Auswärtiges Visum-Kabarett

Türken dürfen Dienstleistung anbieten aber nicht erbringen

Das Auswärtige Amt verweigerte einem türkischen Unternehmer die visumfreie Einreise. Begründung: Er dürfe ohne Visum nur dann einreisen, wenn er Dienstleistungen anbietet, zur Erfüllung dürften jedoch nur seine Arbeiter einreisen. Das OVG Berlin entschied nun.

Es ist Kabarett auf höchstem Niveau, wie das Auswärtige Amt unermüdlich versucht, Türken aus Deutschland fernzuhalten. In einem jetzt bekannt gewordenen Fall musste das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) per Urteil vom 26. März 2014 dem Treiben Deutschlands ein (vorläufiges) Ende setzen.

Was war geschehen? Kemal Kur, ein türkischer IT- und Softwareunternehmer mit Sitz in der Türkei, wollte im April 2010 mit einem französischen Schengen-Visum nach Deutschland einreisen, um im Auftrag eines schwedischen Unternehmens für einen Kunden in Duisburg technische Spezifikationen auszuarbeiten. Dazu kam es aber nicht. Am Flughafen Düsseldorf wurde er von Grenzbeamten zurückgewiesen, gleichzeitig wurde sein Visum annulliert. Daraufhin beantragte er beim deutschen Konsulat in Istanbul ein Visum für Geschäftsreisen. Sein Antrag wurde abgelehnt.

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Kur remonstrierte, er dürfe ohnehin visumfrei in die Bundesrepublik einreisen, um Dienstleistungen zu erbringen. Er berief sich auf den Assoziationsratsbeschluss zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (ARB). Dazu hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Februar 2009 entschieden, dass „für die Einreise türkischer Staatsangehöriger, die Dienstleistungen für ein in der Türkei ansässiges Unternehmen erbringen wollen, kein Visum verlangt werden darf“. Dennoch wurde auch dieses Begehren vom Konsulat abgelehnt.

Dem türkischen Geschäftsmann blieb nichts anderes mehr übrig, als beim Verwaltungsgericht Berlin (VG) Klage zu erheben. Damit begann das Kabarett: Vor Gericht begründete das Außenministerium die Ablehnung in haarspalterischer Manier damit, dass Kur seine Dienstleistungen nicht anbieten, sondern erbringen wollte. Das ARB erfasse nur die Anbahnung den Ausbau von Geschäftsbeziehungen, nicht aber deren Erbringung.

Und die Entscheidung des EuGH beziehe sich auf Arbeitnehmer, die für ein türkisches Unternehmen Dienstleistungen erbringen, nicht aber auf den Chef. Die Ungleichbehandlung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber sei hier gerechtfertigt, da der Rückkehrwillen bei Arbeitnehmern wahrscheinlicher sei als bei selbstständigen Unternehmern.

Das Verwaltungsgericht Berlin machte seinem Namen als williger Vollstrecker des Auswärtigen Amtes alle Ehre und folgte tatsächlich dieser Argumentation.

Der Rechtsstreit ging vor dem OVG in die nächste Runde. Die Richter führten in ihrer Urteilsbegründung aus, was sich jedem gesunden Menschenverstand ohnehin hätte aufdrängen müssen: „Ein Angebot impliziert die Bereitschaft zur Erfüllung. Eine Dienstleistung wird angeboten, um sie zu erbringen.“ Insofern seien Angebot und Erfüllung als Einheit zu sehen. So werde der Begriff auch in der deutschen Gewerbeordnung verstanden, erklären die Richter.

Auch sei „kein sachgerechter Grund ersichtlich, warum Arbeitnehmer eines ausländischen Unternehmers berechtigt gewesen sein sollten, visumfrei einzureisen, um für ihren Arbeitgeber Dienstleistungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu erbringen, dies andererseits aber dem Arbeitgeber selbst nicht möglich gewesen sein sollte“. Auch hier ziehen die Richter einen an sich aufdrängenden logischen Schluss: „Denn die Konsequenz bestünde darin, dass der Unternehmer zwar visumfrei hätte einreisen dürfen, um Verträge zu schließen, zu deren Erfüllung aber nur in der Lage gewesen wäre, wenn er dafür Arbeitnehmer entsandt hätte. Ein selbstständiger Unternehmer ohne Arbeitnehmer hätte nicht einmal diese Möglichkeit gehabt“, so die Richter.

Schließlich hielt das OVG auch die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung nicht für stichhaltig: „Dass der Anreiz zu einem solchen Missbrauch für einen Unternehmer, dessen Firma im Ausland ansässig ist, größer sein sollte als für einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber im Ausland ansässig ist, drängt sich nicht auf“.

Mit dieser Entscheidung wird der Unternehmer Kemal Kur nach Deutschland einreisen dürfen, um seine geschäftlich eingegangene Verpflichtung zu erfüllen. Ob sein Kunde vier Jahre auf ihn gewartet hat, ist eine andere Frage.

Eine ganz andere Frage ist, wieso sich Deutschland derart vehement gegen die Einreise von türkischen Geschäftsleuten stemmt, wenn beide Länder doch eine Jahrhunderte zurückreichende vielfältige und freundschaftliche Beziehung pflegen, wie es auf den Internetseiten des Auswärtigen Amtes heißt. Welches Licht werfen haarspalterische Begründungen in juristisch spitzfindiger Manier wie diese auf den dahinterstehenden Geist?

Welchen Eindruck hinterlässt die vom Außenministerium an den Tag gelegte Abwehrhaltung wohl bei den drei Millionen Türkeistämmigen in Deutschland, wenn der Anschein erweckt wird, dass Türken generell ungewollt sind? Willkommenskultur? Und welches Vorbild gibt das Auswärtige Amt den drei Millionen Türkeistämmigen in Deutschland ab, wenn es immer und immer wieder versucht, Recht und Gesetz zu umgehen? Schließlich: Was hat dieser vier Jahre andauernde Rechtsstreit den Steuerzahler gekostet?

Kemal Kur war weder als „Sozialtourist“ unterwegs, noch wollte er sich auf Dauer in Deutschland niederlassen. Er wollte schlicht einen Vertrag erfüllen, den er mit einem schwedischen Unternehmen geschlossen hatte und dafür unter anderem nach Duisburg reisen musste. Er gehört also zu denen, die „Brücken schlagen“ zwischen beiden Ländern und die ohnehin „guten bilateralen Beziehungen“ beider Länder weiter stärken, wie es ranghohe Politiker auf Auslandsreisen nicht müde werdend betonen.