No Go Area Bonn?

Der Ausbruch aus dem Teufelskreis

Integration kämpft oft mit einem Widerspruch: soziale Probleme müssen benannt werden. Werden sie aber benannt, besteht die Gefahr, dass Menschen mit Migrationshintergrund noch weiter ausgegrenzt werden. Der Grund ist die Angst vor gesellschaftlicher Komplexität.

Das Treppenhaus riecht nach Urin und kaltem Rauch. An den Wänden umrahmt schwarzer Schimmel Filzstiftgekritzel. Ich verlasse die bedrückende Enge des Plattenbaus. Auf der Straße schwirren Frauen mit Kopftuch an mir vorbei. Ich schnappe Konversationsfetzen o-beinig laufender Jugendlicher auf: „Ich kann Dir gar nicht sagen, wie süchtig ich nach ficken bin!“ oder: „Die verkaufen Gras für so Auerberger“.

Diese stereotype Beschreibung des Bonner Stadtteils Tannenbusch spiegelt in etwa das mediale Klischee eines großstädtischen „Problemviertels“, in dem viele Zuwanderer und Arbeitslose leben. Sie ist vielleicht nützlich, um Interesse zu wecken. „Angst, Gewalt und Müll in Tannenbusch“ titelte etwa der Express 2012. Um die Realität darzustellen reicht so eine Beschreibung aber bei Weitem nicht aus.

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Tannenbusch ist eine typische innenstadtnahe Großsiedlung: Es gibt es einen sehr hohen Anteil von Zuwanderern und Deutschen mit Migrationshintergrund. Er liegt bei über 50% laut Entwicklungskonzept des Programms Soziale Stadt. Es wird weiter berichtet: Die häufigste Muttersprache ist Arabisch. Und es gibt auch einen hohen Anteil von Sozialleistungsempfängern. Die Infrastruktur weist große Defizite auf: Müll liegt auf der Straße, Spielplätze sind verwahrlost. Ibrahim Kader ist frustriert. Mehrfach bat er die Wohnungsbaugesellschaft darum, dass der Schimmel aus seiner Wohnung entfernt würde. Keine Reaktion. Er startete eine Unterschriftenaktion im gesamten Haus. Keine Reaktion.

Felix von Grünberg, der für die Bonner SPD im Landtag sitzt, bietet seit 1971 eine regelmäßige Rechtsberatung für Menschen an, die sich einen Anwalt nicht leisten können. Daher kennt er die Situation gut und erklärt: „Die Siedlung Neu-Tannenbusch wurde ursprünglich als Wohnort für Bundesbeamte angelegt. Nach dem Wegzug der Regierung hat man sämtlichen Wohnraum an private Unternehmen verkauft. Die sind zwar häufig an eine Mietobergrenze gebunden, investieren aber nicht in die Instandhaltung der Gebäude. Sie wissen, dass ein Hartz IV Empfänger keine Ansparmöglichkeit hat und daher nicht die notwendigen Renovierungsarbeiten einklagen kann.“

Tannenbusch ist eine No Go Area. Das behauptet die Studie eines privaten Sprachinstituts. Demnach verüben hier junge Deutsche mit Migrationshintergrund Übergriffe auf ausländische Sprachstudenten. Allerdings kann die Studie nicht nachweisen, dass es tatsächlich bestimmte Gegenden sind, in denen die Übergriffe auf Sprachschüler stattfanden. Sie kann auch nicht nachweisen, dass tatsächlich junge Deutsche mit Migrationshintergrund die Täter sind. Auch die Bonner Polizei widerspricht: Es gibt keine No Go Areas in Bonn. Die Kriminalitätsrate im Stadtteil sinkt. Die lokalen Medien berichteten dennoch ausführlich über die „No Go Area“ Studie, ohne offen zu legen, dass es sich nur um Behauptungen des Autors handelte, nicht um wissenschaftliche Beweise.

Die Jugendlichen in Tannenbusch fühlen sich stigmatisiert von den Medienberichten. Für den Rundfunk interviewten einige von ihnen Passanten in der Bonner Innenstadt. Die bestätigten das Klischee: „Ich denke auch, dass da wahrscheinlich ein höherer Anteil an Kriminalität ist“ vermutet eine junge Frau.

