezu hysterisch. Trotzdem wäre es falsch, so zu tun, als sei der Erfolg dieser Parteien ein Sieg über die Toleranz und Vernunft der Europäischen Union.
Dies nämlich würde der bisherigen EU-Politik eine Fortschrittlichkeit zusprechen, die sie nicht hat. Geht es um die grundsätzliche Frage, wie offen Europa für Einwanderung sein sollte, dürften sich die Positionen von Nigel Farage (UKIP) und Marine Le Pen (FN) nicht wesentlich von denen ihrer EU-freundlichen Gegner unterscheiden.

Oder gibt es einen namhaften und einflussreichen EU-Vertreter, der sich für eine Öffnung der europäischen Grenzen einsetzt? Den Appellen der EU Kommissarin für Inneres, Cecilia Malmström, die EU müsse einwanderungsfreundlicher werden, steht die Realität einer immer härteren Abschottungspolitik gegenüber. Der Begriff „Festung Europa“ ist angesichts der Zustände an den Außengrenzen (z.B. an der spanischen Exklave Melilla) keinesfalls übertrieben.

Selbst die ärmeren Mitgliedsländer der Union wurden lange von dem Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit ausgeschlossen. Für Rumänen und Bulgaren wurde sie erst zu Beginn dieses Jahres umgesetzt, obwohl die Länder schon 2007 in die EU aufgenommen worden waren. Der Vertrag von Schengen, der immerhin vielen Europäern (und das ist positiv zu bewerten) Reisefreiheit garantiert, wurde immer wieder aufgeweicht oder hinterfragt. Zuletzt forderte der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy, Schengen auszusetzen, und EU Kommissionspräsident José Manuel Barroso behauptete bei einem Vortrag im Februar, dass die Einführung der Freizügigkeit unerwünschte Nebenwirkungen habe . Sie setze, so der Präsident, die Sozialsysteme unter Druck und sei für Missbrauch offen. Schlagworte wie „Sozialtourismus“, „Zwangsehen“, „Schlepperbanden“ oder „grenzübergreifende Kriminalität“ begleiten seit Jahren die Debatte über Einwanderung, auch ohne das Zutun des Front National.

„Wie so oft dachte die EU-Administration wohl, sie könne Politik machen, ohne eine Mehrheit in den Mitgliedsländern überzeugen zu müssen.“

Ist es, angesichts so viel Einwanderungsskepsis auf höchster Ebene verwunderlich, wenn viele Wähler den Eindruck bekamen, Marine Le Pen habe Recht? Besonders kontraproduktiv war die Art und Weise, wie die Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen durchgesetzt wurde. Sie erfolgte per Beschluss. Dieser wurde, fernab von der Öffentlichkeit – auf EU-Ebene – getroffen. Die Freizügigkeit trat, ähnlich einer amtlichen Anweisung, zu einem festen Stichtag in Kraft. Der überfällige Schritt der Grenzöffnung wurde also nicht als Fortschritt angepriesen, der den Menschen in Europa mehr Freiheit geben sollte, sondern als eine Art administrative Maßnahme, die nicht länger zu verhindern war. Wie so oft dachte die EU-Verwaltung wohl, sie könne Politik machen, ohne eine Mehrheit in den Mitgliedsländern überzeugen zu müssen. Mehr noch als das Verbot der Glühbirne oder die verspottete „Gurkenkrümmungsverordnung“ wurde die Freizügigkeit zum Symbol für eine autoritäre EU-Politik und so zu einem leichten Spiel für den Front National.

Wenn es also um die Frage der Immigration in Europa schlecht steht, dann hat die EU daran einen entscheidenden Anteil. Für große Teile der Wähler ist die Frage der Einwanderung zu einem Beispiel für eine bevormundende Politik geworden, die ihnen von einer vermeintlich „liberalen“ Elite aufgezwungen wird. Aus diesem Grund ist es gut, wenn sich nach der Europawahl einiges ändern wird. Wer Immigration ehrlich verteidigen will, sollte keine Illusionen mehr hinsichtlich der EU hegen. Es geht nicht um ein Prinzip, das wie eine neue Abgasverordnung umgesetzt werden kann. Immigration ist ein politisches Thema.

In Zukunft wird es darum gehen, die Frage der Einwanderung nicht nur mit fortschrittlichen wirtschaftlichen Argumenten zu verknüpfen, sondern auch mit einem Glauben an die demokratische Gemeinschaft. Dazu gehören auch Diskussionen darüber, was eine Gesellschaft zusammenhält, welche Werte wir vertreten möchten und was es für uns heißt, Europäer, Deutsche, Engländer oder Franzosen zu sein. Der Wunsch nach Gemeinschaft ist verständlich. Er sollte aber nicht auf Abschottung und Fremdenfeindlichkeit basieren. Aktuell Meinung

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