Die rechtsextremistische Partei PRO NRW nutzte diese Stimmung gar für ihren Kommunalwahlkampf. Sie warb mit dem Slogan: „Angstraum Stadt – Wir haben`s satt“. Daneben ist eine rot durchkreuzte Moschee abgebildet. Die Diskriminierung richtet sich also gegen Muslime, ihre Kultur wird als Ursache des Übels gesehen. PRO NRW ist bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 erneut in den Bonner Stadtrat eingezogen.

Wie kommt es zu diesen Ängsten? „In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine kleine Glaubensströmung gebildet. Sie hat sich einer von ihnen als rein empfundenen Form des Islam verschrieben. Auch in Bonn bilden sich diese Gemeinschaften und prägen das Stadtbild. Sie treten nämlich als betont fromme Muslime auf mit weiten Gewändern oder dem Ganzkörperschleier für Frauen. Auch Medizintouristen aus den Golfstaaten zeigen sich vermehrt zum Beispiel in Bad Godesberg mit der hier eher unüblichen weiten Bekleidung. Diese auffällige Optik einer speziellen Islamversion hat innerhalb der Bonner Bevölkerung zunehmend Überfremdungsgefühle ausgelöst“ erklärt die Politologin Raida Chabib, die derzeit an der Universität Frankfurt zum Islam in Deutschland forscht.

Aber das ist nur die eine Seite. Die Ängste fußen in einer noch viel tiefer sitzenden Furcht. Der Sozialwissenschaftler Timo Lochocki hat gezeigt, dass etwa 15% der Bevölkerung rechtskonservativ denken und wählen. Sie fürchten die komplexer werdende Welt, suchen nach einfachen Erklärungen. Und sind geneigt rechtspopulistisch zu wählen.

Es sind also diese diffusen Ängste, die Vorurteile in Bonn entstehen lassen und die Rechtsextremisten Aufwind geben. Die Folgen sind gravierend für Menschen mit Migrationshintergrund. Der Soziologe Professor Jörg Blasius erklärt: „Ein Stadtteil, in dem viele ärmere Menschen und Migranten wohnen, wird durch Bezeichnungen wie `No-Go Area` in der öffentlichen Wahrnehmung noch schlechter als er tatsächlich ist. In einer Bewerbung, z.B. auf einen Arbeitsplatz oder für eine Wohnung, wirkt die Nachbarschaft, in der der Bewerber lebt, in Kombination mit einem ausländisch klingenden Namen dann doppelt ausgrenzend“. Der Bewerber bleibt Arbeitslos. Die Ursachen für die Probleme vor Ort sind also soziale. Haben nichts mit Herkunft oder Religion der Bewohner zu tun.

Um aus dem Teufelskreis auszubrechen wurde Tannenbusch bereits 2009 in das Bund-Länder Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen. Damit erhält der Stadtteil besondere Fördermittel. Neben der Erneuerung der Gebäude stehen Sozialarbeit und die Verbesserung des Stadtteilimages im Vordergrund. „Gerade die Muslime kämpfen schon seit Jahren um mehr Anerkennung in Bonn“ so die städtische Integrationsbeauftragte Coleatta Manemann. Auf ihre Initiative wird es in Kürze im neuen Kommunalen Integrationszentrum eine Antidiskriminierungsstelle geben. Hier soll Beratung, Aufklärung und Vernetzung stattfinden.

Eine realistischere Beschreibung von Bonn Tannenbusch würde sich wahrscheinlich so anhören, wie die von Ibrahim Kader, den ich im Treppenhaus eines der Plattenbauten dabei antreffe, wie er den Fahrstuhl von Hundefäkalien reinigt: „Die Schule und der Kindergarten hier sind sehr gut. Die Nachbarschaft auch. Gefährlich ist es hier nicht. Nur die Wohnungsbaugesellschaft kümmert sich nicht. Aber ich lebe gerne hier.“

Das ist keine einfache Beschreibung. Sie ist widersprüchlich und ausdifferenziert. Passt nicht in das Klischee einer No Go Area. Aber Menschen, die mit der sozialen Realität überfordert sind, verlangen anscheinend nach simplen Darstellungen. Angesichts der stets komplexer werdenden Gesellschaft scheint es daher angebracht, eine komplexere Denkweise zu trainieren, damit Zuwanderer und deren Nachkommen in Deutschland endlich Anerkennung erfahren.